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Wieso die irische Grenze die Brexit-Verhandler so verzweifeln lässt – Antworten auf die wichtigsten Fragen

Wieso die irische Grenze die Brexit-Verhandler so verzweifeln lässt – Antworten auf die wichtigsten Fragen

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Die künftige Grenze zwischen Irland und Nordirland ist seit Monaten Haupthindernis für den Abschluss der Verhandlungen über einen Austrittsvertrag, der einen geordneten Brexit ermöglichen soll. Doch wieso ist das ein solches Problem? Wovor hat London Angst? Wovor die EU? Und vor allem: Was macht das mit den Menschen in Irland, im Norden wie im Süden? Antworten zu den wichtigsten Fragen.

Wieso überhaupt die ganze Aufregung um die irische Grenze?

499 Kilometer misst die Grenze, die Irland in zwei Teile trennt. Südlich der Grenze liegt die Republik Irland, die zur Eurozone gehört, aber nicht zum Schengenraum. Nördlich liegt die britische Provinz Nordirland. Seit dem 1998 geschlossenen Karfreitagsabkommen, das den «Troubles» genannten Unruhen in Nordirland ein Ende bereitete, ist die Grenze offen. Überquert man sie heute von Süden nach Norden mit dem Auto, macht sich die Überfahrt von einem Teil Irlands in den anderen nur bemerkbar dadurch, dass die maximal erlaubte Höchstgeschwindigkeit nicht mehr in Stundenkilometern, sondern in Meilen angezeigt wird. Kontrollen gibt es hier seit dem Good Friday Agreement keine mehr; im Gegensatz etwa zur deutsch-österreichischen oder zur slowenisch-österreichischen Grenze (was wiederum alles Schengen-Staaten sind). Die innerirische ist demnach  eine unsichtbare Grenze. Keine der beiden Seiten will, dass dort wieder Zollhäuschen aufgebaut werden – was bei einem harten Brexit aber unweigerlich der Fall wäre.

 

 

Was bedeutet eigentlich eine «harte» Grenze?

Eine harte Grenze bedeutet eben genau das: Dass an ihr wieder Zollstationen stehen werden, mit Zollbeamten, Polizisten und vielleicht sogar Militär – was in Irland, Norden und Süden, böse Erinnerungen weckt. Menschen, die die Grenze zurzeit jeden Tag überqueren, ohne kontrolliert zu werden, müssten dann Wartezeiten in Kauf nehmen. Das könnte zu Ärger führen und kostet viel Geld. Doch mehr als das. Zollstationen waren während der Troubles bevorzugte Anschlagsziele der republikanischen Dissidenten aus dem Norden, deren bekannteste Gruppierung die IRA war. Nicht wenige befürchten ein erneutes Aufflammen der Gewalt. Der Konflikt könnte wieder hochkochen, weil die nordirischen Iren sich durch eine harte Grenze vom Süden isoliert fühlen würden.

Wieso würde dann an der Grenze kontrolliert?

Falls das Vereinigte Königreich die Europäische Union ohne Abkommen verlässt, ist es auch nicht mehr Teil der Zollunion und des Binnenmarktes. Folglich müssten Waren, die die Grenze passieren, wieder kontrolliert werden.

 

Seit Februar ist die irische Grenze auch auf Twitter – und es ist großartig. Hier der Eröffnungstweet:

 

Was will die EU, was will das Vereinigte Königreich mit der Grenze anstellen?

Keiner will eine harte Grenze. Was schon mal gut ist. Doch es gibt einen Haken. EU und UK können sich nicht einigen, wie das erreicht werden soll. Stand jetzt sieht es so aus: Im Dezember 2017 wurde beschlossen, im Austrittsabkommen festzuschreiben, dass die Grenze offen bleiben soll, auch wenn es keine Einigung zum Brexit gebe. Die Lösung müsse dann eventuell in einem extra Abkommen zur Nordirland-Frage gefunden werden. Man spricht dabei von einem sogenannten Backstop. Im vergangenen März einigten sich London und Brüssel darauf, dass dieser Backstop mehr sein müsse als eine politische Willenserklärung. Es würde vielmehr ein juristischer Rahmen gebraucht. Der Backstop kann demnach als Art Versicherung verstanden werden, falls beide Seiten sich nicht auf ein zukünftiges Handelsabkommen einigen können.

Wo ist das Problem?

