In Sabine Schiffners Band „wundern“ gehen die Gedichte oft von einer alltäglichen Wahrnehmung aus, dem Flug einiger Kraniche, einem Portemonnaie aus schwarzem Leder, dem Vibrieren des Armbandes, und knüpfen sich hinein in die Windungen, die der Kopf des lyrischen Ichs offenhält. So entstehen kleine Netze, in denen sich Vergangenheit verfängt, Reiseeindrücke, Schlaflosigkeit und Lustbeschreibung. Eine Kartografie zurückgelegter Lebensstrecken. Einige dieser Zeilenwege führen nach Israel, nach Georgien, Polen, in die Ukraine, andere in Momente der Kindheit, der Jugendjahre, in Augenblicke, die eine Mutter durchlebt hat. Die Lieblingsschriftsteller der Autorin spielen bei diesen Reisen eine Rolle, Joseph Roth, Rose Ausländer, aber auch die plötzlich erschreckend gleislose Landschaft von Birkenau. Am stärksten aber packen einen diese Verse dort, wo das lyrische Ich im Mittelpunkt steht und nicht die Geschichte oder ein Ort. Diese sehr persönlichen Texte beschreiben innere fragile Zustände, Momente, in denen man Mut zu etwas fassen könnte und es dann doch lässt, weil die Schwere einen im Griff hat. Es sind verdichtete Erinnerungen an Gewalt, Unterwerfung, an Verlust, an schicksalshafte Entscheidungen, an Schönheit und Leere. Dabei warten diese Zeilen mit sehr leiser Stimme auf. Sie sagen scheinbar Dinge einfach so nebenher, als sei das Gesagte ephemer, nicht wirklich von Bedeutung. Aber zugleich legt ihr Klang eine bleibende Spur durch äußeren Ort und Innerlichkeit. Es fällt schwer, sich diesem wunderbar poetischen Ton zu entziehen, so kraftvoll ist die Beiläufigkeit. Da will etwas in Sprache hinein – man spürt den Drang –, und tut dies trotzdem, wenn nicht flüsternd, so doch mit Zurückhaltung, artikuliert sich verletzlich, dabei unfassbar offen, ja, brutal direkt. Eine Sprachmischung, der man einfach zuhören muss.
Sabine Schiffner setzt öfter den Reim ein, ohne dass dieser aufdringlich wirken würde. Mal ist es ein End-, mal ein Kreuz-, mal ein Binnenreim, der verspielt den Gleichklang anstimmt. Und auch das passt zu den Stimmungsbildern, die zuweilen minimale Geschichten erzählen. Selbst die Kapitelüberschriften „wunder“, „wunden“, „verschwunden“, „gefunden“ beschwören solche Assonanzen, zeigen zugleich, wie nah Gewinn und Verlust beieinander liegen.
Das letzte Kapitel trägt den Titel „schluss“ und spricht über den Tod. Der Gedanke an diesen schwang auch vorher in vielen Poemen mit, selbst dort, wo die blühende Natur evoziert wurde, aber nun wird er konkret verhandelt, das Absterben der Blumen bei Frost, Vögel, die beim Balzritual eine Glasscheibe übersehen, der verstorbene Klavierlehrer, der verstorbene Großvater und der Freund und Dichter Rolf Persch, der kurz vor seinem Tod das mitgebrachte Gebäck in den Tee tunkt und „… er mag mir nicht sagen / dass ihm die printe schon gar /nicht mehr schmeckt“.
Etwas Trauriges beherrscht diese Verse, ein melancholischer Tau liegt auf ihnen, der im warmen Schein der Leselampe nach und nach in uns Leserinnen und Leser hinein verdunstet, uns auflöst ins eigene Leben.
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