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MusikBack to the 90s? Neue Platten von den Red Hot Chili Peppers und Placebo

Musik / Back to the 90s? Neue Platten von den Red Hot Chili Peppers und Placebo
31. März 2022, USA, Los Angeles: Anthony Kiedis (von links), Flea, John Frusciante und Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers feiern während einer Zeremonie, bei der die Band mit einem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame geehrt wird Foto: Invision via AP/dpa/Willy Sanjuan

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Eine peinliche Möchtegern-Rückbesinnung auf alte Stärken und eine Band, die den Mut hat, ihren Trademark-Sound um neue Thematiken, vielschichtige Klänge und tolle neue Songs zu ergänzen: Da, wo die Rückkehr vom Tausendsassa John Frusciante eine herbe Enttäuschung ist, trumpfen die zum Duo geschrumpften Placebo mit ihrem besten Alterswerk.

Es gibt zwei Gründe, wieso ich manchmal lange brauche, um mir eine Platte anzuhören: entweder, weil die Songs so gut sind, dass ich sie in der Dauerschleife höre und so nur schleppend bis zum Ende des Albums gelange oder weil sie dermaßen mies sind, dass ich gar nicht richtig zuhöre und immer wieder zurückspulen muss, um zu versuchen, mich erneut auf die Musik zu fokussieren. Die Rückkehr zweier Bands, die in den 90ern richtig groß wurden, erlaubte es mir, diese beiden extremen Formen der Albumentdeckung zu erfahren.

Als die Red Hot Chili Peppers sich von ihrem (gnadenlos unterschätzten) Gitarristen Josh Klinghoffer trennten und ankündigten, dass sich die Band zum zweiten Mal mit John Frusciante wiedervereinen würde, war die Hoffnung groß: Für viele Fans gelten die Platten mit John Frusciante zu den besten (oder sogar einzig nennenswerten) Alben der hedonistischen Kalifornier.

Nach dem tragischen Drogentod des Gitarristen Hillel Slovak fand die Band mit dem blutjungen Chili-Peppers-Fan Frusciante einen würdigen Ersatz: Auf „Mother’s Milk“ (1989) schliff Frusciante seinen später unverkennbaren Stil, den er auf „Blood Sugar Sex Magic“ (1991) dann perfektionierte. Danach kamen der Welterfolg und Frusciantes Absturz in die Drogen. Der ausgebrannte Gitarrist verließ die Band.
Während diese für das sehr heterogene „One Hot Minute“ (1995) Dave Navarro einstellten, erlitt Frusciante fast das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger. Jahre später kehrt Frusciante dann, von den vielen Drogen gezeichnet, zu den Chili Peppers zurück.

Es folgen der Meilenstein „Californication“ (1999) und das überlange, warme, ausgefeilte „By the Way“ (2002), auf dem Frusciante nicht nur seine Gitarrenarbeit, sondern auch seine Vocals perfektionierte: So oft Kiedis für seine limitierte stimmliche Bandbreite kritisiert wird, so oft wird eingeräumt, dass die Art, wie Kiedis und Frusciante zusammen harmonieren einfach beeindruckend ist.

Nach „By the Way“ folgt eine Zeit des kreativen Überflusses für Frusciante: Neben dem Doppelalbum „Stadium Arcadium“ veröffentlicht Frusciante im Jahr 2004 sechs Soloalben in sechs Monaten. Die Qualität dieser ist angesichts der Quantität an veröffentlichter Musik beeindruckend, eines der besten dieser sechs Alben, „A Sphere in the Heart of Silence“, schreibt Frusciante mit niemand anderem als Josh Klinghoffer.

Als Frusciante dann erneut aussteigt, um sich seiner Soloarbeit zu widmen, die immer weniger mit Gitarren und immer mehr mit Elektronik und Techno zu tun hat, rekrutiert die Band Josh Klinghoffer und versucht sich auf zwei Alben an einer Neuerfindung: Sowohl „I’m With You“ (2011) als auch das von Danger Mouse produzierte „Dark Necessities“ (2016) haben zwar das Rad nicht neu erfunden, sind aber ehrliche Versuche, den eigenen Bandsound um ein paar nennenswerte Aspekte zu erweitern.

