Als universal gebildeter Wissenschaftler wäre Alexander von Humboldt wohl heute so etwas wie ein Star. Sein Name ist in Deutschland omnipräsent. 2019 wird sein 250. Geburtstag gefeiert. Über einen Mann, mit vielen Gesichtern.
Von René Oth
Kein anderer Name wurde so oft gebraucht und auch missbraucht. Er ziert Schreibfedern wie Motorenwerke, Berge in China und Gletscher auf Grönland. Er adelt zahlreiche Pflanzen, Tiere und sogar einen Mondkrater. Heute würde man eine Persönlichkeit wie die seine wohl einen «Star» nennen. Alexander von Humboldt (1769-1859), der letzte universal gebildete Wissenschaftler, erwies sich als ein kritischer Verfechter des Fortschritts, als ein außergewöhnlicher Förderer der Kultur und als ein vielseitiger Weltbürger, der zeitlebens den revolutionären Idealen seiner Jugend treu verhaftet blieb.
Er erntete Weltruhm als Begründer der Geophysik, als Entdecker unzähliger Pflanzen- und Tierarten, als Forscher, der die Auswirkungen des Klimas, die Beschaffenheit des Erdinneren und die Struktur der Berge untersuchte, als Verfasser von viel beachteten Reisebeschreibungen, die sich lesen, als seien sie heute geschrieben, sowie als charismatischer Umweltschützer und Menschenrechtler.
Die Amerika-Forschungsreise
Im bibliophilen von Ottmar Ette herausgegebenen Prachtband «Alexander von Humboldt: Das Buch der Begegnungen – Menschen, Kulturen, Geschichten aus den amerikanischen Reisetagebüchern» (Manesse-Verlag, München 2018, 416 Seiten mit 10 Abbildungen, Hardcover, 45,00 Euro, ISBN 978-3-7175-2444-1) ragt ein warmherziger Mensch ohne Berührungsängste heraus, der auf seiner Reise in die amerikanischen Tropen von 1799 bis 1804 eine Vielzahl exotischer Erscheinungen festhielt und als erster Europäer Kolonialismus, Sklavenhandel und christlichen Bekehrungseifer kritisierte. Dabei schreckte er nicht vor strapaziösen Märschen durch kaum erschlossene Wildnis, vor ermüdenden Bergtouren bis in über 5.000 Metern Höhe und vor gefährlichen Paddelfahrten mit dem Einbaum auf Urwaldflüssen zurück.
Dass die Sitten und Gebräuche der indianischen Ureinwohner Alexander von Humboldt in ihren Bann schlugen und er herauszufinden versuchte, inwieweit deren alten Kulte und Verhaltensweisen sich unter dem Einfluss der Kolonialherren aus Europa gewandelt hatten, ergibt sich auch aus des genialen Forschers Schriften, in denen dieser klar zum Ausdruck bringt, dass er weder mit europäischem Hochmut auf die Indianer herabblickte, noch diese, wie es mancher seiner Zeitgenossen tat, in romantischer Verklärung als ‹edle Wilde'» zelebrierte.
Von seiner Amerika-Expedition existiert ein wahrer Schatz, dem Ottmar Ette und Julia Maier die prächtige Neuerscheinung im Schmuckschuber gewidmet haben: «Alexander von Humboldt: Bilder – Welten, Die Zeichnungen aus den amerikanischen Tagebüchern» (Prestel-Verlag, München 2018, 736 Seiten mit reichhaltiger Bebilderung, Format 24 X 34 cm, Hardcover im Schmuckschuber mit Lesebändchen, 148,00 Euro, ISBN 978-3-7913-8312-5) mit 600 farbigen Abbildungen seiner Illustrationen, die von Tier- und Pflanzenskizzen bis zu geometrischen Studien reichen, im Originalformat in Faksimile-Qualität erstehen, in ihrer Vollständigkeit eine unerschöpfliche Quelle des Wissens darstellen und eine völlig neue Facette des genialen rastlosen Denkers erschließen.
Die Russland-Durchquerung
Im neuen von Oliver Lubrich herausgegebenen Band «Alexander von Humboldt: Die Russland-Expedition, Von der Newa bis zum Altai» (Verlag C.H. Beck, Reihe «textura», München 2019, 220 Seiten, Klappenbroschur, 18,00 Euro, ISBN 978-3-406-73378-9) wird in einer Mischung von Forschungsbericht und Reiseeindrücken des Naturwissenschaftlers zweite Weltreise im Jahr 1829 durch das russische Asien in allen Details nachvollzogen – von Petersburg über Moskau in den Ural, ins Altai-Gebirge, zum Kaspischen Meer und bis nach Baty an die chinesische Grenze. Insgesamt waren der Universalgelehrte und seine Begleiter mehr als 18.000 Kilometer in den Weiten des eurasischen Kontinents unterwegs.
Hatte Humboldt vor 30 Jahren seine Lateinamerika-Reise als unabhängiger Forscher unternommen, so musste er sich diesmal unter den Bedingungen einer Diktatur im staatlichen Auftrag fortbewegen, da die russische Regierung im Namen des Zaren Nikolaus I. die Route und das Reisetempo festlegte, das Unternehmen finanzierte und bestimmte Resultate erwartete.
Das preußische Erbe Humboldts
In einem weiteren neuen Sachbuch «Alexander von Humboldt: Der Preuße und die neuen Welten» (Siedler-Verlag, München 2018, 288 Seiten, Hardcover mit vierfarbigem Schutzumschlag, 20,00 Euro, ISBN 978-3-8275-0074-8) heftet sich Rüdiger Schaper auf die Spuren dessen fesselnden und ereignisreichen Daseins, indem der Autor vor allem aus der Perspektive der letzten Lebensjahrzehnte, die der Forschungsreisende nach seinen Entdeckerjahren in Übersee weitgehend in der von ihm ungeliebten preußischen Heimat verbrachte, der schillernden Persönlichkeit des Universalgelehrten gerecht zu werden versucht.
Hier schildert Rüdiger Schaper auf kurzweilige Art Querdenkerisches und Facettenreiches aus Humboldts Kosmos und zeigt auf, wie diese welthistorische Figur erst nach der Rückkehr in ihre Geburtsstadt Berlin, zu der sie ein zwiespältiges Verhältnis pflegte, Geist und Materie, Natur und Geschichte, Wissenschaft und Kunst und die eigenen Reiseabenteuer in ein universelles System überführte.
Dass der preußische Virtuose nicht nur die Neue Welt wie vor ihm kein anderer erforschte und dabei jede Einzelheit ergründen und verstehen wollte, ausgemessen bis in den letzten Winkel der Tiefsee, in die Strukturen der Atome, in die Bausteine unserer Erbanlagen, ist als Grundgedanke allen Neuerscheinungen gemeinsam, in denen immer wieder betont wird, dass der geniale Wissenschaftler bei all seinen Messungen nie das Verständnis für das «Zusammenwirken der Kräfte» verlor und allen Vorgängen mit eigenen Augen nachhing, unvoreingenommen, sachlich und kühl, ohne auf spekulative Mutmaßungen zurückzugreifen.
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