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Ukraine-KriegAußenminister Asselborn über Russland-Politik und „Touristen“-Visa: „Es wurden Fehler gemacht“

Ukraine-Krieg / Außenminister Asselborn über Russland-Politik und „Touristen“-Visa: „Es wurden Fehler gemacht“
Deutliche Worte von Außenminister Jean Asselborn: „Russland ist kein demokratisches Land mehr“ Foto: Editpress/Julien Garroy

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Von einem möglichen Partner zu einem Erpresser: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat auf einer Pressekonferenz am Dienstag Fehler in puncto Russland-Politik der vergangenen Jahre eingeräumt. „Russland hat sich zu einer Diktatur entwickelt“, sagt Asselborn – und erklärt, warum man Visa für russische Bürger nicht komplett sperren will.

Ein Krieg, der die Weltgemeinschaft herausfordere – so bezeichnet Außenminister Jean Asselborn (LSAP) den Krieg in der Ukraine. „Zu sagen, das sei ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland, ist zu einfach“, sagt der luxemburgische Chefdiplomat anlässlich einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen im Außenministerium. Er räumt aber auch Fehler in der Russland-Politik der letzten Jahrzehnte ein. „Es sind genug Fehler passiert“, sagt Asselborn. „Aus einem möglichen Partner ist ein Erpresser geworden.“

Solange Russland militärisch gegen die Ukraine vorgeht, tue ich mich schwer, von direkten Verhandlungen zu reden. Die Ukraine entscheidet, ob und wann es zu Verhandlungen kommen kann.

Jean Asselborn

In letzter Zeit habe sich die Diskussion vermehrt um das „Touristen“-Visa für russische Bürger gedreht. „Ich möchte klarstellen, dass es kein ‹Touristen›-Visum als solches gibt“, sagt Asselborn. Bei dem im Brennpunkt stehenden Visum würde es sich um ein Kurzaufenthalt-Visum handeln. „Damit können auch Journalisten, Familienmitglieder und Dissidenten in die EU einreisen“, sagt der LSAP-Politiker und erklärt, warum er sich gegen ein pauschales Verbot stellt: „Russland ist kein demokratisches Land mehr. Opposition heißt in Russland gleich Gefängnis.“ Putin gehe ja höchstpersönlich in die Schulen, um die Kinder zu indoktrinieren, während mutige Bürger, die gegen das Regime protestieren, niedergeknüppelt würden. In der Europäischen Union habe man jedoch seit dem 24. Februar auf eine „people to people“-Herangehensweise gesetzt: „Irgendwann ist Putin nicht mehr da und dann müssen wir mit diesen Menschen wieder klarkommen“, meint Asselborn.

„Visa-Verbot ist der falsche Weg“

Es sei außerdem jedem Land freigestellt, russischen Einwohnern ein Visum auszustellen. „Bei den europäischen Botschaften werden die Visum-Anträge in Moskau alle einzeln geprüft“, sagt Asselborn. Einzelne Länder könnten ein entsprechendes Visum deshalb auch ohne Erklärung verweigern. In der EU war zwischen den Mitgliedstaaten ein Streit entbrannt, wie mit Visum-Anträgen aus Russland zu verfahren sei.

Die EU will gegen das Narrativ des Kreml vorgehen, sagt Asselborn
Die EU will gegen das Narrativ des Kreml vorgehen, sagt Asselborn Foto: Editpress/Julien Garroy

„Polen und auch die baltischen Länder sind der Meinung, dass das gesamte russische Volk eine Mitschuld an dem Krieg trägt und nicht nur Putin“, sagt Asselborn. „Eine große Mehrheit, darunter auch Luxemburg, hält das jedoch für den falschen Weg.“

Luxemburg hat vom 1. Januar bis zum 31. August 2022 insgesamt 440 Visa-Anträgen stattgegeben. Im gleichen Zeitraum im Jahr 2019 vor der Pandemie lag diese Zahl bei 2.104. Besonders Visa für Wirtschaftsreisen – 1.633 in der ersten Hälfte 2019 – seien vor der Pandemie ausgestellt worden. Ein rückläufiger Trend, wie Asselborn sagt. Besonders die Zahl der Visa aus Familiengründen hätten in diesem Jahr wieder einen Sprung nach den beiden Pandemiejahren gemacht. 184 Visa seien ausgestellt worden, derzeit würden um die 2.000 russischen Bürger im Großherzogtum leben. In den beiden Pandemiejahren wurde 63 Visa-Anträgen im ersten Halbjahr 2020 und 50 im ersten Halbjahr 2021 stattgegeben. „Allein die Anträge aus Familiengründen sind meiner Meinung nach Grund genug, das nicht komplett zu verbieten“, sagt Asselborn. Russische Touristen habe es fast keine gegeben – „erstens, weil sie ein komplettes Impfschema benötigen und zweitens, weil keine Direktverbindung nach Luxemburg besteht“.