Als die Nachricht umging, Frusciante würde zurückkehren, erwarteten sich manche von den Klinghoffer-Alben (teilweise zurecht) enttäuschten Fans ein neues „Blood Sugar Sex Magic“ oder ein weiteres „Californication“. Um den Mythos der Band weiterzuspinnen und die Hoffnung rund um diese Wiedervereinigung aufrechtzuerhalten, zirkulierten Aussagen des ebenso legendären wie bärtigen Produzenten Rick Rubin, der in Interviews erklärte, das Quartett wieder zu viert spielen zu hören, hätte ihn zu Tränen gerührt.

Red Hot Chili Peppers – „Unlimited Love“ (Bewertung: 4/10)
Red Hot Chili Peppers – „Unlimited Love“ (Bewertung: 4/10)  Warner Music/dpa

Try Better Next Time

Wer das Werk nun hört, versteht leider nicht wirklich, wieso – es können höchstens Tränen der Verzweiflung gewesen sein, die Rubin vergossen hat. Klingen tut „Unlimited Love“ nämlich viel eher wie eine lange Jamsession der Band, es wirkt fast so, als hätte Rubin den Aufnahmeknopf betätigt und wäre nach 73 Minuten Bandprobe wieder zurückgekehrt.

Dabei macht das Album nichts wirklich falsch – es ist nur erschreckend egal. „Unlimited Love“ hätte auch von einer musikalisch talentierten Chili-Peppers-Coverband zusammengeschustert werden können – es hätte kaum einen Unterschied gemacht. Die Vorabsingles verhießen dabei bereits wenig Gutes: Der Eröffnungsriff der ersten Single „Black Summer“ klingt zwar genau wie das Zusammenwirken, das man sich von Frusciante und Flea erwartet, der darauffolgende Chorus ist jedoch ernüchternd – Album-Opener „Black Summer“ klingt wie eine ganz nette B-Seite aus „Stadium-Arcadium“-Zeiten.

Das funkige „Posterchild“ mit Kiedis’ miesen Stream-of-Consciousness-Lyrics langweilt nach zwei Minuten, nimmt aber ganze fünf, um nirgendwo hinzuführen. Und „Not the One“ ist eine nette, aber auch kaum revolutionäre Ballade mit atmosphärischen Pedal-Steel-Gitarren.

Wer hoffte, die 14 restlichen Tracks wären interessanter oder experimenteller, wird schnell eines Besseren belehrt: Auf das ziemlich gute „Here Ever After“ folgt das bemüht funkige „Aquatic Mouth Dance“, das trotz jazzy Trompeten nicht wirklich beeindruckt. „Great Apes“ ist eine recht uninspirierte rockige Ballade, die für eine gewisse Erschöpfung klassischer Rockmusik emblematisch ist – da hilft auch Frusciantes frenetisches Geschrammele nicht.

„It’s Only Natural“, „She’s a Lover“ und „Whatchu Thinkin’“ halten das Versprechen ihrer Songtitel: Sie sind zum größten Teil uninspiriert und austauschbar. Auch auf seiner zweiten Hälfte plätschert das Album zwischen netten Balladen („White Braids & Pillow Chair“, „Veronica“, „Let’Em Cry“), Altherrenfunk („One Way Traffic“) und breitbeinigen Rockern („These are the Ways“) dahin, ohne dass wirklich viel in den Gehörgängen hängen bleibt – hier gefällt ein Chorus, dort eine Melodie („Veronica“), irgendwo gibt es ein paar Synthies („Bastards of Light“), irgendwann übernimmt Frusciante, wie auf dem schönen „Dosed“ von „By the Way“, die Lead-Vocals („The Heavy Wing“).

Auffallend ist, wie zurückhaltend, um es mal nett auszudrücken, Frusciante auf der Platte ist. Klar, seine Gitarrenarbeit ist sauber und es gibt die Trademark-Soli und die Vocal-Harmonien mit Kiedis im Chorus – und doch wirkt der große Gitarrist irgendwie abwesend, uninspiriert, es gelingt ihm kaum, Akzente zu setzen.
Wer also glaubte, Klinghoffer wäre das Problem, wird auf „Unlimited Love“ eines Besseren belehrt: Die traurige Wahrheit ist, dass diese Band der Welt nichts mehr zu sagen hat (auch wenn Kiedis die Klimakrise irgendwann thematisiert). Auf den Klinghoffer-Alben sind sie zwar streckenweise gescheitert – aber wenigstens haben sie da noch versucht, Songs zu schreiben.

Die Chili Peppers waren einst diese Band, die die Albernheit zur Ästhetik und den Hedonismus zur Stilrichtung machten. Es gab Fastnacktfotos mit Socke, reichlich schwachsinnige Anekdoten und trotz Kiedis’ schiefen Gesangs eindrucksvolle Live-Shows. Jetzt sind sie eine in die Jahre gekommene Band, die sich auf Albumlänge selbst parodiert.

