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Nein zum stetigen Wachstum„Nohaltegkeetsrot“ fordert systemische Veränderungen

Nein zum stetigen Wachstum / „Nohaltegkeetsrot“ fordert systemische Veränderungen
Ernährungssouveränität ist einer der zentralen Punkte einer nachhaltigen Entwicklung Foto: Hendrik Schmidt/dpa

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Um das Land auf die ökologischen, klimatischen und sozialen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten, bedarf es einer systemischen Veränderung, sagt der „Conseil supérieur pour un développement durable“ (CSSD). Am Mittwoch stellte er seine Empfehlungen an die Parteien im Hinblick auf die kommenden Parlamentswahlen vor.

„Wenn die gesamte Menschheit so viel konsumieren würde wie Luxemburg, bräuchte sie 7,77 Planeten“, stellte der CSSD im August 2020 fest. Obwohl das Thema Nachhaltigkeit fest in der politischen Landschaft verankert sei, würde ein sektorielles Denken vorherrschen, kritisiert der Nachhaltigkeitsrat die nationalen Maßnahmen. Anstatt ein Ziel mit einer Strategie zu verfolgen, würden die verschiedenen Akteure ohne Koordinierung ihr eigenes Süppchen kochen.

Nachhaltigkeit müsse deswegen zur Chefsache des Premierministers werden, fordert der „Nohaltegkeetsrot“ in seinen Empfehlungen an die Parteien im Hinblick auf die nächsten Wahlen. Konkret fordert der CSSD, dem Premierminister dafür einen Staatssekretär zur Seite zu stellen, der die Politik und die Maßnahmen in Sachen Nachhaltigkeit koordiniert. Es gehe dabei aber darum, die ganze Art und Weise der Regierungsarbeit infrage zu stellen. So schlägt der CSSD auch eine „ernsthafte Ausbildung“ in Sachen Nachhaltigkeit für alle politischen Mandatsträger vor. „Nicht immer wissen die Leute, wovon sie überhaupt reden“, meinte hierzu der Präsident des CSSD, Romain Poulles.

Grundsätzlich müsse für ein nachhaltiges Gesellschaftssystem das aktuelle Wachstumsdogma infrage gestellt werden. Es gehe nicht darum, jemandem Lebensqualität wegzunehmen, doch mit dem aktuellen Wachstumsmodell werde so oder so irgendwann Schluss sein – entweder, wenn alle Ressourcen aufgebraucht sind, oder weil wir uns vorher für ein anderes, nachhaltigeres Modell entscheiden. Die Regierungspolitik dürfe deshalb nicht mehr am Bruttoinlandsprodukt (PIB) ausgerichtet werden; Indikatoren wie das Wohlbefinden sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Der CSSD erinnert daran, dass Luxemburg solche Indikatoren bereits hat, sie müssten nur verstärkt genutzt werden.

Klarer Plan gefordert

Der CSSD verlangt einen klaren Handlungsrahmen, eine sogenannte Roadmap, in der festgelegt werden soll, welche konkreten Schritte in den nächsten zwanzig Jahren unternommen werden. Dieser Plan müsse alle relevanten Bereiche wie Landwirtschaft, Industrieproduktion, Wohnungsbau, Generationsgerechtigkeit usw. berücksichtigen. So führe z.B. das aktuelle Pensionssystem zu Ungerechtigkeiten. Immer mehr Beitragszahlende seien erforderlich, um das System aufrechtzuerhalten, diese würden aber nicht von den gleichen Pension profitieren können wie die heutigen Ruheständler. Für den CSSD ist deswegen eine Abkoppelung der Sozialleistungen vom wirtschaftlichen Wachstum dringend notwendig; die Renten könnten über die Steuern finanziert werden.

Soziale Gerechtigkeit ist in Luxemburg eng mit der Wohnungsproblematik verbunden. Die vorhandenen versiegelten Landflächen reichten für eine Million Einwohner aus, sagt der CSSD. Es müsse nur einerseits dichter gebaut werden, und andererseits andere Formen des Wohnens gefördert werden. Weitere Ausdehnungen der Bauperimeter auf Kosten der Natur seien unnötig.

Landwirtschaft und Industrie spielen eine entscheidende Rolle bei der Verringerung des ökologischen Fußabdrucks. Der CSSD schlägt einerseits Steuervorteile für ressourcenschonende Produktionen und andererseits finanzielle Anreize für Landwirte vor, die die Biodiversität verbessern. Zu den Prioritäten müssten in diesem Zusammenhang eine Verringerung der Fleischproduktion und die Förderung der biologischen Landwirtschaft gehören. Nahrungssouveränität spiele eine wichtige Rolle. Es gehe dabei ausdrücklich nicht um Selbstversorgung, sondern um das Recht der Menschen, selber zu entscheiden, welche Ernährung sie wünschen.

Steuerliche Maßnahmen könnten insgesamt als Instrument der Nachhaltigkeit dienen. So fordert der CSSD u.a., die Besteuerung von Alkohol und Tabak an die der Nachbarländer anzupassen, um den Tanktourismus zu begrenzen. Auch sollte allgemein die Steuerlast auf der Arbeit gesenkt und die für die Nutzung natürlicher Ressourcen erhöht werden. Ressourcenschonende Aktivitäten wie Recycling oder Reparationen sollten von der Mehrwertsteuer befreit werden. Neben dem oben erwähnten Vorschlag einer Art Ausbildung für politische Mandatsträger, schlägt der Nachhaltigkeitsrat generell eine radikale Umänderung der Schulbildung vor. Themen der nachhaltigen Entwicklung könnten bereits ab der Grundschule in alle Fächer integriert werden.

Dass ohne die Teilnahme der Bevölkerung nichts läuft, dessen ist sich auch der Nachhaltigkeitsrat bewusst. Bürgerbeteiligungen dürfen aber keine einmaligen Veranstaltungen bleiben, sondern müssen permanenter Natur sein. Auch solllten sie keine Selbstläufer sein, sondern müssten koordiniert und organisiert werden. Die Resultate von Versammlungen des Typs „Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050“ müssten in ein Gesetz einmünden, sodass sie verpflichtend für die kommenden Regierungen seien.