1962, als Marilyn Monroe unter mysteriösen Umständen starb, vermerkte das Polizeiprotokoll: wahrscheinlich Selbstmord. Aber eine ganze Reihe von Ungereimtheiten lösen erhebliche Zweifel an der Suizidtheorie aus: eine zu schön drapierte Leiche, ein frisch bezogenes Bett, das seltsam arrangiert wirkt, schlampige Ermittlungsarbeiten (weder Fingerabdrücke noch Fasern wurden gesichert), verschwundene Indizien, verwischte Spuren. Dazu Marilyns Affären mit dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy und dessen Bruder Bobby, dem Justizminister der USA. Und das alles in einer politisch angespannten Zeit, als die Sowjetunion im Jahr der Kubakrise Raketen auf der Insel stationierte, was beinahe den dritten Weltkrieg heraufbeschwor.
Lebensgefährliches Wissen
Nach jedem Treffen mit einem der Kennedys trug Marilyn Monroe hochbrisante Details in ihr rotes Tagebuch ein, wie z.B. dass Bobby Kennedy ihr anvertraute hatte, er wolle Fidel Castro gewaltsam aus dem Weg räumen. Als sie auf einer Party im Champagnerrausch damit drohte, intime und politische Details auszuplaudern, wurde sie zur Gefahr für die Kennedy-Brüder und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten.
Anscheinend hatte sie geplant, am Montag nach ihrem Ableben eine Pressekonferenz zu geben, während der sie all ihr Wissen der Öffentlichkeit verraten wollte. Wozu es aber nicht mehr kam, weil sie kurz vorher ermordet wurde, wofür zwei rezente Bücher mit einer angeblich erdrückenden Beweislast eintreten: „Bombshell, The Night Bobby Kennedy Killed Marilyn Monroe“ (1) von Mike Rothmiller und Douglas Thompson sowie „The Murder of Marilyn Monroe: Case Closed“ (2) von Jay Margolis und Richard Buskin. So soll einen Tag vor ihrem Tod Bobby Kennedy zweimal in ihrer Villa gewesen sein. Beide Kennedy-Brüder schieden auch gewaltsam aus dem Leben. Zufall oder Schicksal?
Die Inkarnation von Glamour und Erotik
In der Neuausgabe des Prachtbandes „Marilyn Monroe“ (3) treten Bert Sterns freizügige Fotos von Marilyns „Last Sitting“ in einen kühnen Dialog mit Norman Mailers schonungsloser Biografie der Diva, wobei die Verschmelzung von Bild und Text – laut Eigenwerbung des Verlags – „das intime Porträt einer für ihre Rätselhaftigkeit berüchtigten Frau ergibt, eines Stars, der selbst in seiner Tragödie noch strahlte“. „Dieses Buch sind eigentlich zwei Bücher: eine Biografie und eine Bilder-Retrospektive über eine Schauspielerin, deren größte Liebesaffäre jene mit der Kamera war“, notierte Norman Mailer in seiner würdigen Hommage an eine Frau, die zum Zeitpunkt ihres Todes am 5. August 1962 als Göttin auf Erden galt.
Sinnlich, komisch und unschuldig wirkte Marilyn im Kino wie auch in der Öffentlichkeit. Aber in Wirklichkeit verbarg sich das genaue Gegenteil hinter dieser aufgesetzten Fassade: eine empfindliche und feinnervige Dame, die im Image der „erotischen Kindfrau“ gefangen war, sich selbst nichts zutraute, Angst davor hatte, ungeliebt zu bleiben, und als Liebende wie auch als Schauspielerin ihr Leben lang verzweifelt auf der Suche nach Anerkennung war.
Marilyns fotografisches Vermächtnis
Im Mittelpunkt der Verknüpfung zweier klassischer Werke steht Norman Mailers Sprachgewalt der riesige Bilderschatz gegenüber, den sich der Starfotograf Bert Stern sechs Wochen vor ihrem tragischen Ableben am 5. August 1962 während einer drei Tage dauernden Fotosession im Bel Air Hotel in Los Angeles im Auftrag des amerikanischen Modemagazins Vogue mit seinem namhaften Fotomodell erarbeitete.
Sterns außergewöhnliche Aufnahmen machen Marilyns Ausstrahlung, ihren geheimnisvollen Sinnenreiz und ihre menschliche Verletzbarkeit sichtbar und erweisen sich als die beste Huldigung an die Künstlerin und Selbstdarstellerin Marilyn Monroe in Buchform.
„Es war eine Erfahrung, die man nur einmal im Leben macht“, sagte Bert Stern mit Bezug auf seine Marilyn-Serie, in der er es meisterhaft verstand, des Megastars Unmittelbarkeit und Charisma spontan einzufangen: „Ich liebe es, meine Gefühle in meine Fotos einfließen zu lassen.“
Eine strahlende Göttin der Liebe
Auf dem Zenit ihrer Schönheit hatte er die Frau mit dem aufregenden Sex-Appeal als letzter Fotograf abgelichtet, ihre Vollkommenheit und Unberührtheit im Bild eingefangen, ihre tiefe weibliche Sinnlichkeit, die wie Licht von Marilyn ausstrahlte, auf Zelluloid gebannt – am Ende ihrer Karriere und ihres Lebens.
Damals vermerkte Bert Stern nicht ohne Stolz, dass dieser ungewöhnliche Fototermin zu einem denkwürdigen Ereignis wurde, das ihm als Fotografen ein großes Publikum erschloss: „Marilyn Monroe ist die erste amerikanische Göttin – unsere Göttin der Liebe. Wir schufen sie so sehr, wie sie sich selbst schuf. Sie erwuchs als Antwort auf unser sexuelles Verlangen und unser geistiges Erwachen. Sie hat uns verlassen, und doch ist sie allgegenwärtig. Sterne verlöschen, aber ihr Licht dringt weiter und weiter in den Raum. Durch diese Fotos erreicht uns das Licht von Marilyn Monroe noch immer, lockt uns – wie Motten in die Flamme.“
Lesetipps
(1) Mike Rothmiller & Douglas Thompson: „Bombshell, The Night Bobby Kennedy Killed Marilyn Monroe“ (Ad Lib Publishers Ltd, London 2021, 336 Seiten, Paperback, Eur ca. 10,00);
(2) Jay Margolis & Richard Buskin: „The Murder of Marilyn Monroe: Case Closed“ (Skyhorse Publishing, New York 2016, 388 Seiten, gebunden, Eur ca. 29,00);
(3) Norman Mailer (Text) & Bert Stern (Fotos): „Marilyn Monroe“ (Taschen Verlag, Köln 2022, 276 Seiten mit vielen Fotos, Englisch, Hardcover, Eur 80,00).
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können