Mangelnde Flexibilität kann man Maryline Sautrez nicht vorwerfen. Mehrmals in ihrem Leben muss sich die heute 53-jährige Französin beruflich umorientieren und durchhalten. Als sie jedoch ihren Job als Sekretärin verliert, wird sie völlig aus der Bahn geworfen. Das war vor vier Jahren. „Ich dachte, das wäre eine Stelle bis zur Rente“, sagt Sautrez. Der Kreislauf von mangelndem Selbstvertrauen, Selbstzweifeln und Depressionen beginnt.
In ihrem Fall kommen körperliche Beschwerden hinzu. Seit einem schweren Autounfall trägt sie eine Prothese am Fuß. Unter dem psychischen Druck der Arbeitslosigkeit entwickelt sich ein Abszess, eine Vene muss entfernt werden, enorme Muskelschmerzen kommen hinzu. Vor dem Unfall arbeitet die gebürtige Französin in der Kantine eines Unternehmens auf der „Cloche d’Or“ in der Küche. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht“, sagt sie. Nach den Operationen infolge des Unfalls ist klar, in die Küche kann sie nicht zurück.
Sie bildet sich weiter, orientiert sich Richtung Sekretärin um, findet eine Stelle. Die Kündigung nach zwölf Jahren kommt für sie aus heiterem Himmel. „Das hat mich schwer getroffen“, sagt sie. Auf dem Weg zu der Frau, die heute in einer Escher Anwaltskanzlei selbstsicher und strahlend Besucher an der Tür empfängt, hilft die „Initiativ Rëm Schaffen“. Seit zweieinhalb Jahren ist Maryline geschieden, seit einem Jahr arbeitet sie wieder und engagiert sich ehrenamtlich bei „Handicap International“.
Viel Zeit zum Zuhören
Menschen wie sie sind das Klientel von Marceline Filbig (55). An der Tür ihres Büros in Esch hängen Kinderzeichnungen. Auf ihrem Schreibtisch thront zwischen Stapeln von Papieren eine noch verpackte dicke weiße Kerze. Es sind Geschenke, jedes sagt „Danke“. Die „Initiativ Rëm Schaffen“ versteht sich als eine sozial-psychische Ergänzung zum „Placeur“ bei der „Agence pour le développement de l’emploi“ (ADEM). „Wir betrachten die Menschen ganzheitlich“, sagt Filbig. Der kleine Verein mit drei Büros und drei Mitarbeitern an drei Orten in Luxemburg macht sich seit 30 Jahren zur Aufgabe, Menschen ohne Arbeit zu begleiten und zu coachen. „Um die Arbeitslosigkeit ranken sich ja zahlreiche andere Problematiken“, sagt Filbig. „Nur der Job und das Geld sind es ja nicht.“
Deshalb verfolgt der Verein einen komplementären Ansatz. „Wir nehmen uns hier viel Zeit, um zu schauen, was für den Menschen, der hier sitzt, das Wichtigste ist“, sagt Filbig. „Jeder kann irgendetwas gut, man muss es nur herausfinden.“ Nach 25 Jahren Beratung weiß sie: „Manchmal ist die Kündigung eine Chance, etwas völlig Neues anzufangen.“ Manchmal reicht dafür schon ein Besuch bei ihr. In den allermeisten Fällen aber läuft es wie bei Maryline: Sie brauchte regelmäßige, mehrmalige Begleitung auf dem Weg in die neue Richtung.
Die internen Zahlen der Initiative belegen das. Die letzte veröffentlichte Statistik stammt aus 2018, die Zahlen für 2019 werden noch bearbeitet. Darin verzeichnet der Verein 149 neue Klienten im Escher Büro, noch einmal 55 melden sich im selben Jahr in der Ettelbrücker Zweigstelle an, in der Hauptstadt sind es 72. Das ergibt insgesamt 276 Hilfesuchende bei 445 Beratungsgesprächen in dem Jahr.
Mit 81 Prozent repräsentieren Frauen den weitaus größten Anteil an denen, die Hilfe suchen. 1989 waren sie die Zielgruppe, der Verein wurde eigens für sie gegründet – und zwar von einem Mann. „Rëm Schaffen“ steht für den Wiedereinstieg nach der Kinderpause. Das betraf damals vor allem Frauen. 30 Jahre später hat sich die Zielgruppe allerdings stark geändert. Inzwischen finden auch Männer den Weg zum Verein. „Es gibt noch Frauen – vor allem in meinem Alter –, die lange pausieren wegen der Kinder“, sagt Filbig. „Aber es werden immer weniger.“
Immigranten und „Working Poor“
Heute ist die Betreuungssituation viel besser als für die früheren Generationen von Müttern. Und: „So lange auszusetzen ist keine Option mehr, weil das Leben so teuer ist“, sagt Filbig. Noch etwas hat sich in den vielen Jahren des Bestehens des Vereins geändert: die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Gesellschaft. Das spüren Organisationen wie „Rëm Schaffen“. Luxemburg ist nicht nur Grenzgänger-, sondern auch Einwandererland.