EU gegen Lawrows Narrativ

Die EU-Außenminister waren in den letzten Wochen vermehrt in Afrika unterwegs, „um das Narrativ des russischen Außenministers Lawrow zu kontern“, sagt Asselborn. Lawrow pilgere gerade durch Afrika und verbreite die Ansicht, dass die Sanktionen schuld an der Hungersnot seien. „Keine der derzeitigen Sanktionen hält Russland davon ab, Lebensmittel zu exportieren“, stellt Asselborn klar. Die Europäische Union sei der größte Investor, Handelspartner und Kooperationspartner Afrikas. „Uns haftet jedoch das Image des Geldgebers an“, sagt Asselborn. „Das macht es nicht einfacher, jetzt gegen das russische Narrativ vorzugehen.“

Die russische Wirtschaft hatte mit einem Wachstum von drei Prozent gerechnet – mittlerweile wird ein Rückgang der wirtschaftlichen Leistung von sechs Prozent erwartet.

Ein Narrativ, das auch von einigen Politikern in Europa vertreten würde. „Ich hoffe nicht, dass Salvini, Le Pen oder die AfD zur Referenz in Europa werden“, sagt Asselborn. Und fügt hinzu: „Die ADR scheint sich deren Position ja anzuschließen.“ Die russische Wirtschaft sei nicht zusammengebrochen, aber das sei auch nicht erwartet worden. „Putin wird in einer ersten Phase mehr einnehmen“, so der LSAP-Politiker weiter. Der Rubel und auch die Inflation hätten sich stabilisiert. „Aber: Die russische Wirtschaft hatte mit einem Wachstum von drei Prozent gerechnet – mittlerweile wird ein Rückgang der wirtschaftlichen Leistung von sechs Prozent erwartet.“ Zudem stehe Russland auch vor ganz konkreten Problemen: 1.200 Unternehmen haben das Land mittlerweile verlassen, Automatisierung, Digitalisierung stagnieren. Außerdem würden 66 Prozent weniger Autos gebaut werden, zehn Prozent weniger Stahl und Textilien verbraucht. „Die Entwicklung der letzten 30 Jahre bricht zusammen.“

Ukraine entscheidet über Verhandlungen

Die Diplomatie dürfe kein Tabu sein – wenngleich Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine nur unter einer Bedingung zustande kommen können. „Solange Russland militärisch gegen die Ukraine vorgeht, tue ich mich schwer, von direkten Verhandlungen zu reden“, sagt Asselborn. „Die Ukraine entscheidet, ob und wann es zu Verhandlungen kommen kann.“ Die Russland habe als Aggressor in der Hinsicht kein Mitspracherecht.

Im Kontext der Ukraine-Krise verkündet Jean Asselborn auch Fortschritte bei der Unterbringung ukrainischer Geflüchteter in Luxemburg. „In unseren 55 Einrichtungen haben wir insgesamt 4.472 Betten zur Verfügung“, berichtet er. Davon seien 95,7 Prozent belegt. „In unserem Netzwerk zur Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen sind lediglich 61 Prozent der 1.928 in unseren 15 Einrichtungen belegt.“ Es würden sich jedoch Fälle häufen, in denen ukrainische Geflüchtete von Privatpersonen in die offiziellen Einrichtungen umziehen. „Das war keine Frage des Geldes, sondern des Zusammenlebens“, sagt Asselborn. 110 Fälle habe es in jüngster Vergangenheit gegeben – „und ich gehe davon aus, dass sich diese Fälle noch häufen werden.“

Mehr Betten für mehr Anträge

Insgesamt seien die hiesigen Aufnahmeeinrichtungen in jüngster Vergangenheit mit einem plötzlichen Anstieg von Aufnahmeanträgen konfrontiert worden. 200 Anträge im August seien schon „außergewöhnlich“. Am Montag hätten erneut 50 Personen einen Antrag eingereicht, um den Flüchtlingsstatus in Luxemburg zu erlangen. „Wir kennen die genaue Herkunft nicht genau“, sagt Luxemburgs Chefdiplomat und äußert sich ebenfalls kurz zur europäischen Flüchtlingspolitik. „Wir müssen den überlasteten Ländern helfen und nicht einfach Soldaten an die Grenzen schicken.“ Luxemburg werde deshalb über die nächsten Monate 50 weitere Geflüchtete aufnehmen – 15 sollen bis Ende des Jahres nach Luxemburg kommen.

