Diese Gegenwart ist die Myanmars, ein Land, das lange unter der Militärdiktatur gelitten hat und nach ein paar Jahren der Öffnung seit 2021 erneut vom Militär unterjocht wird. Der 1986 geborene Galay hat sowohl die Diktatur wie auch die kurzen Jahre der Freiheit erlebt und versucht heute als Anwalt, nicht stillzuhalten. Aber es ist keine einfache Aufgabe in diesen Zeiten für Freiheit und Menschenrechte einzustehen. Das Zerrissene, das diesem Leben eingeschrieben ist, einerseits die Angst vor Verhaftung, andererseits der Wunsch nach Demokratie, ist eines der Themen seiner Gedichte. Zum Beispiel, wenn ein Teil des Gesichtes am Busfenster zu sehen ist, während ein anderer Teil zum Mond flieht. Willkür, Korruption, Folter werden erwähnt, aber so, dass ein poetisiertes Reich entsteht, das nicht mit Bestimmtheit als Myanmar zu identifizieren ist. „Der Mörder folgt dem Weg, den die Armee zurückgelegt hat.“ Das ist nicht gerade lautlos, bietet der Obrigkeit aber wenig Angriffsfläche. Denn allzu schnell landet man in Myanmar für ein paar Zeilen im Gefängnis. Nicht umsonst erinnern manche Gedichte in diesem vom Schriftsteller Artur Becker übersetzten Band an weiterentwickelte Fabeln. Eine Maus, die davon träumt, ein Elefant zu werden und dieses ihr Bedürfnis zum Grundthema für alle macht. Oder der Wolf, der von einem Lkw springt und mit einem maßlosen Glauben an sich selbst immer wieder einen Traktor angreift.
Man würde der poetischen Kraft dieser Lyrik jedoch nicht gerecht werden, wollte man sie auf ihr verdecktes Engagement reduzieren, zugleich fällt es schwer, sie nicht auf der Folie der momentanen Unfreiheit des Landes zu deuten. Es sind durchaus politische Texte, aber eben auch bildlich-reflexive, die die Wichtigkeit von Erinnerung thematisieren, die eigene Position mit überdenken, genauso wie die Schwierigkeit des Einzelnen, vor der Masse zu bestehen. Und es sind Gedichte, die verschlüsselte Sprachwege suchen, das alles unter einen Hut zu bekommen. Sprunghaft, voll von überraschenden Wendungen bauen sie Zeile um Zeile einen Verskosmos auf, der einen auf Irrwege zu locken scheint, aber immer wieder bei Gedanken des Widerstandes landet. Denn „was wir als Existenz ignoriert haben, / Verwandelt sich in Feuerringe und überrennt die ganze Stadt.“
„Ein Oktopus, aber so viele Handschuhe“ ist ein rechtes Lesevergnügen, was Metaphorik und Bilderreichtum anbelangt, und zugleich ein Manifest, immer wieder herauszufinden aus den Zeitabschnitten, da alles zusammenbricht. GuH
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können