Dem US-Flugzeugbauer Boeing droht mit seiner wichtigen Modellserie 737 Max eine neue Krise. Die bislang größte Version der Baureihe, die 737 Max 10, hat noch immer keine Zulassung der US-Behörden, und zum Jahresende läuft die Frist für die Zertifizierung aus. Ohne eine Einigung mit dem Kongress könnte Boeing gezwungen sein, die 737 Max 10 einzustellen, sagte Konzernchef Dave Calhoun dem Branchenblatt „Aviation Week“ am Donnerstag (Ortszeit). Für den Airbus-Rivalen wäre das Ende des Jets ein herber Rückschlag – Fluggesellschaften haben bereits mehr als 600 Exemplare bestellt.
Hintergrund des Konflikts mit dem US-Kongress sind neue Sicherheitsvorkehrungen und Regularien im Zuge zweier Abstürze von 737-Max-Fliegern, bei denen 2018 und 2019 insgesamt 346 Menschen starben. Als Grund für die Unglücke galt eine defekte Steuerungssoftware. Zwar hat die US-Flugaufsicht FAA die Startverbote für die Baureihe im November 2020 nach Überarbeitungen von Boeing aufgehoben. Doch die 737 Max 10 – die neueste und längste Version der Modellserie – ist noch immer nicht zertifiziert. Boeing soll die Maschinen nachrüsten. Doch dem Hersteller läuft die Zeit davon.
Ob der US-Kongress Boeing nach dem ersten 737-Max-Debakel noch einmal entgegenkommt, ist unklar. Fest steht: Es geht auch um Jobs und Investitionen. Mit der öffentlichen Erwägung, die 737 Max 10 einzustellen, vermindert Calhoun den Druck auf die Politik nicht. Im Kern geht es darum, ob Boeings Konkurrenzmodell zum Verkaufsschlager A321neo von Airbus die neuesten Sicherheitsanforderungen erfüllt. Winken die US-Regulierer die 737 Max 10 nicht bis Jahresende durch oder gewähren Aufschub, droht Boeing aufgrund einer Gesetzesänderung von 2020 die teure Einführung eines ganz neuen Cockpit-Warnsystems.
Calhoun stellte zugleich klar, dass er weiter volles Vertrauen in die 737 Max 10 habe: „Wir glauben an dieses Flugzeug – Punkt“. Auch eine Boeing-Sprecherin betonte auf Nachfrage, dass das Unternehmen weiter die Zulassung anstrebe. „Wie wir bereits gesagt haben, wir arbeiten transparent mit der FAA zusammen, um die benötigten Informationen bereitzustellen“. Boeing sehe sich verpflichtet, die Erwartungen der Luftfahrtaufsicht und auch die seiner Kunden zu erfüllen, um die 737 Max 10 zertifizieren lassen und letztlich ausliefern zu können.
Airbus schätzt Flugzeugbedarf größer ein als Boeing
In der Zeit von 2022 bis 2031 dürften etwa 19.575 neue Passagier- und Frachtmaschinen den Weg zu ihren Kunden finden, teilte Boeing am frühen Sonntagmorgen und damit einen Tag vor Beginn der wichtigen Luftfahrtmesse im britischen Farnborough mit. Dies ist etwas mehr als 2021 für zehn Jahre vorhergesagt – obwohl Boeing da noch 710 Flugzeuge für russische Airlines eingerechnet hatte. Auf die zwei Dekaden bis 2041 gesehen erwartet der Hersteller jedoch einen geringeren Bedarf an neuen Maschinen als bisher – anders als sein europäischer Rivale Airbus.
So geht Boeing für die zwei Jahrzehnte von einer weltweiten Nachfrage nach etwa 41.170 Passagier- und Frachtmaschinen aus. Vor einem Jahr hatte das Management noch 43.610 Stück erwartet. Dies sei selbst dann ein Rückgang, wenn man die zuletzt noch für Russland erwarteten Maschinen hinzurechne, heißt es in einer Präsentation des Marketingchefs von Boeings Verkehrsflugzeugsparte, Darren Hulst. Boeing legte seinen Prognosen ein geringeres Wachstum der Weltwirtschaft und für das zweite Jahrzehnt einen gesättigteren Luftfahrtmarkt zugrunde.
Wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland infolge des Ukraine-Kriegs dürfen westliche Flugzeughersteller und Zulieferer keine Maschinen und Teile mehr nach Russland liefern. Zudem gibt Russland hunderte im Ausland geleaste Flugzeuge seit Monaten nicht an seine Eigentümer zurück, sodass dieser Markt für Airbus und Boeing aus heutiger Sicht praktisch wegfällt.
Anders als Boeing rechnet Airbus für die nächsten 20 Jahre mit einem größeren Bedarf an neuen Flugzeugen als zuletzt. In seinem vor wenigen Tagen veröffentlichten Marktausblick sagte der weltgrößte Flugzeughersteller für die Zeit bis 2041 der Branche einen Absatz von 39.490 Maschinen voraus, das sind 470 mehr als im vergangenen Jahr für die Zeit bis 2040 veranschlagt. (dpa)
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