Die erste Reaktion auf die neuen Affenpocken-Ausbrüche in der EU waren bei vielen Menschen zunächst häufig: „Oje, nicht schon wieder das nächste Virus“. Während Experten versicherten, dass die Krankheit keine neue Pandemie auslösen werde, kristallisierte sich immer mehr heraus, dass die Pockenart bestimmte Menschengruppen häufiger erkranken lässt als andere. Immer häufiger fällt die Beschreibung „Männer, die Sex mit Männern haben“ (MSM) bei der Aufzählung der Gruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko.
Schnell folgten darauf Aufrufe zur Vorsicht: Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) warnte beispielsweise laut ZDF vor der Diskriminierung Homosexueller. Und auch die Luxemburger Grünen-Abgeordneten Josée Lorsché und Marc Hansen wiesen in einer parlamentarischen Anfrage von Ende Juni darauf hin, dass eine auf die sexuelle Orientierung ausgerichtete Kommunikation zum Thema Affenpocken in doppelter Hinsicht kontraproduktiv sei. „Auf der einen Seite könnten die Betroffenen ihre Krankheit aus Angst vor diskriminierenden Reaktionen verheimlichen. Auf der anderen Seite könnten sich Personen, die nicht zu den oben genannten Gruppen gehören, nicht angesprochen fühlen und die notwendigen Schutzmaßnahmen vernachlässigen“, schreiben die beiden Politiker in der Anfrage.
Befragen von Infizierten zum Informieren der Kontakte
Aber wie genau entsteht eigentlich die Beschreibung einer solchen Gruppe mit erhöhtem Ansteckungsrisiko? Und wie wird festgestellt, ob dieses Risiko tatsächlich etwas mit der sexuellen Orientierung und nicht etwa mit anderen Faktoren zu tun hat? Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten, erklärt am Freitag gegenüber dem Tageblatt, dass bei einem erkannten Infektionsfall zunächst einige Daten abgefragt würden. Neben Dingen wie dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geschlecht gehörten dazu auch Informationen wie die Anzahl der sexuellen oder engen körperlichen Kontakte in der letzten Zeit.
Das hänge auch damit zusammen, dass man die besagten Kontakte zeitnah informieren und ihnen auch eine Impfung anbieten können müsse. Im Gegensatz zum Coronavirus kann nämlich eine rechtzeitige Impfung innerhalb der ersten rund vier Tage nach dem Kontakt mit dem Infizierten eine Infektion oft vollständig verhindern. Das erklärte das Luxemburger Gesundheitsministerium erst am Donnerstag in einer Pressemitteilung zur Affenpocken-Impfung. Mit einer Impfung in der Zeit zwischen dem vierten und dem 14. Tag nach dem Kontakt könne man immerhin oft die Krankheitssymptome abschwächen. Die Inkubationszeit betrage bei den Affenpocken etwa 14 Tage, sagt Schockmel.
Auch Frauen haben Infektionsrisiko
Generell gelte laut Schockmel, dass man sich leicht über engen Hautkontakt mit den Affenpocken infizieren könne – vor allem, wenn die infektiösen Hautveränderungen Teil der Symptome seien. „Das Risiko hat man nicht, weil man homosexuell ist, sondern wenn man zum Beispiel häufig wechselnde Sexualpartner hat“, so der Infektiologe. Menschen, die häufig ihre Sexualpartner wechseln, würden diese häufiger nicht so gut kennen, wie es beispielsweise in einer festen Partnerschaft der Fall sei. Das Risiko sei dann wiederum, dass man das Risikoverhalten von Menschen, die man nicht gut kenne, selbst auch nicht gut einschätzen könne, schlussfolgert Schockmel. „Wenn ein Mann infiziert ist und dann engen Kontakt mit einer Frau hat, besteht für diese natürlich auch ein Risiko.“
Der Virologe Dr. Claude Muller vom „Luxembourg Institute of Health“ (LIH) sagte zudem in einem Tageblatt-Interview im Mai zum Thema Affenpocken bei Homosexuellen: „Ich glaube, dass es in der Tat eine Art Verzerrung ist. Wenn zufällig in einer Community eine Person infiziert ist, dann ist bei einer Krankheit, die über Körperflüssigkeiten übertragen wird, das Risiko groß, dass diese sich dort weiter verbreitet. Es ist aber keine Krankheit, die diese Menschen bevorzugt befällt.“
Es gebe laut Schockmel auch Geschlechtskrankheiten, bei denen das eine Geschlecht häufiger Symptome entwickele und das andere dagegen eher Überträger sei und öfter keine Symptome entwickele. Ob so etwas bei den Affenpocken ebenfalls der Fall sein könnte, sei aufgrund fehlender Studien dazu derzeit nicht klar, sagt Schockmel. Bei einigen Krankheiten seien beispielsweise Frauen eher als Männer betroffen, weil es beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr das Risiko gebe, dass sich beim Eindringen ein oder mehrere kleine Risse an der Vulva bilden und so die möglichen Krankheitserreger schnell in den Körper gelangen könnten.
