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KlangweltenBots: „The Will of the People“, die neue Platte von Muse

Klangwelten / Bots: „The Will of the People“, die neue Platte von Muse
Posthuman: Muse anno 2022 Foto: dpa/Thomas Frey

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Die neue Platte von Muse will eine Art Best-of sein, klingt aber meist wie eine wild zusammengeschusterte B-Seiten-Sammlung einer posthumanen Band, die ihre Songs wohl demnächst auch von einer K.I. schreiben lassen könnte.

Weil Muse keine Lust hatte, eine Best-of-Platte zusammenzustellen, schrieb man eine Sammlung von zehn Songs, die das ganze stilistische Spektrum der Band abdecken soll – quasi eine Reise durch das Musiversum, von den Space-Progrock-Klavierhymnen der Anfangstage, nachzuhören auf „Showbiz“ und „The Origin of Symmetry“, bis hin zum 80s-Synthie-Quatsch des letzten Albums „Simulation Theory“ – und das, ohne dabei die Riffgewitter von „Drones“, die Experimentierfreudigkeit von „Black Holes and Revelations“, das Orchestrale von „The Resistance“ und die Queen-Anleihen (ein bisschen überall) zu vergessen.

Das Problem dabei: Bei der Reise quer durch den stilistischen Muse-Gemüsegarten hat man die Hits vergessen, „The Will of the People“ klingt mehr nach einer wenig kohärenten B-Seiten-Sammlung als nach einem richtigen Album. Das Schlimme daran: Viel mehr hätte man sich 2022 von Muse gar nicht mehr erwartet.

Die Selbstzitate sind auf „The Will of the People“ dabei so zahlreich, Bellamys Melodiebögen und Gitarrensoli alle so sorgfältig aus der Band-Diskografie ausgebuddelt und wiederverwertet, dass man definitiv versteht, wieso die Band die Platte mit einem Best-of verglichen haben will.

Viele Tracks klingen dabei so, als hätte Bellamy versucht, eine Brücke zwischen den verschiedenen Bandphasen zu schlagen – weil das bei „Black Holes und Revelations“ in der Tat gut funktioniert hat. So verbindet „Compliance“ die neugewonnene Liebe zu den 80ern (dass diese Liebe seit „Stranger Things“ einige Band-Portmonaies füllt, ist ein bequemer Zufall) mit dem Pop-Prog und den schönen Falsetto-Parts der ersten beiden Platten, auf „Won’t Stand Down“ werden der Dubstep von „The Second Law“, der Elektropop von „Undisclosed Desires“, die Metalparts von „Drones“ und die melodramatischen Chori der Singles von „Absolution“ zu einer Art Meta-Muse-Song verarbeitet. Ein intelligentes Computerprogramm, das die Vorgängerplatten kennt, müsste dies eigentlich problemlos als Muse-Material identifizieren können, ohne die Platte überhaupt in seiner Datenbank zu haben.

Selbstzitat oder Selbstplagiat?

Auf anderen Songs wird weniger wild selbstreferiert, hier steht jeder Track für eine präzise Muse-Phase: Auf „Liberation“ ist nach all den kitschigen Queen-Huldigungen der bescheuerte pompöse Freddy-Mercury-Abklatsch doch des Guten zu viel, „Ghosts (How Can I Move On)“ ist die (zugegebenermaßen schöne) Klavierballade, die auch auf „Showbiz“ ihren Platz gehabt hätte, „Kill or Be Killed“ klingt wie eine B-Seite von „Drones“. „You Make Me Feel Like It’s Halloween“ ist so spaßig wie dämlich, irgendwie wirkt es aber inmitten einer immer noch von der postmodernen Ironie geprägten Welt fast erfrischend, wie ernsthaft Bellamy und Co. diesen Orgel-Elektro-80s-Quatsch vortragen.

Nur „We Are Fucking F***d“ deutet an, dass die Band vielleicht irgendwann noch vorhat, sich weiterzuentwickeln: Der Song ist ein gelungener Rausschmeißer, Bellamy setzt seine Stimme anders als gehabt ein, auch die Instrumentierung verzichtet größtenteils sowohl auf virile Balls-Out-Riffs als auf klebrige, käsige Synthies – und die Selbstreferenz (diesmal auf) „Knights-of-Cydonia“ taucht erst im letzten Drittel des Songs auf.

Zusammengehalten wird all dies durch Bellamys paranoide Die-gegen-uns-Lyrics – ganz so, als hätte es die Pandemie und ihre Verschwörungstheoretiker nie gegeben und als wäre der textliche Leim, der diese disparaten Songs zusammenhalten möchte, nicht potenzial mindestens so problematisch wie Rammsteins Ästhetik.

Das Gute (je nach Ansicht) an der Sache ist: Mit „The Will of the People“ sind Muse unsterblich geworden: Mit dem richtigen Programm können selbst nach dem Ableben des Trios weiterhin Muse-Alben geschrieben, produziert und veröffentlicht werden – falls es sich dann noch wirtschaftlich lohnt. Ein weiterer Vorteil eines K.I.-getriebenen Kompositionsprozesses: Matthew Bellamy hätte dann auch endlich (noch) mehr Zeit, sich seiner wahren Leidenschaft – dem Sammeln von all möglichem LED-Kram – zu widmen. In dem Sinne hätte man die Platte konsequenterweise – den roten Faden hätte zudem „Drones“ geliefert – auch „Bots“ nennen sollen.

Eine Marktlücke haben Bellamy, Bono und Martin (oder wie die anderen beiden auch heißen) jedoch entdeckt: Gemeint ist das Marilyn-Manson-Plagiat beim namengebenden Opener „The Will of the People“, das so dreist ist, dass jeder, der sich ein bisschen mit Musik auskennt, stets „The Beautiful People“ anstatt „The Will of the People“ mitsingen wird.

Vielleicht kann Muse auf der nächsten Platte sämtliche Hits von Musikern, die im #MeToo-Kontext zu personae non gratae geworden sind, wiederverwerten und deren Tracks und Melodiebögen so wieder für all diejenigen hörbar machen, die zurzeit Gewissensbisse haben, wenn irgendwo ein Track von „The Suburbs“ läuft. Also, Matthew: Auf der nächsten Platte möchten wir dann ein bisschen was Arcade Fire, Brand New oder, wenn wir schon dabei sind, Michael Jackson hören.

Weitere Plattenbesprechungen werden jeden Samstag in unserer Magazin-Beilage abgedruckt.

Bewertung: 5/10

Anspieltipps: „Compliance“, „Ghosts“, „We Are Fucking F****d“