Stolz und geehrt, so fühlt sich Adrienne Haan, als sie von ihrem Auftritt Ende September in New York erzählt. Dort trat sie auf Einladung der „Organisation internationale de la francophonie“ (OIF) am 21. September bei einer Veranstaltung im Rahmen der 77. UN-Vollversammlung auf.
Jedes Jahr tritt dort ein Künstler aus einem französischsprachigen Land auf. Luxemburg war bisher nicht bei der Gala vertreten. 2022 war es jedoch so weit: Als erste Luxemburgerin wurde diese Ehre jetzt Adrienne Haan zuteil. Das Motto der Veranstaltung in diesem Jahr: „En français, s’il vous plaît.“ Mit ihrem Programm „Cabaret français“ huldigte die ausgebildete Musical- und Theaterschauspielerin den Großen des Chansons – Edith Piaf, Charles Aznavour und Jacques Brel, erklärt sie im Tageblatt-Interview.
Tageblatt: Frau Haan, es ist ja nicht alltäglich, dass man als Künstler eingeladen wird, bei den Vereinten Nationen in New York aufzutreten?
Adrienne Haan: Absolut. Ich habe mich sehr gefreut, als die Anfrage kam, und war sehr stolz darauf. Noch nie hat eine Luxemburgerin diese Veranstaltung gestaltet.
Ein anderes Ereignis prägte allerdings entscheidend Ihren Auftritt in New York …
Ja, die Veranstaltung fand genau an dem Abend statt, an dem tagsüber Russlands Präsident Putin, die Generalmobilmachung im Zuge des Ukraine-Krieges bekannt gab. Alle waren in großer Sorge. Als ich mich vorbereitete, war das Thema in allen Nachrichten. Und ich fragte mich: Wie wird das überhaupt gehen? Können die Menschen an solch einem Abend ausgelassen etwas Schönes erleben?
Aber für Sie gab es trotzdem kein Zurück mehr. Die Veranstaltung musste wie geplant über die Bühne gehen …
Dass das uns so gelang, lag, glaube ich, auch an den frankofonen Ländern.
Inwiefern?
Die Menschen dort besitzen die Gabe, Dinge anzunehmen und zu sagen: Ja, wir erleben gerade eine schlimme Zeit. Aber ähnlich wie in der Pandemie, als Musik als heilend empfunden wurde, konnte sie auch jetzt so wirken und die Menschen zusammenbringen. Wissen Sie, das Schöne an meinem Job – und das liebe ich daran –, ist, dass die Menschen mithilfe der Musik zumindest für eine kurze Zeit in eine andere Welt abtauchen und alles um sich herum vergessen können.
Haben Sie aufgrund der politischen Ereignisse auch das Repertoire in letzter Minute angepasst?
Nein. Ich wollte daraus keine Trauerveranstaltung machen. Außerdem war im Vorfeld schon vorgegeben worden, keine politischen Kommentare während des Programms abzugeben. Aber nach dem etwas bewegteren Teil des Programms habe ich das Lied „Hallelujah“ von Leonard Cohen auf Französisch gesungen. Dazu habe ich den Gästen erklärt, dass ich ein kleines Halleluja in die Welt schicken möchte, da ich dachte, dass wir das alle in diesem Moment brauchten.
Ein emotionaler Moment also, den Sie da gemeinsam mit Ihren Gästen in New York verbrachten. Wird es mindestens genauso emotional, wenn Sie am 20. Oktober im Casino 2000 in Mondorf auftreten? Denn Sie haben eine besondere Beziehung auch zu Luxemburg …
Ich bin Luxemburgerin, mein Vater ist Luxemburger, ich bin durch und durch mit Luxemburg verbunden. Wenn ich in Europa bin, pendele ich zwischen Luxemburg-Stadt und Bonn in Deutschland – da, wo Sie mich gerade erreichen. Wenn ich in Luxemburg bin, besuche ich Familie und Freunde, die alle dort wohnen. Auch, weil ich zuletzt oft im diplomatischen Feld unterwegs bin. Ich arbeite häufig mit Botschaften zusammen, repräsentiere also dann auch musikalisch Luxemburg. Eigentlich ist es ganz witzig, in New York hat man mich früher als Deutsche gesehen und heute bin ich die Luxemburgerin.