Die EU schlägt vor, dass Nordirland nach dem Brexit in der Zollunion bleibt und auch Teile des Binnenmarkts weiterhin gelten. Für die britische Regierung unter Premierministerin Theresa May kommt das nicht in Frage. Es würde nämlich bedeuten, dass die Zollkontrollen in der Irischen See zwischen Nordirland und Großbritannien stattfinden müssten. Das würde mit sich bringen, dass für die verschiedenen Provinzen des Vereinigten Königreiches unterschiedliche Regeln gelten würden – für May (und nicht nur für sie) ein absolutes No-go. Ein weiteres Hindernis ist die erzkonservative nordirische Partei DUP (Democratic Unionist Party) unter ihrer Chefin Arlene Foster. Die DUP lehnt einen solchen Vorschlag radikal ab. Foster sprach hierbei nicht von einer roten Linie, sondern von einer  „blutroten Linie“, sollte Nordirland anders behandelt werden als Rest-UK.

Wieso kann diese Regionalpartei so mitreden?

Das hat sich May selber eingebrockt. Bei den von ihr selber ausgerufenen vorgezogenen Neuwahlen im Juni 2017 schnitt die Tory-Partei der Premierministerin so schlecht ab, dass sie auf die zehn DUP-Abgeordneten im britischen Parlament in London angewiesen ist. Ihre Mehrheit ist seitdem so knapp, dass sie ohne die DUP kaum ein Brexit-Gesetz durchbringen könnte.


Arlene Foster bei Michel Barnier in Brüssel: «Blutrote Linien»

 

Was schlagen die Briten denn vor, um aus dem Schlamassel herauszufinden?

Im vergangenen Juli hat May einen Plan vorgestellt, der geläufig «Chequers» genannt wird, nach dem Landsitz der britischen Premierministerin im Norden Londons. Offiziell heißt der Plan «The Future Relationship between the United Kingdom and the European Union». Diesem zufolge soll eine Grenze überflüssig werden, indem ein Regelwerk zwischen UK und EU für bestimmte Industriegüter und Agrarprodukte erarbeitet wird. So würden Kontrollen entfallen.

Das klingt doch nach etwas, wieso klappt das trotzdem nicht?

Das Problem dabei: May hat massiven Gegenwind in ihrer Konservativen Partei gegen diesen Plan. Unter anderem Boris Johnson und David Davis (ehemals ihre Minister für Äußeres und für den Brexit) kämpfen dagegen an. Sie werfen May vor, dass laut Chequers-Plan die EU die Regeln alleine diktieren dürfe, London sie aber befolgen müsse. Auch die EU steht dem Chequers-Plan skeptisch gegenüber und zieht die eigene Backstop-Idee vor. Am Backstop-Vorhaben sind auch die Gespräche am vergangenen Sonntag gescheitert. Die EU will keine zeitliche Befristung für den Backstop. Die Briten aber pochen darauf, da sie befürchten, sich andernfalls ewig (oder zumindest auf unbestimmte Zeit) an EU-Regeln halten zu müssen. Das erschwere dann die eigenen Anstrengungen, Handelsabkommen mit anderen Staaten auszuhandeln, do die Kritik.

Heute wird kein Wunder geschehen

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn am Mittwoch im ZDF-Mittagsmagazin

Am Mittwochabend beginnt in Brüssel der EU-Gipfel mit dem Thema Brexit – ist ein Durchbruch zu erwarten?

Eher nicht. Vielmehr wird nach Lösungen gesucht, um wieder Schwung in die blockierten Verhandlungen zu bringen. Der Chefverhandler der EU, der Franzose Michel Barnier, habe gegenüber Großbritannien die Bereitschaft erklärt, «mehr Zeit in der Übergangsphase zu erlauben», um nach dem Brexit im März 2019 eine Verhandlungslösung für die Grenze zwischen Irland und Nordirland zu finden, bestätigte der irische Außenminister Simon Coveney der BBC. Großbritannien und die EU haben sich bereits auf eine 21-monatige Übergangsphase bis Ende 2020 verständigt, in der das Vereinigte Königreich noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion bleiben soll. Barnier habe die Option der Verlängerung am Dienstag in Luxemburg lediglich «erwähnt», hieß es von zwei Diplomaten übereinstimmend, wie die Nachrichtenagentur AFP schreibt. Wobei alleine eine solche «Erwähnung» die Brexiteers wahrscheinlich schäumen lassen wird. Das Ziel Barniers wäre es, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, auf eine Notlösung für die Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland zurückgreifen zu müssen, sagte ein Diplomat. Ein konkreter Vorschlag an die 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten sei dies aber noch nicht gewesen. Barniers Vorschlag werde das Nordirland-Rätsel «nicht auf wunderbare Weise lösen», sagte ein weiterer Diplomat. Wichtig sei es, die eigentlichen Probleme anzugehen. «Wenn man dann findet, dass man einige Monate mehr braucht, werden wir das tun. Aber das ist keine Lösung an sich.»