Bis Ende des Jahres sollen deshalb 602 weitere Unterkunftsplätze für Flüchtlinge geschaffen werden. 199 Betten sollen in Weilerbach, 197 im ehemaligen Gebäude des Luxemburger Wort in Gasperich, 39 Plätze in der rue Laurent Ménager und 23 in Differdingen in der rue Victor Hugo hinzukommen. Eine größere Unterkunft neben dem Krankenhaus Kirchberg mit 120 Betten ist ebenfalls vorgesehen. Weitere 24 Betten sind in Mertert geplant – unter der Voraussetzung, dass das nötige Baumaterial rechtzeitig geliefert wird. Speziell für ukrainische Flüchtlinge wurde schon im Mai angekündigt, dass das sogenannte „T-Gebäude“, der ehemalige Sitz des Europäischen Gerichtshofes, zu einer provisorischen Unterkunft ausgebaut wird. Hier könnten knapp über 1.000 Ukrainer aufgenommen werden.

„Zu den bestehenden 378 Betten kommen jetzt 312 hinzu“, stellt ein Sprecher des Außenministeriums auf Nachfrage klar. „Bei weiteren geplanten Arbeiten sollen weitere Kapazitäten von 468 Betten geschaffen werden, wodurch insgesamt 1.158 Betten zur Verfügung stehen werden.“

Jules
8. September 2022 - 8.59

Asselborn und EU-Kumpanen
haben bis jetzt dreimal nix geleistet, nur Privilegien und
ausser Spesen nix gewesen.
Es stinkt bis zum Himmel.

JOHNNY
8. September 2022 - 8.37

Mach NordStream2 op,
de Selensky Clown soll ennerwchreiwen dass Ukraine neutral bleift a net an dNATO kennt.
Thema faerdeg!

jung.luc.lux
7. September 2022 - 21.23

Sehr gute Stellungnahme Herr Asselborn.
Für meine Mutter wurde in der Schweiz 1940 bis 1945 ein Kriegsflüchtlingsplatz geschaffen. Meine Grossmutter war Mitglied der "Forces françaises libres". Meine Familie hat 1940 nicht den Kopf in den Sand gestreckt. Das werde ich auch nie tun.
Aus diesem Grunde:
Maximale Hilfe für Ukraineflüchtlinge.
Keine Visas für Russen.
Keine russische Kultur in Luxemburg.
Alle Deutsche wussten 1940 was Hitlers Angriffskrieg war. Wissen die Russen nicht was ihr Diktator in der Ukraine bewerkstelligt? Wir brauchen hier in Luxemburg keine russische Mitläufer.

Den Ieselchen
7. September 2022 - 17.58

@Beobachter .In Afghanistan haben sich du Russen eine rote Nase eingefangen,die EU soll auch hier sich raus halten,denn es gibt hier nur einen Gewinner (wie bei jedem Krieg )die Waffenindustrie.Der rest bleibt auf der Strecke.

Phil
7. September 2022 - 15.18

Falsch Herr Asselborn!
Solange die EU, als Speerspitze Bearbock Deutschland, finanzielle und militärische Lieferung an die Ukraine transferiert, ist es an der EU zu entscheiden, ob und wann es zu Verhandlungen kommen kann.

Robert Hottua
7. September 2022 - 9.46

Guten Tag Herr Asselborn,
meine Eltern, 1911 und 1916 geboren, und Ihre Eltern, waren wohl altersmäßig in derselben Generation. Meine katholischen Eltern wurden durch die päpstliche Nazi-Propaganda in der papsteigenen Zeitung "Luxemburger Wort" ab 1933 zu autoritär-letal denkenden und handelnden, die Wertgemeinschaft der Weltgemeinschaft herausfordernden Kollaborateuren, (zwangs)bekehrt.
Sind Ihnen Zuwiderhandlungen, Protest gegen diesen religiös-mental-politischen Mißbrauch in Ihrer Familie und in der luxemburgischen Bevölkerung bekannt?
Sind alle LuxemburgerInnen, die nicht gegen das menschenverachtende, volksverhetzende Schreibtischtäterjongleurtum aus der schwarz-braunen "Luxemburger Wort"-Ecke protestiert haben, für antisemitisch-eugenische Menschenrechtsverbrechen verantwortlich? Wenn nicht: wer ist verantwortlich für die "Butscha"-Mentalität meiner Eltern?
Könnte Herr Manfred WEBER von der EVP so auftreten, wie er es im Moment tut, wenn der seit mehr als 100 Jahren intakte schwarze europäische Haussegen zwischenzeitlich von einer unabhängigen Wahrheits- und Versöhnungskommission transparent gemacht worden wäre?
Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Asselborn.
MfG, Robert Hottua

Beobachter
7. September 2022 - 7.47

Konsum und Wachstumsdenken ist in Russland ein anderes als bei uns.Bisher schaden die Sanktionen uns mehr als den Russen. Das wird sich so schnell nicht ändern.Die Unterstützung der Ukraine mit Waffen muss aufhören.Die Siegesphantasien von Selenskys dürfen nicht weiter gefördert werden.Die Russen sind am langen Hebel, daran ändert der Amerikaner nichts.Die haben nicht einmal die Taliban in Afghanistan besiegen können!.