Ansteckungen nicht nur über sexuellen Kontakt
Ob das Affenpocken-Virus nun eine Geschlechtskrankheit sei, werde noch diskutiert, sagt der Facharzt. Das Virus werde zwar häufig beim Geschlechtsverkehr übertragen, dieser sei für eine Übertragung aber nicht zwingend notwendig. „Wer einfach nur im selben Bett mit jemandem schläft, der infiziert ist, oder dieselbe Bettwäsche oder Kleidung benutzt, kann sich auch anstecken“, sagt Schockmel. Das sei zudem eine Erklärung dafür, dass es bereits Infektionen bei Kindern gab, da Eltern ohnehin fast immer engen Kontakt mit ihren Kindern hätten.
Dass derzeit vermehrt über Dinge wie Impfungen und Medikamente gesprochen werde, sei für den Infektiologen nicht sonderlich verwunderlich. „Die Affenpocken gibt es ja zum Beispiel in Afrika schon seit Jahrzehnten. Aber wenn dann der ‚reiche Westen’ betroffen ist, dann werden die Rufe nach Impfstoffen und Diagnostik laut“, sagt er. „Es wäre vielleicht gar nicht erst so weit gekommen, wenn man den Menschen in den bisher betroffenen Ländern entsprechende Impfungen angeboten hätte.“
Das Risiko hat man nicht, weil man homosexuell ist, sondern wenn man zum Beispiel häufig wechselnde Sexualpartner hat
In den USA gebe es derzeit beispielsweise mehr Infektionsfälle als verfügbaren Impfstoff, weil über die Zeit, in der die Dosen nicht gebraucht wurden, Teile davon abgelaufen seien. Deshalb werde dort diskutiert, ob man den Impfstoff nicht subkutan, sondern intradermal verabreiche – also statt weiter unter die Haut etwas weniger weit unter der Hautoberfläche, erklärt Schockmel. Davon erhoffe man sich, nur noch mit einem Fünftel der Dosis den gleichen Effekt wie bei der herkömmlichen, subkutanen Art zu erreichen.
Die Ärzte in Luxemburg müssten derweil die Augen offen halten und beispielsweise bei Hautveränderungen oder anderen Affenpocken-Symptomen die Möglichkeit einer Affenpocken-Infektion in Betracht ziehen, um sie auch erkennen zu können. Man könne unter anderem die Hautveränderungen auch für eine andere Geschlechtskrankheit halten, so der Facharzt. Wichtig sei es, bei einem Verdacht einen entsprechenden Abstrich zu machen und ihn in ein Labor zu schicken. So könne man die Kontakte der Infizierten informieren und – falls sie zustimmen – rechtzeitig impfen. „Man darf niemanden stigmatisieren“, sagt Schockmel. Er ergänzt jedoch: „Man muss die Menschen darauf hinweisen, dass bestimmte Verhaltensweisen eben ein Risiko zur Ansteckung darstellen.“
Affenpocken-Fälle in Luxemburg und der EU
Das Luxemburger Gesundheitsministerium hat in einer Pressemitteilung vom Freitag erneut einen Anstieg der registrierten Affenpocken-Fälle im Land gemeldet. Demnach wurden in der vergangenen Woche bis einschließlich Mittwoch (3. August) acht neue Fälle verzeichnet, was die Gesamtzahl der Affenpocken-Fälle hierzulande auf bislang 31 Infektionen erhöht. „Bisher sind alle nachgewiesenen Fälle Männer mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren. Keiner von ihnen wurde ins Krankenhaus eingeliefert“, heißt es in der Mitteilung.
Laut der „Santé“ wurden in 38 Ländern und Gebieten der europäischen Region bisher insgesamt 15.926 Fälle von Affenpocken an das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet. Das bedeute einen Anstieg um 2.883 Fälle seit der vergangenen Woche. 399 Patienten wurden ins Krankenhaus eingeliefert, was einem Prozentsatz von 5,6 Prozent entspricht. Drei wurden auf der Intensivstation aufgenommen. Einer der drei Intensivpatienten sei aus anderen Gründen als seine Affenpocken-Infektion aufgenommen worden, berichtet das Ministerium. „Die beiden anderen Patienten, die auf der Intensivstation aufgenommen wurden, starben an den Affenpocken.“
Aidskranke wurden auch stigmatisiert.Heute wissen ,dass es jeden treffen kann.