Vor Filbig sitzen oft Menschen aus anderen EU- und Nicht-EU-Ländern, deren Abschlüsse in Luxemburg nichts wert sind. Menschen mit luxemburgischer Nationalität stellen etwas mehr als ein Drittel der Hilfesuchenden. Für die anderen müssen Berater wie Filbig neue Perspektiven entwickeln. Zwischen dem ursprünglich erlernten Beruf und den neuen Aufgaben liegen oftmals Welten. „Dann werden erfahrene Mitarbeiter zu Berufsanfängern, was nicht leicht ist“, sagt sie.
Eine zweite Gruppe, die stetig wächst, ist neu. Das sind die „Working Poor“, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen. „Die sind richtig fleißig und schaffen und schaffen“, sagt Filbig. „Am Ende des Monats reicht es trotzdem nicht.“ Diese Menschen arbeiten für mehrere Arbeitgeber in Teilzeit- oder Stundenverträgen. „Sie kommen hierher, weil sie endlich einen Vertrag mit einem Arbeitgeber haben wollen, von dem sie leben können“, sagt Filbig. Vor allem in der Reinigungs- und Gastronomiebranche sei das mittlerweile gängige Praxis. Die Problematik liegt tief: „Diese Menschen können keine Lebensprojekte angehen“, sagt die Beraterin. „Sie wissen meist nicht, was über den nächsten Monat hinaus mit ihnen ist.“
Ältere Arbeitslose und das CRE
Arbeitslose über 50 Jahren kommen hinzu. „Mit 45 Jahren gilt man heute ja schon als ‹alt’“, sagt Filbig. Der von der ADEM als Beschäftigungsmaßnahme entwickelte „contrat de réinsertion-emploi“ (CRE) trägt dem Rechnung. Das erforderliche Mindestalter liegt bei 45 Jahren. Er erleichtert Arbeitgebern die Einstellung älterer Mitarbeiter mit finanziellen Beihilfen. Davon profitiert Maryline Sautrez. Bei ihr kam neben dem Alter die Behinderung durch den Unfall hinzu, die der CRE bei der Anwendung berücksichtigt.
Seit ein paar Tagen läuft Sautrez’ unbefristeter Vertrag in der Kanzlei von Françoise Nsan-Nwet (41) in der rue de l’Alzette. Die aus Paris stammende Anwältin ist noch nicht lange vom hauptstädtischen Boulevard Royal nach Esch gezogen. Nach den Geburten ihrer drei Kinder hat die frühere Wirtschafts- und Steuerfachanwältin, die in international renommierten Kanzleien wie Clifford Chance gearbeitet hat, umgesattelt. Auf Asyl-, Arbeits- und Sozialrecht liegt ihr Fokus, seit sie in Esch ist.
„Ich habe bei ‹Rëm Schaffen› angerufen, weil ich verzweifelt auf der Suche nach Hilfe im Büro war“, sagt Nsan-Nwet. Sie wusste, dass der Verein Weiterbildungen zur Anwaltssekretärin anbietet. Maryline glückt der Sprung in den neuen Job mit über 50 ohne die Weiterbildung. „Sie war sehr ehrlich im Vorstellungsgespräch, das hat mir gefallen“, sagt ihre Chefin. „Sie ist dynamisch und lernt gerne dazu, es hat einfach gepasst.“ Das CRE für sie ist ausgelaufen, Maryline ist glücklich. „Die Begleitung bei ‹Rëm Schaffen› hat mir mein Selbstvertrauen zurückgegeben“, sagt sie rückblickend. «Nach jedem Besuch war mein Rucksack mit Sorgen ein bisschen leichter.“
Die Büros von „Initiativ Rëm Schaffen“
Die Asbl. hat Büros an drei Standorten: 110, avenue Gaston Diderich, L-1420 Luxemburg,
Tel: 25 02 49, E-Mail: info@remschaffen.lu; 41, rue de Luxembourg, L-4220 Esch/Alzette,
Tel: 53 23 78, E-Mail: esch@remschaffen.lu; 40, avenue Salentiny, L-9080 Ettelbrück,
Tel: 81 11 71, E-Mail: ettelbruck@remschaffen.lu.
Mengt Dir net et giffen zevill déier Strukturen gin?
Vléicht misst och mol verschiedenen Leit gesoot, sie sollen seriö no enger Aarbecht sichen.
Ech sinn en klengen Patron. Vun der Adem kréien ech Kandidaten proposéiert, mir get dann gesoot ech sollen hinnen genügend d'Zéit loossen fir en RV matt mir ze maachen.
Bon, waat geschitt dann do an Wirklechkeet? Ma, bis 80 % mellen sech emool net.