Im Februar 1992 kam es zu einem Telefonanruf, der Luxemburg verändern sollte. Antoine Barthel von der Restena telefoniert mit dem Amerikaner Jon Postel. Damit läutet er den Anfang des Luxemburger Webs ein.
„I found your letter. This looks good to me“, sagte Jon Postel an jenem denkwürdigen Abend im Februar 1992. „The domain will be activated under Restena’s responsibility.“ Das kurze Telefongespräch, das der Luxemburger Informatikprofessor Antoine Barthel mit dem Mann aus Kalifornien führte, sollte die Geschichte des Landes verändern.
Denn Barthel hatte damit gemeinsam mit seinen Kollegen Théo Duhautpas und Alain Frieden die Zeit des Webs in Luxemburg eingeläutet. Die drei arbeiteten beim Bildungsnetzwerk Restena. Dass ausgerechnet sie Luxemburg ans WWW anschlossen, war das Resultat einer digitalen Odyssee. Und ihre Reise hätte an mehreren Hürden scheitern können.
30 Jahre WWW: Das Netz und Luxemburg
„Klick!“ Am 12. März 1989 schlug der Brite Tim Berners-Lee im Forschungszentrum CERN ein System vor, mit dem sich Wissenschaftler einfacher über das Internet austauschen können: Das WWW war geboren.
Die Redakteure des Tageblatt-Webdesks berichten in den folgenden Wochen, wie WWW und Internet in Luxemburg Einzug gehalten haben – und wie das Netz von heute funktioniert.
22 Jahre zuvor: Im Oktober 1969 wurde über ein Netzwerk aus Computern an der Universität von Kalifornien eine Nachricht verschickt. Diese lautete „login“. Bei dem Netzwerk handelte es sich um den Vorgänger des Internets: das Arpanet (Advanced Research Projects Agency Network). Sein Aufbau wurde vom amerikanischen Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben. Bis zur Entwicklung des World Wide Web – und bis Milliarden von Menschen über die Datenleitungen surften – sollten noch Jahrzehnte vergehen. Zuerst war das Netz ein Kommunikationsnetzwerk für Forscher und Militärs.
Erst 1988 gründete der amerikanische Informatiker Jon Postel in einer Zusammenarbeit mit dem Pentagon die IANA (Internet Assigned Numbers Authority) und schuf damit die zentrale Stelle für die Zuordnung von IP-Adressen und Domain-Namen. Postel war damit verantwortlich für die Vergabe der Top-Level-Domains – also jener Endung, die wir heute als .com, .de, .fr kennen. Oder als .lu.
Aber wer sollte in Luxemburg Ansprechpartner für Postel sein? Die Post mit ihrem Telekommunikationsbereich erschien für die Aufgabe, IP-Adressen zuzuordnen, am geeignetsten. Doch eine andere Entwicklung machte dem einen Strich durch die Rechnung: Die Liberalisierung des Telekommunikationssektors und das 1986 eingeführte „Videotex“ – das nicht den erwünschten Erfolg lieferte – verdarben dem Staatsunternehmen die Lust auf Abenteuer. Die P&T waren nicht bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.
Wie verschicke ich eine Anfrage per E-Mail ohne Internet?
Es musste eine andere Lösung her, um zu verhindern, dass das Luxemburger Web unter die Kontrolle eines Privatunternehmens fallen würde. Und da kam Restena (Réseau téléinformatique de l’Education nationale et de la Recherche) ins Spiel. Ursprünglich wurde das Netzwerk 1989 vom Bildungsministerium gegründet, um Luxemburgs Bildungseinrichtungen miteinander zu verbinden.
Bevor die Restena-Leute Barthel, Duhautpas und Frieden ihre Anfrage bei der IANA und Jon Postel stellen konnten, mussten einige Probleme gelöst werden, sagt der heutige Restena-Direktor Gilles Massen. Denn Luxemburg war nicht an den amerikanischen Teil des Internets angeschlossen. Die Kontaktaufnahme mit Jon Postel und der IANA gestaltete sich schwierig – denn Anfragen sollten per E-Mail gestellt werden.
Die Lösung kam von einem ehemaligen Studenten von Duhautpas. Der hatte beim „Institut supérieur de technologie“ (IST) in Luxemburg studiert und lebte damals im kanadischen Calgary. Der Student legte für Restena einen E-Mail-Account an. Darüber konnten die Anfragen endlich verschickt werden.
Es fehlte nur die physikalische Verbindung mit dem amerikanischen Netz. Schließlich fand sich eine Konnexion über das nationale niederländische Forschungszentrum für subatomare Physik (NIKHEF) in Amsterdam, das eine Verbindung über den Atlantik hatte. Und so kamen die Anfragen für Luxemburgs IP-Adressen und die Top Level Domain „.lu“ endlich auf den Schreibtisch von Jon Postel.
Eine Antwort aber gab es nicht. Stattdessen herrschte mehrere Wochen lang Funkstille. Hatte Postel die nötigen Unterlagen erhalten? Hatte alles geklappt? Barthel versuchte die IANA telefonisch zu erreichen, aber Postel hatte keine Zeit für die Luxemburger. Erst im Februar 1992 bekam er endlich den Amerikaner an den Hörer: „Das sieht gut für mich aus“, bestätigte ihm dieser. Und damit wurde Luxemburg zu einer Web-Nation.
