EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani ist am Dienstag in Luxemburg. Auf ihn wartet ein volles Programm. Neben Premierminister Xavier Bettel stehen eine Reihe von Terminen an. Darunter ein Empfang beim Großherzog Henri und seine Rede im Parlament. Um Tajani ist es ruhig geworden. Dabei eilt dem Berlusconi-Vertrauten nicht der beste Ruf voraus. Auch seine Wahl verlief ungewohnt aufgeregt.
Es ist ein ziemliches Gerangel Mitte Januar in Straßburg, bei einer Wahl, die sonst eher gesittet abläuft. Mehr als zwölf Stunden braucht das Europaparlament, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Die drei ersten Wahlgänge verpuffen ohne klaren Gewinner. Erst die Kampfabstimmung bringt den Kandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) ans Ziel. Und erst nachdem der liberale Bewerber Guy Verhofstadt kurz vor der Abstimmung seine Kandidatur überraschend zurückgezogen hat, um Tajani zu unterstützen. An diesem Szenario schreibt die größte Fraktion im Europäischen Parlament selber kräftig mit. Als es darum geht, einen Nachfolger für Martin Schulz zu finden, den lauten, oft ebenso politisierenden wie polemisierenden sozialdemokratischen EP-Präsidenten, schicken die Konservativen Mitte Dezember einen Kandidaten ins Rennen, der sogar in den eigenen Reihen manchen als kontrovers, anderen als unwählbar galt: Antonio Tajani.
Der 63-jährige Italiener ist Gefolgsmann Silvio Berlusconis und ein Mann der ersten Stunde von dessen rechtslastiger Politiktribüne Forza Italia. Berlusconi schickt Tajani 2008 als Kommissar nach Brüssel, erst für Verkehr, dann für Industrie. In diese Zeit fällt der Diesel-Abgasskandal, den Tajani bestenfalls weltmännisch verschläft. Einige werfen ihm Vertuschung vor. Man kann die Entscheidung der EVP, diesen Mann ins Rennen um die Schulz-Nachfolge zu schicken, mutig nennen, auch trotzig. Ein Zeichen für mehr Gemeinschaftlichkeit war es nicht.
Viel passiert
Erstmals knallt es wenige Tage zuvor in Straßburg. Da löst Giovanni Pittella, Chef der Sozialdemokraten im EP, die große Koalition seiner S&D-Fraktion mit den konservativen der EVP auf. Damit wird auch eine Abmachung über den Machtwechsel hinfällig. Doch die Zeiten verlangten einfach danach, so Pittella, der das politische Gleichgewicht in Europa bedroht sieht. Die Konservativen pochen auf die Einhaltung eines politischen Deals aus dem Jahr 2012, geschlossen zwischen Schulz und EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Damals wird Martin Schulz Parlamentspräsident – mit den von Weber versprochenen Stimmen der EVP. Im Gegenzug sollen die Sozialdemokraten bei der Wahl 2017 den konservativen Kandidaten unterstützen.
Dann passiert einiges in Europa. 2014 wird Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten gewählt, gegen Martin Schulz, der als Parlamentspräsident weitermacht. Flüchtlingskrise und wachsender Zulauf für EU-feindliche Rechtspopulisten lasten später immer mehr auf der Union. Zu guter Letzt entscheiden sich die Briten in einem nie zuvor dagewesenen Schritt auch noch für einen Austritt. Und als ob das nicht genüge, wählen die Amerikaner mit Donald Trump eine gefährliche, Europa nicht besonders wohlgesonnene Wundertüte zum Präsidenten. Die EU Ende 2016 als angeschlagen zu bezeichnen, ist kaum übertrieben.
