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EditorialDas Taumeln zur Impfpflicht: Dringlichkeit droht Parlamentsdebatte zu verflachen

Editorial / Das Taumeln zur Impfpflicht: Dringlichkeit droht Parlamentsdebatte zu verflachen
Legen dem Parlament die Idee einer Impfpflicht zum Debattieren vor: Premierminister Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert Foto: Editpress/Alain Rischard

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Seit Monaten schwebt die Idee einer Impfpflicht über der Corona-Pandemie in Luxemburg. Von Gesundheitsministerin Paulette Lenert als letzte Stellschraube bezeichnet, haben sich nicht nur in Luxemburg bereits viele Wissenschaftler für eine Impfpflicht ausgesprochen. Nach zwei Jahren Pandemie wird im Luxemburger Parlament aber vorerst debattiert – eine Debatte, die angesichts der derzeitigen Lage wohl kaum mit dem nötigen Tiefgang stattfinden kann.

Virologe Claude Muller, Infektiologe Gérard Schockmel, das Ärztekollegium … Die Liste der Mediziner und wissenschaftlichen Gremien, die in Luxemburg eine Impfpflicht befürworten, ist beträchtlich und scheint von Tag zu Tag zu wachsen. Die Liste der Impfbefürworter ist weitaus länger. 464.003 Personen haben sich mittlerweile in Luxemburg impfen lassen. Die wenigen, die sich bisher nicht haben impfen lassen, werden es wohl auch in nächster Zukunft, trotz guter Argumente, nicht tun. Die Fronten sind seit Monaten verhärtet und werden sich auch angesichts der Omikron-Welle nicht lockern. Zeit für ein Umdenken also.

In einigen Ländern Europas ist die Impfpflicht bereits beschlossene Sache, in Luxemburg jedoch hat sich die Regierung mit der Einführung einer solchen bisher schwergetan. Die Argumente dafür oder dagegen wurden bereits lang und breit diskutiert und abgewogen. Persönliche Freiheit gegen öffentliche Gesundheit gilt es abzuwägen. Zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht gibt es in Luxemburg keine Bedenken, wenn die Maßnahme denn wissenschaftlich untermauert werden kann, meint der Luxemburger Verfassungsexperte Luc Heuschling.

Noch einmal zur Verdeutlichung, was auf dem Spiel steht: „Schnell steigende Inzidenzen bergen hohe Risiken für die kritische Infrastruktur“, schreibt etwa der deutsche Corona-Expertenrat in seiner Stellungnahme des 19. Dezember. „Hierzu gehören u.a. Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik.“ Was sich wie das Drehbuch eines Apokalypse-Thrillers liest, ist jedoch bereits Realität. In Österreich etwa lässt ein Energiekonzern 50 Mitarbeiter abgeschottet von der Außenwelt arbeiten, um die Energieversorgung auch im Notfall gewährleisten zu können. 

Die Lösungen, die der deutsche Expertenrat beispielsweise vorlegt, sind folgende: Starke Kontaktbeschränkungen für die nächsten Wochen und Monate und die Impfkampagne „mit allen verfügbaren Mitteln fortsetzen und beschleunigen“. Für eine Impfpflicht oder einen erneuten Lockdown braucht es politische Courage und einschneidende politische Entscheidungen, die sich nicht mit dem bisherigen Leitmotiv der Pandemiebekämpfung in Luxemburg, der viel beschworenen Eigenverantwortung, verträgt.

Statt politischer Courage aber wird wieder erst einmal diskutiert – und das, obwohl die wissenschaftlichen Belege ganz klar in eine Richtung deuten. Während die Armee bei neuen Rekruten bereits Nägel mit Köpfen macht und im Justizministerium schon der gesetzliche Unterbau ausgearbeitet wird, muss sich das Parlament aber vorerst sortieren und auf „Input“ warten. Nach fast zwei Jahren Pandemie, in der über kein anderes Thema so viel diskutiert wurde wie die Impfung, muss erst noch auf Input gewartet werden?

Diese Debatte hätte in weiser Voraussicht schon geführt werden müssen. Nun aber findet sie wieder unter dem Eindruck der Rekord-Infektionszahlen statt. Auch droht die pandemiebedingte Dringlichkeit einer Entscheidung einer solchen Grundsatzdiskussion die nötige Ruhe und Tiefe zu rauben. Sollte sich das Parlament letzten Endes für eine Impfpflicht entscheiden, wird es nun wesentlich schwieriger, diese der Bevölkerung zu vermitteln. Während einer Pandemie über eine Impfpflicht zu diskutieren, ist nicht optimal – diese Diskussion bis zum Äußersten aufzuschieben, ist aber noch weniger dienlich.