Am 14. Februar 1992 bekam Restena 65.536 (216) IP-Adressen zugeteilt. Einen halben Monat später, am 3. März, war der Domainname „.lu“ ebenfalls zugesichert. Die ersten Luxemburger Websites gingen ans Netz: restena.lu, menvax.lu, men.lu, crpht.lu und crpcu.lu. Von diesen fünf Seiten existieren heute in gleicher Funktion noch restena.lu und men.lu.
Das waren die ersten fünf Luxemburger Webseiten:
– restena.lu, die Seite des Bildungsnetzwerks Restena;
– men.lu, die Seite des „Ministère de l’Education nationale“;
– menvax.lu – VAX ist der Name eines Computers, der in Luxemburg stand;
– crpht.lu, die Seite des „Centre de recherche public Henri Tudor“;
– crpcu.lu, die Seite des „Centre de recherche public Centre universitaire“.Nur die Webseiten restena.lu und men.lu existieren heute noch.
Warum schloss gerade Restena Luxemburg ans WWW an? „Es war naheliegend“, sagt Gilles Massen. Restena war neutral und als Bildungs- und Forschungsnetzwerk auch mit den neuesten technologischen Entwicklungen vertraut. „Damals ist vieles einfach so passiert, ohne großartige Planung“, sagt er. „Es wurde einfach gemacht.“ Niemand habe voraussehen können, dass das Internet einmal so groß sein würde. „Es war eine sehr kollaborative Atmosphäre.“
Mit dem ersten kommerziellen Anbieter nahm das WWW dann in Luxemburg Fahrt auf: Am 1. Juni 1994 wurde Europe Online als die dritte Säule der Luxemburger Medienindustrie vorgestellt.
Ein Ende und die Chance für alternative Anbieter
Das luxemburgisch-ausländische Unternehmen war ein ISP – ein Internet Service Provider, der Menschen und Unternehmen ans Netz anschloss. Doch der Plan ging schief. Nach einem Verlust von mehreren hundert Millionen Luxemburger Franken im Jahr 1995 zogen sich die ausländischen Investoren aus dem Projekt zurück. 1996 war Europe Online bankrott.
Dennoch war in Luxemburg ein Bedürfnis für das WWW entstanden. Das Ende von Europe Online sollte eine Chance für kleinere ISP sein. Das war der Moment für Visual Online. Der Start des Mini-ISP war wesentlich bescheidener als der von Europe Online. Die Freunde Christian Schmit, Claude Schuler, Christian Gatti und Tom Kolbach starteten mit einem Budget von lediglich 600.000 Franken (15.000 Euro). Eigentlich wollten die vier nur einen Klub gründen, dessen Mitgliedern der Zugang zum Internet ermöglicht wurde. „500.000 Franken waren damals das Minimum, um eine S.à r.l. zu gründen“, sagt Christian Schmit. Das war auch damals nicht besonders viel. „Heutzutage wäre es schwieriger, so anzufangen – alleine wegen des ganzen Materials.“ Damals schien es vor allem deshalb zu funktionieren, weil alles sehr klein war. Schmit: „In manchen Firmen wusste man nicht einmal, was eine Webseite ist.“
Schmit kam während seines Studiums am IST auf dem Kirchberg mit dem World Wide Web in Kontakt: „Vorher war das Internet etwas mit Mailboxen und viel Text – und plötzlich kam das World Wide Web“, erinnert er sich. Es gab Bilder und Farben. Und Begeisterung für die neue Technologie – damit ging es los.
„Visual Online fing nicht in der Garage an, sondern in der kleinen Einzimmer-Wohnung meiner Großmutter“, erklärt Claude Schuler. Mit einer einzigen Telefonleitung starteten sie. Schnell wurden daraus 30. Ganz sicher, ob ihre Idee von Erfolg gekrönt werden sollte, waren sich die vier nicht. „Ich arbeitete noch halbtags bei der Versicherung“, erzählt Schuler. Aber Visual Online wurde zur Referenz für die englischsprachige Expat Community und machte sich schnell einen Namen in Luxemburg. Es wurde immer mehr Arbeit: „Irgendwann musste ich mich entscheiden: Internetbusiness oder Versicherungsbranche.“ Schuler ist heute Managing Director bei Visual Online.
Mit einem gelben Würfel ins WWW
Ein Jahr zuvor, im Jahr 1995, hatte P&T bereits einen Internetzugang über eine Direktleitung angeboten. Über das Luxpac-Netzwerk, die Telefonleitung oder ISDN ging es ins Internet. Ein Jahr später kam dann der „Cube Internet“ der Post: Ein Marketing-Gag, der der breiten Masse den Internetzugang als etwas Handfestes verkaufen sollte. In der Pappkiste waren eine CD mit einem Browser, eine Bedienungsanleitung und ein Zugangspasswort. Im Preis inbegriffen war ein ganzer Monat kostenloses Surfen.