Hedonistisch und queer

Brian Molko (l.) und Stefan Olsdal von der Band Placebo
Brian Molko (l.) und Stefan Olsdal von der Band Placebo Mads Perch/Sailor Entertainment/dpa

Den Hedonismus teilen die Chili Peppers mit Placebo, deren Ästhetik jedoch von Beginn an eine völlig andere ist. Fernab der warmen kalifornischen Klänge und der wilden Ungestümheit der Chili Peppers, hinter denen sich dunkle Geschichten von Heroinabhängigkeit und Drogentoden versteckten, kultiviert das britische Trio zu Beginn eine androgyne Identität, thematisiert auf seinen Songs Drogenkonsum, Depressionen, Teenage-Angst, Abhängigkeit und schreibt Lieder über queere Existenzen (siehe die erste Single „Nancy Boy“, in der Molko über einen, wie der Musikexpress es treffend umschreibt, „effeminierten Typen, der mit allerlei anderen Männern bumst“, singt) in einer damals von Heteronormativität geprägten britischen Rockszene, die von Bands wie Oasis dominiert wird.

Die Story um die Band ist vor allem hierzulande bekannt: Die beiden Gründungsmitglieder (und mittlerweile auch einzigen Bandmitglieder) Brian Molko und Stefan Olsdal besuchen beide die International School of Luxembourg und treffen sich durch Zufall Jahre später in der Londoner U-Bahn. Brian nimmt seinen zukünftigen Bassisten mit auf das Konzert seiner damaligen Band Ashtray Heart (so wird eine späte Placebo-Single auf „Battle for the Sun“ heißen), in der auch der zukünftige Placebo-Schlagzeuger Steve Hewitt spielt.

Molko und Olsdal fangen an, zusammen Musik zu schreiben und verlassen sich dabei auf gemeinsame Referenzen – David Bowie, Sonic Youth, die Pixies, The Cure. Die erste Platte, damals noch mit Schlagzeuger Robert Schultzberg aufgenommen (Hewitt war zu dem Zeitpunkt noch bei einer anderen Band unter Vertrag), klingt dabei nach einer ungeschliffenen, wütenden Mischung aus Indierock und Punk, dank der Single „Nancy Boy“ sichert sich die Band einen Platz in den britischen Charts.

Als „Without You I’m Nothing“ (1998), das melancholische Hangoveralbum erscheint und mit u.a. der namensgebenden Single und dem weltbekannten „Every You Every Me“ den Bekanntheitsgrad der Band nochmal nach oben schraubt, meldet sich niemand anders als David Bowie – quasi ein Fanboy der ersten Stunde – und meint, die Band müsse entweder den Song „Without You I’m Nothing“ nochmal mit ihm aufnehmen oder er würde ihn eben covern – weswegen es den Song eben einmal ohne (auf der Platte) und einmal mit Bowie gibt.

Es folgt die Weltberühmtheit und der Absturz in das schon vor dem Erfolg besungene hedonistische Leben. „Black Market Music“ (2000), die dritte Platte, ist davon gezeichnet, der Song „Special K“ wird in Großbritannien von Radiostationen boykottiert, weil der Titel eine deutliche Referenz auf die Droge Ketamin darstellt.

Placebo kommentiert diese Wahl wie folgt: „The British Music Industry which has recently been championing disposable, facile pop and music which promotes homophobia, misogyny and violence has, in its infinite wisdom, taken offence to the lyrical content of our new single ‹Special K›.“ Neben dieser rockigen Single experimentiert die Band auf „Black Market Music“ mit Jazz-Elementen, Spoken Word, Hip Hop und Elektro.

„Sleeping With Ghosts“ (2003) verlässt sich wiederum auf altbewährte Stärken und ist direkter, frontaler und lauter – man erinnere sich an die tolle Single „Bitter End“, aber auch an die sanfteren „Special Needs“ oder „Protect Me From What I Want“, das die Band auch auf Französisch aufgenommen hat.

Das darauffolgende „Meds“ (2006) ist in den Augen vieler das letzte richtig gute Placebo-Album: Hier punktet die Band mit tollen Duetten („Meds“ mit der Kills-Sängerin Alison Mossheart und „Broken Promise“ mit R.E.M.-Sänger Michael Stipe), experimentellen Tracks wie „Space Monkey“ und eingängigen Singles wie „Song to Say Goodbye“.

