Die Shark Bay in Westaustralien ist weit entfernt von allem: Bis Perth sind es von der idyllischen Bucht aus über 700 Kilometer, Broome ist fast 1.300 Kilometer entfernt. In gewisser Weise scheint die Zeit dort im einsamen Westen Australiens stehen geblieben zu sein: Beispielsweise befindet sich in der Bucht eines der wenigen Beispiele lebender Fossilien. Die Stromatolithen, die ein wenig wie Steine aussehen, versetzen Besucher in die Anfänge der Erdgeschichte zurück.
Insofern überrascht die Nachricht, die australische Forscher am Mittwoch verkündeten, vielleicht weniger: So glauben sie, in besagter Shark Bay auch die vermutlich größte Pflanze der Welt entdeckt zu haben – ein uraltes und unglaublich widerstandsfähiges Seegras, das sich auf einer Länge von über 180 Kilometern erstreckt, und auf ein Alter von mindestens 4.500 Jahren geschätzt wird.
Habitat für zahlreiche Tiere
Die Forscher der University of Western Australia und der Flinders University in Adelaide, die eine Studie zu dem Gewächs im Fachmagazin Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht haben, glauben, dass es sich bei dem Exemplar um eine Art mit dem Namen Posidonia australis handelt.
Die riesenhafte Pflanze ist noch mal deutlich größer als Pando, eine Klonkolonie der Amerikanischen Zitterpappel im Fishlake National Forest in Utah in den USA, die bisher als die größte Pflanze der Welt galt. Das westaustralische Seegras beherbergt zudem eine große Vielfalt an Tieren: Zwischen ihren Blättern tummeln sich Fische, Krebse und Schildkröten, aber auch größere Säugetiere wie Delfine und Seekühe.
Wie ein Rasen, der Ausläufer bildet
Laut der Evolutionsbiologin Elizabeth Sinclair stießen die Wissenschaftler während eines Projekts auf die Pflanze, mit dessen Hilfe sie verstehen wollten, wie genetisch vielfältig die Seegraswiesen in der Shark Bay sind und bei welchen Pflanzen es sich lohnen würde, Sprösslinge für Rekultivierungsprojekte zu sammeln. „Wir werden häufig gefragt, wie viele verschiedene Pflanzen auf Seegraswiesen wachsen“, meinte sie. Dies hätten sie mithilfe von genetischen Werkzeugen herausfinden wollen. Deswegen habe das Team an unterschiedlichen Stellen in der Shark Bay Seegrassprossen gesammelt und anhand von 18.000 genetischen Markern einen sogenannten „Fingerabdruck“ erstellt.
Die Antwort habe sie dann „umgehauen“, sagte Jane Edgeloe, eine Studentin an der University of Western Australia und die Hauptautorin der Studie. „Es gab nur einen einzigen!“ Dies bedeutete, dass sich eine einzige Seegraspflanze über eine Fläche von 200 Quadratkilometern ausgedehnt hatte. Letzteres kann man sich ein wenig wie Rasen vorstellen, der Ausläufer bildet und sich so immer weiter ausbreitet. Auf diese Weise dehnte sich die Seegraspflanze immer weiter aus – bis sie eine gigantische Seegraswiese bildete, die inzwischen größer ist als 28.000 Fußballfelder. Um diese enorme Ausdehnung zu erlangen, muss die Pflanze – so schätzen die Forscher – mindestens 4.500 Jahre alt sein.
Überleben unter Extrembedingungen
Bei ihrer Studie stießen die Wissenschaftler auf eine weitere Besonderheit: So scheint das einmalige Gewächs doppelt so viele Chromosomen wie ihre anderen Verwandten im Meer zu haben. Das heißt, die Pflanze erhielt 100 Prozent des Genoms von jedem Elternteil, anstatt der üblichen 50 Prozent. Solche Pflanzen kommen laut den Forschern häufig an Orten mit extremen Umweltbedingungen vor. Letzteres trifft auch auf die Heimat der Pflanze in der Shark Bay zu: So ist der Salzgehalt dort doppelt so hoch wie anderswo in der Bucht und die Wassertemperaturen können zwischen 15 und 30 Grad Celsius schwanken.
Genetische Studien anderer Seegrasarten hatten bereits gezeigt, dass die Pflanzen zwischen 2.000 und 100.000 Jahre alt werden können, somit ist das Alter des Exemplars aus der Shark Bay mit 4.500 Jahren nicht ungewöhnlich. „Sie haben ein vielseitiges Wachstumsmuster“, sagte Kathryn McMahon, eine Seegras-Expertin der Edith Cowan University in Westaustralien, die nicht an der Studie beteiligt war, dem Guardian. Dieses flexible Wachstumsmuster würde zu der langen Lebensdauer der Pflanzen beitragen, wie sie meinte. So könnten die Pflanzen in Richtung nährstoffreicher Flecken wachsen wie aber auch zu Lücken, wo sie sich weiter ausbreiten können, oder auch weg von Standorten, die ihnen weniger gut bekommen.
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