Für Rainer Werner Fassbinder war Douglas Sirks Kinorührstück „Solange es Menschen gibt“ schlichtweg der beste Film, der jemals gedreht wurde. Weitere Regisseure wie Peter Bogdanovich oder François Truffaut verteidigten ähnlich enthusiastisch Sirks Arbeiten, die zu ihrer Zeit von der Kritik wahlweise als Kolportage oder als „Weepies“, also tränenreicher Kitsch, geschmäht wurden. Wie aus dem „Melodramen-Regisseur schlimmster Sorte“ ein Meister seines Fachs werden konnte, wird in dem hochinteressanten Buch „Douglas Sirk und das ironisierte Melodram“ des Filmwissenschaftlers Thomas Brandlmeier nur kurz thematisiert, da er sich hauptsächlich mit den stilistischen Besonderheiten der Produktionen beschäftigt. Hier wäre vor allem das Überdeutliche zu nennen, dieses geradezu Aufdrängen der Form, die praktisch immer mit Ausrufezeichen inszeniert wird – oder, noch irritierender, mit Fragezeichen. Vor allem dann, wenn sich Sirk mit der unheiligen amerikanischen Dreieinigkeit – Puritanismus, Materialismus und Rassismus – befasst. Zuvor jedoch ein kurzer biografischer Abriss:
In den 1920er Jahren begann Hans Detlef Sierck (1897-1987) seine erfolgreiche Laufbahn als Dramaturg und Theaterregisseur. Dann eckte er mit den neuen Machthabern, den Nationalsozialisten an. Kurzzeitig verließ Sierck das Land, wurde aber von der Filmproduktionsfirma UFA zurück nach Deutschland geholt, um in den Jahren 1936/37 eine Reihe von Kinofilmen zu inszenieren, mit denen u.a. der schwedischen Schauspielerin Zarah Leander (Zu neuen Ufern, 1936, sowie La Habanera, 1937) der Durchbruch gelang. Während Vorbereitungen zu einem Filmprojekt in Italien konnte Sierck mit seiner Ehefrau, der jüdischen Schauspielerin Hilde Jary, fliehen. Nach einer Zwischenstation in den Niederlanden siedelte er in die USA über und fing in Hollywood unter dem Namen Douglas Sirk praktisch wieder von vorne an. In den 1950ern gelang ihm eine Reihe von Kinoerfolgen für das Studio Universal Pictures, die stilprägend werden sollten: „All meine Sehnsucht“ (All I Desire, 1953), „Die wunderbare Macht“ (Magnificent Obsession, 1954), „Was der Himmel erlaubt“ (All That Heaven Allows, 1955), „In den Wind geschrieben“ (Written in the Wind, 1956), „Duell in den Wolken“ (The Tarnished Angel, 1957) und als krönenden Schlussakkord „Solange es Menschen gibt“ (Imitation of Life, 1959). Danach verließ Sirk Hollywood und zog zurück nach Europa, wo er wieder am Theater arbeitete und ein paar Lehrfilme für die Münchner Filmhochschule herstellte. In dieser Zeit durfte Sirk dann auch die Rehabilitation seiner Filmarbeiten erleben, wobei von etlichen Kritikern die Ironie als ein entscheidendes Merkmal hervorgehoben wurde. Genau da setzt nun Thomas Brandlmeier mit seinem Buch an, indem er in ausführlichen Werkanalysen „den durchgängigen und vielfältigen Gebrauch ironischer Gestaltungsmittel“ nachweist. „Aber Ironie ist bei Sirk weit mehr als ein Gestaltungsmittel. Es ist der entscheidende Kunstgriff in seinem Werk. Durch Formen der Ironie gelingt es ihm, das populäre Genre des Melodrams zu bedienen und gleichzeitig zu kommentieren. Es ist sicher nicht übertrieben, von einem Brecht’schen Verfahren im Kino zu sprechen.“ Gemeint ist hier jener Verfremdungseffekt von Bertolt Brecht (mit dem Sirk in seine Theaterzeit zusammenarbeitete), der ursprünglich das Publikum in Distanz zur Darstellung statt wie gewohnt in die Identifizierung mit dem Dargestellten bringen sollte. Die weiter oben beschriebene Inszenierung von Ausrufe- oder Fragezeichen wäre demnach eine Strategie, um kritischen Abstand statt gefühliger Affirmation zu erzeugen – und mit Brandlmeiers vorzüglichem Buch als Begleiter macht es großen Spaß, ebendiese Rezeptionserfahrung beim Ansehen alter Sirk-Filme zu wiederholen!
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