Termine in Luxemburg
20.10.: „Cabaret français“ in der Purple Lounge des Casino 2000 in Mondorf
9.11.: „Kurt Weill Soirée“ unter der Schirmherrschaft der deutschen Botschaft im Escher Theater
12.11.: „Zwischen Feuer & Eis“ im Cerclé Cité
13.11.: „Swing-Jazz Matinée“ in der Abtei Neumünster
Jetzt wagen Sie den Spagat – von der Bühne der Vereinten Nationen in New York in einer kleineren Location, in der es eher familiär zugeht. Was mögen Sie daran?
Ich mag beides – in der Purple Lounge (im Casino 2000 in Mondorf, Anm. d. Red.) wird es sehr intim sein. Als Sänger ist man dort den Zuschauern sehr nah. In Mondorf werde ich ein „Cabaret français“ präsentieren – Jacques Brel, Edith Piaf, Charles Aznavour – und auf Französisch und Luxemburgisch moderieren. Was wenige Menschen wissen: Sowohl der deutsche Komponist Kurt Weill als auch sein österreichischer Kollege Walter Jurmann haben französische Chansons geschrieben, als sie während des Zweiten Weltkrieges im Pariser Exil lebten. Anschließend folgen Brel und Piaf, als Vertreter der 1950er Jahre, bevor wir uns mit Charles Aznavours Werken bis in die 70er hineinwagen. Patricia Kaas steht für die 90er.
In Ihrer Biografie habe ich gelesen, dass Sie diese Musik lieben. Wie kam es dazu, dass das französische Chanson in Ihrem Leben so präsent ist?
Schon als Kind hatte ich eine große Leidenschaft für die französische Sprache, die Kultur, die Menschen, das Essen. Irgendwo spielt auch der Luxemburger Einfluss eine Rolle. Sowohl meine Großmutter als auch mein Vater haben viel französische Chansons gehört – Piaf und Brel vor allem, mein Vater ist großer Brel-Fan. Für mich ist Französisch die schönste und melodischste Sprache von allen. Das Französische liegt mir am Herzen, obwohl ich nicht frankofon bin. Mein Vater ist Luxemburger, meine Mutter Deutsche. Als Luxemburgerin wird man aber vom Französischen begleitet. Es gibt die frankofonen und die germanisch geprägten Luxemburger, ich bin durch und durch germanisch. Bei uns zu Hause wurde kein Französisch gesprochen.
Und trotzdem fühlen Sie sich der Sprache von Brel und Piaf seit Kindesbeinen eng verbunden?
Ja. Ich erinnere mich, als eines Tages meine Mutter aus der Stadt kam – das war 1987 – mit einer CD von Patricia Kaas. Damals war ich neun und „Mademoiselle chante le blues“ war gerade herausgekommen. Diese CD – damals gab es nur einen CD-Player im Haus, im Wohnzimmer – lief bei uns den ganzen Tag. Patricia Kaas wurde damals mein erstes Idol. Und ich muss gestehen, ihre Musik hat schon oft mein Leben geprägt.
Gewissermaßen eine Wegbereiterin für Sie?
Ich habe eine tiefere Stimme, bin eher ein Mezzo (Mezzosopran, Stimmlage zwischen Sopran und Contralto, Anm. d. Red.), kein Sopran. In meinem Repertoire habe ich auch jiddische Klezmer-Musik, aber das Chanson – das Rauchige – das liegt mir. Ausgebildet bin ich im Musical- und Theaterfach. Technisch gesprochen sind Musical und Chanson unterschiedlich im Körper verortet. Das Chanson liegt eher in der Bruststimme, das ist meine natürliche Stimmlage. Das Chanson wurde mir schon von Mutter Natur in die Wiege gelegt, was das Singen angeht.
Zur Person
Adrienne Haan ist Absolventin der American Academy of Dramatic Arts in New York und hat außerdem einen Master-Abschluss in Angewandten Sprachwissenschaften von der St Mary’s University in London. Sie singt in zwölf Sprachen. Die Chansonnière lebt in New York, Bonn und Luxemburg.
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