Unter diesen Vorzeichen stellen die Sozialdemokraten das alte Abkommen also in Frage. Schlussendlich läuft es auf zwei Positionen hinaus. Die Lösung der Vernunft, aus sozialdemokratischer Sicht, die wohl bedeutete: mit Schulz weitermachen und Europa nicht noch ärger aus eigenen Kanonen sturmreif schießen für den Angriff der Rechtspopulisten. Europa spricht ja damals nicht von Emmanuel Macron, Europa spricht von Marine Le Pen, von Geert Wilders, von Norbert Hofer und sogar noch von der AFD. Das Superwahljahr 2017 steht vor der Tür – und viele befürchten eine Übernahme der Rechtspopulisten. Dem soll, so die Meinung nicht nur der Sozialdemokraten, weiter der Prellbock Schulz entgegenstehen (und man selber nebenbei, ein Abkommen umgehend und die EVP irgendwie austricksend, an der Macht bleiben). Die Sozialdemokraten fragen sich, was das Ganze soll, wenn sogar Juncker Europa unbedingt mit seinem Schulz weiter zurechtkumpeln will. In der Tat hatte Schulz dem EP eine bislang ungekannte Aufmerksamkeit verschafft. Im Tandem mit Juncker lässt sich das sogar auf die ganze EU ausdehnen (wobei die oft allzu sehr ausgelebte Kumpelhaftigkeit so manchem auch kräftig missfiel und er den beiden Nichtachtung ihnen missliebiger Regeln der EU vorwarf).
Anti-Schulz
Und trotzdem, das Ganze sprengen – nur wegen eines in damals unschuldigem Glauben an das Gute in der EU geschlossenen Übereinkommens, in diesen Zeiten akuter Krise? Und dazu noch die politische Machtbalance in der EU gänzlich auf eine Seite zu kippen, mit dann drei Konservativen an den Schalthebeln der drei Institutionen Kommission, Parlament und Rat? Die Antwort der EVP fällt doppelt klar aus. Erstens, abgemacht ist abgemacht, wir sind dran, also muss Schulz gehen. Dann, zweitens, dies wenig später und nachdem die Sozialdemokraten die Koalition gekündigt und Pittella zum Kandidaten auf die Schulz-Nachfolge ernannt hatten, nachdem das Kriegsbeil also endgültig ausgegraben war und einem ausgewachsenen Wahlkampf schon nichts mehr im Weg stand, schicken die Konservativen Antonio Tajani ins Rennen.
Sogar einige Konservativen empören sich. Alle anderen sowieso. Wegen seiner möglichen Verwicklung in den Dieselabgasskandal. Wegen seiner Berlusconi-Nähe. Die Rechtspopulisten im EP frohlocken. Diverse Rechenspiele zur Wahl sahen sie als mögliche Königsmacher, falls alle anderen gegen Tajani stimmen würden. Die Folge ist ein ordentliches Gerangel um den Präsidentenposten in Straßburg, mit Intrigen, Treueschwüren und neuen Bündnissen aus dem Tajani am späten Abend des 17. Januar als Sieger hervorgeht – und an dessen Ende sich Konkurrent Pittella und Tajani dann doch noch in den Armen liegen und alle im Plenum tosend applaudieren. Der politische Anstand scheint urplötzlich zurück.
Seitdem ist es, was vorauszusehen war, merklich ruhiger geworden um Tajani, der die Rolle des Präsidenten im EP gänzlich anders ausübt als sein Vorgänger. So verwundert es nicht, wenn Tajani immer wieder als Anti-Schulz bezeichnet wird. Tajani will der Präsident aller im Europaparlament sein, sagt er. Dazu gilt er qua Herkunft als Mann, der die Anliegen des Südens vertritt. Mit Tajani hat das Europäische Parlament demnach wieder einen unauffälligen Präsidenten, einerseits. Andererseits einen, der mit seinem Auftreten als italienischer Gentleman, mit seinen weißen Haaren, seiner ruhigen Art zu reden, durchaus präsidialen Charme ausstrahlt. Der aber auch weniger aus der Ruhe geraten muss als Schulz. Die Sache mit dem Brexit läuft, irgendwie, aber sie läuft. Und Europa redet nicht mehr über Le Pen. Es redet nun über Macron. Das dürfte auch den Alltag eines EP-Präsidenten etwas angenehmer machen.
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