Für „Battle for the Sun“ (2009) trennte man sich nicht nur von Drummer Hewitt, der durch den jungen Steve Forrest ersetzt wurde, sondern auch vom Major-Label und signierte bei PIAS. Das Album sollte eine Art Neuerfindung sein, klang streckenweise auch wuchtiger, hatte definitiv gute Songs (das titelgebende „Battle for the Sun“, die rockigen „For What It’s Worth“ und „Ashtray Heart“, „Breathe Underwater“), irgendwie wollte der Funke aber nicht so ganz überspringen. Auch „Loud Like Love“ (2013) war streckenweise enttäuschend, Molkos Lyrics klangen ermüdet und uninspiriert, weswegen es ein Genuss ist, zu hören, dass die Band neun Jahre nach ihrem letzten Album wieder in Höchstform ist.

Placebo – „Never Let Me Go“ (Bewertung: 9/10)
Placebo – „Never Let Me Go“ (Bewertung: 9/10) So Recordings/Rough Trade/dpa

Memory Snow

Dabei durfte man nach den ersten Singles noch etwas skeptisch sein: Das queere „Beautiful James“ und „Try Better Next Time“ (mit guten, wütenden Lyrics über die Klimakrise) waren durchaus spannend, klangen aber etwas zu sehr nach Placebo-By-the-Numbers. Das experimentellere, elektronische „Surrounded By Spies“ (über digitale Überwachung) war da schon spannender, und mit dem wunderschönen, einfühlsamen „Happy Birthday in the Sky“, das zudem so anspruchsvoll, opulent und nahezu postrockig wie selten zuvor instrumentiert ist, hatte die Band die beste Single vor dem Album-Release in der Hinterhand gehalten.

Auf „Never Let Me Go“ (den Albumtitel teilt die Band mit dem grandiosen Roman von Kazuo Ishiguro) fügen sich diese vier Singles in ein abwechslungsreiches, heterogenes und zeitgleich stimmiges Klangbild. Der Opener „Forever Chemicals“ beginnt mit einem verzerrten Harfen-Loop, der Song könnte auch von Nine Inch Nails sein, wäre da nicht Molkos unverkennbare, polarisierende Stimme, die uns auf vertrautes Placebo-Terrain führt: Drogen und Sex.

„The memory drugs/Make memory snow/I think but I forget/My imagination doesn’t know where to go/So it goes to sleep instead. The memory tapes/Of memory fucking/Fill me with regret/Now my memory shapes/Forget their own names/And I can’t get out of bed“, singt Molko, und man ist froh, diese Band sowohl textlich wie auch musikalisch nach Jahren relativer Belanglosigkeit wiederzufinden.

„Hugz“ ist ein peitschender Rocker, „The Prodigal“ euphorischer Symphonie-Pop, dem es trotz Synthie-Geigen gelingt, unkitschig zu sein, „Sad White Reggae“ alles andere als ein Reggae-Track, sondern ein Elektro-Rocker wie Placebo ihn so gut beherrschen.

Mit „Twin Demons“ gelingt der Band ein treibender Indie-Rock-Song mit Melodien, die sich in die Gehörgänge bohren – auch hier wird im tollen Chorus, wie auf dem Opener, die emotionale Abstumpfung – durch Drogen, aber auch und vor allem durch Enttäuschungen – thematisiert („Think I’ll soak my skin and soul/Until I can’t feel at all“).

Das letzte Albumdrittel ist ruhiger, überzeugt aber genauso: „Chemtrails“ ist durchzogen von Synthies und Selbstzweifeln und kulminiert mit verzerrten Gitarren und schönen Backing Vocals (überhaupt überzeugen die Backing Vocals hier mehr als auf der Platte der Chili Peppers), „This Is What You Wanted“ eine melancholische Ballade im Stil von „Twenty Years“. Auf „Went Missing“ erinnert Molkos Sprechgesang irgendwie an Michael Stipe auf „Ebow The Letter“, der Schluss des Songs ist ein gelungenes, melancholisch-nostalgisches „Soulmates“-Selbstzitat und der Closer „Fix Yourself“ hat trotz des Songtitels glücklicherweise nichts mit Coldplay zu tun.

Auch wenn die Platte Selbstzweifel, Enttäuschungen und Abstumpfung verdichtet: So selbstsicher und wütend hat Placebo lange nicht geklungen. Das Konzert in Luxemburg (im kommenden November) sollte man sich schon vormerken.