Die Übertragungsrate war nicht wirklich schnell. Um den Inhalt einer DVD (rund 4,7 Gigabyte) über das Telefonnetz (PSTN = Public Switched Telephone Network) mit einem 56k-Modem runterzuladen, hätte man 87 Tage gebraucht. Mit ISDN (Integrated Services Digital Network) hätte es „nur“ noch 58 Tage gedauert. In der Ära vor DSL wurde der Datenverkehr bei P&T in Minuten gerechnet. Daran lässt sich auch Luxemburgs Gang ins Netz ablesen: 1996 verbrachte das Land 6.720.945 Minuten im Netz. 1997 waren es schon 26.073.420 Minuten, 1998 stieg die Zahl auf 77.473.852. Im Jahr 2001 lag sie bei 534.377.387. 2002 wurde LuxDSL eingeführt – ab dann wurden die Online-Minuten nicht mehr gemessen (siehe Tabelle: Minuten im Netz).
Jahr | Minuten im Netz |
1996 | 6.720.945 |
1997 | 26.073.420 |
1998 | 77.473.852 |
1999 | 176.888.104 |
2000 | 364.359.005 |
2001 | 534.377.387 |
1997 gab es bereits 465 Luxemburger Webseiten. Diese wurden in dem von Mike Koedinger publizierten „Guide du multimédia au Luxembourg“ gesammelt – eine Art Telefonbuch für Webseiten. Über die Hälfte der Seiten waren kommerzieller Natur (55%), weniger als ein Fünftel (19%) waren Seiten von Vereinen, 11% waren Homepages, 8% Bildungsseiten und 7% staatliche Webseiten. Weltweit gab es im selben Jahr eine Million Webseiten. 1994 stammten noch mehr als die Hälfte aller Seiten aus dem Bildungs- und Forschungsbereich.
Ein Boom, dessen Klang noch nicht verhallt ist
Die Zahl von Internet-Nutzern und Websites nahm stetig zu. Das hatte auch Auswirkungen auf die Preise. Die Kosten pro Minute lagen Mitte der Neunziger bei 12 Franken (0,3 Euro) über das 56k-Modem. Durch bessere Übertragungsraten und neue Technologien – wie Flash oder RealVideo – hielten kleine Videos und Animationen Einzug. Doch bis 2000 blieb das Netz größtenteils „read-only“ und ohne viele Nutzerbeiträge. Im Nachhinein spricht man vom Web 1.0.
Neben P&T gab es in den Neunzigern 15 weitere ISP-Unternehmen: CMD, Compuserve, Connexion Interway, Eunet, Digit 352, HermesNet, IBM Global Network, Imaginet, Infopartners, Innet, Klinke & Co, Selection Line, Téléphonie, Luxembourg Online und Visual Online. Nur zwei der Unternehmen gibt es noch heute: Luxembourg Online und Visual Online. Visual Online ist seit dem Jahr 2000 Teil der Post-Gruppe.
Mit dem Einzug der DSL-Technologie änderte sich viel im Netz. Zum Beispiel die Übertragungsraten. DSL ließ es zu, dass Nutzer die Daten einer DVD in einer Stunde herunterladen konnten. Die schnellste Verbindung, die man heute in Luxemburg bekommt, schafft das in nur wenigen Sekunden. Die Zeit des interaktiven Netzes begann um die Jahrtausendwende. 2001 ging die Online-Enzyklopädie Wikipedia ans Netz, 2003 wurde Skype gegründet, 2004 ging Facebook an den Start. Dann kamen YouTube und Twitter. Übrigens: Amazon verkaufte bereits 1995 sein erstes Buch im Netz – und nur ein Jahr später erzielte der Online-Buchhändler einen Umsatz von 15,7 Millionen Dollar.
Die Entstehungsgeschichte
„Am Anfang war der Hypertext, und der Hypertext war bei Timothy John Berners-Lee …“ So oder so ähnlich könnte das Timothy-John-Evangelium der Internet-Bibel des 21. Jahrhunderts klingen. Der britische Ingenieur gilt als der Erfinder des World Wide Web.
Vor 30 Jahren – am 12. März 1989 – machte Berners-Lee seinem Vorgesetzten am CERN, Mike Sendall, einen Vorschlag: Er fand, dass es an dem Teilchenforschungszentrum ein Problem gab, wodurch der Informationsfluss erschwert wurde. Berners-Lee entwickelte ein System, um das zu lösen.
Lapidar kommentierte Sendall die Idee mit „vague, but exciting“.
Was daraus werden sollte, konnte damals noch niemand wissen. Basierend auf der Arbeit der Hypertext-Pioniere Vannevar Bush und Ted Nelson entwickelte Berners-Lee die Grundlagen des WWW: die Hypertext Markup Language (HTML), den Uniform Resource Locator (URL) und das Hypertext Transfer Protocol (HTTP). Und dann ging die erste Website online.
(Quellen: Dipl. Ingenieur Marco Barnig, Wikipedia, P&T, Visual Online, Internethistorikerin Valérie Schafer von der Uni.lu)
Lesen Sie dazu den Kommentar von Pascal Federspiel.
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