In einem Interview mit der New York Times erklärte Schauspieler Tom Hanks vor kurzem, er würde seine Rolle als an Aids erkrankter homosexueller Anwalt in „Philadelphia“ heute nicht mehr übernehmen.
„Könnte ein Heterosexueller das, was ich in ‚Philadelphia‘ gemacht habe, heute tun?“, fragte der Schauspieler, bevor er sich mit „Nein, und das zu Recht“ die Frage selbst beantwortete. Der Schauspieler, der für die Rolle einen Oscar absahnte, glaube nicht, dass die Zuschauer heute „die fehlende Authentizität eines Heteros, der einen Schwulen spielt, akzeptieren würden“.
Damit wirft Hanks nicht nur Diskredit auf seine eigene Karriere, sondern zweifelt am schauspielerischen Talent seiner Nachwuchskollegen – und an der Natur selbst seines Metiers.
Wenn schauspielerische Authentizität an der sexuellen Orientierung oder anderen Biographemen der Schauspieler*innen wie dem Geschlecht, der Hautfarbe, dem Glauben, der politischen Überzeugung festzuhalten wäre, würde dies ja bedeuten, dass aus besagten Gründen der Authentizität niemand mehr in Rollen schlüpfen dürfe, deren Andersartigkeit die Schauspieler*innen im besten Falle dazu bringt, ihre Weltsicht zu hinterfragen?
Dabei ist die Schauspielerei wie auch das Schreiben von Fiktionen ja eben gerade deswegen so spannend, weil man sich für die Erfahrung von Menschen, die anders sind als man selbst, offen macht – durch Dokumentation, durch unsere Vorstellungskraft, durch das gespielte Durchleben einer anderen Existenz.
Wenn jeder nur noch über sich selbst schreibt, jeder nur sich selbst spielt – oder Menschen, die zur eigenen (politischen, kulturellen …) Identifikationsgruppe gehören –, verschließen wir uns der Erfahrung der andern.
Todd Haynes’ „I’m Not There“ war doch gerade so interessant, weil Bob Dylan hier von u.a. Cate Blanchett und dem afroamerikanischen Schauspieler Marcus Carl Franklin gespielt wurde, Anne Simons „Richard II“-Neuinterpretierung so fordernd, weil sie dem kriegsführenden König eine queere Seite hinzudichtete: Fiktion sprengt Kategorien, fördert Empathie, vermischt Identitäten, stellt normative Diskurse auf den Kopf.
Darüber hinaus verbirgt sich hinter dieser Aussage eine gefährliche, als Toleranz camouflierte Neigung zur Segregation, die sich in rezenten Debatten widerspiegelt: Dürfen Nicht-Juden überhaupt über die Schoah schreiben? Wieso läuft ab Donnerstag in Avignon ein Stück, in dem ein Luxemburger Schauspieler einen radikalisierten Portugiesen mimt? Dürfen Timothée Chalamet und Arnie Hammer in „Call Me By My Name“ so zärtlich miteinander schlafen?
Was zählt, ist nicht, was man darf oder nicht darf – was zählt, sind der Respekt und die Sensibilität, mit denen man sich an ein Thema heranwagt. Wenn Nicolas Steil in „Le chemin du bonheur“ auf empathische Art das Schicksal eines verschleppten Juden darstellen will, aber scheitert, weil seine Figuren so klischeehaft sind, dass es fast schon antisemitisch wirkt, dann liegt das Problem nicht in der Frage, ob Steil jüdisch ist oder nicht – das Problem liegt an der mangelnden Sensibilität und Finesse, mit der die Geschichte verfilmt wurde.
Dies mag die Argumentation einer privilegierten Person sein, die es sich erlauben kann, über etwas anderes als über Rassismus, Sexismus oder Homophobie zu schreiben, weil sie all das nicht am eigenen Leib erleben musste. Es ist verständlich, dass Menschen, die dies erfahren haben, darüber berichten wollen, während ein heterosexueller weißer Autor auch mal ein Buch über Bienen, Quallen oder die Deutsche Bahn schreiben kann.
Aber Kulturschaffenden unter dem Vorwand, sogenannte Randgruppen zu schützen und kultureller Aneignung vorzubeugen, zu sagen, was sie dürfen und was nicht, läuft nur darauf hinaus, Kunst zu zensieren, Grenzen zu ziehen und unsere Empathie einzuschränken.
@devis
"Weiter gedacht würde das auch bedeuten dass ein homosexueller Schauspieler sich auf ebensolche Rollen beschränken müsste."
Sie Leute habe Brian Cranston Vorwürfe gemacht weil er einen Gelähmten gespielt hat.
Anscheinend dürfen nur Gelähmte das, die als Vorbereitung vom großen Springturm auf den Beckenrand knallen.
Außerdem, wenn Sie jemals als Kind als Chinese, Indianer usw verkleidet waren, können Sie eine politische Karriere vergessen.
Weiter gedacht würde das auch bedeuten dass ein homosexueller Schauspieler sich auf ebensolche Rollen beschränken müsste. Oder nur eine Schauspielerin die selbst Mutter ist, eine Mutter spielen...und, und ...und. Das wäre keine Schauspielerei mehr...
aus der Aussage von Tom Hanks ergibt sich der Umkehrschluss nur ein Dieb kann einen Dieb spielen. Für mich gilt das Talent und nicht nur eine Hautfarbe. Dann durften Männer keine Frauenrollen oder umgekehrt spielen. Man kann das politisch Korrekte auch übertreiben
Ja, und Schwarze dürfen nicht Skateboard fahren, weil ein weißer Bub in Santa Monica das erfunden hat, andernfalls wäre das 'cultural appropriation'.
Und nur Mörder dürfen Mörder spielen im Film.
Und wieso laufen da noch immer Leute lebend rum, die in einem Film vorher erschossen wurden?
Bravo. Genau so. Man denke auch an Ben Kingsley als Ghandi oder in Schindlers Liste. Wie arm wäre das Kino denn wenn Tom Recht hätte?
Vielen Dank für diesen Artikel, der manches sagt, was andere sich nicht (mehr) zu sagen trauen