Die schottischen Indiepopper Belle & Sebastian gibt es seit 26 Jahren. Fünf der aktuell sieben Mitglieder waren bei der Gründung in Glasgow dabei. Das ist beachtlich. Wie auch ihr musikalischer Output über die Jahre. Wenn man den 2019er Soundtrack „Days Of The Bagnold Summer“ nicht mitzählt, ist „A Bit of Previous“ (7 Punkte) ihr zehntes Studioalbum und das erste seit „Girls In Peacetime Want To Dance“ (2015). Untätig war die Band seitdem nicht – es gab eine EP-Trilogie, das „The Boaty Weekender“-Festival und ein Livealbum.
Es ist schön, neue Songs von ihnen zu hören, denn die spenden stets emotionale Wärme. Stuart Murdoch & Co. nehmen ihre Hörer gerne in den Arm. Da verzeiht man ihnen auch Abba-esken Dance-Funk-Pop („Prophets On Hold“).
Joshua Michael Tillman schlendert in „Chloë“, dem ersten Song seines fünften Father-John-Misty-Albums „Chloë And The Next 20th Century“ (8 Punkte), von einer Big Band begleitet elegant die Showtreppe hinunter. Keine Treppe, keine Bühne ist zu groß für ihn. Der ehemalige Fleet-Foxes-Schlagzeuger strebt immer weiter nach oben und tischt immer größer auf. Eine Countryballade („Goodbe, Mr. Blue“) findet sich hier ebenso wie eine schwelgerische Big-Band-Melancholie namens „(Everything But) Her Love“. Es ist eine Freude, sich von ihm bezirzen zu lassen.
Konstantin Gropper, der Mann hinter Get Well Soon, wandelt auf „Amen“ (6 Punkte) auf ähnlichen Spuren: Er denkt und musiziert ebenfalls groß. Geschrieben wurden die Songs Anfang 2021 während des Lockdowns, und bei der Arbeit daran wurde ihm klar, dass er ein Optimist ist. Weshalb er neben schwelgerischen Songs wie „I Love Humans“ auch motivierende komponiert hat: etwa den Pet-Shop-Boys-Discosong „My Home Is My Heart“ und „Chant En Disenchant“. Mehr Wärme hätte den Songs jedoch gutgetan; sie wirken leicht unterkühlt und distanziert.
An Wärme gibt es auf Warpaints neuestem Streich „Radiate Like This“ (7 Punkte) wiederum zu viel. Soloprojekte, eine Geburt (Emily Kokal), der Lockdown und die Tatsache, dass die vier Freundinnen weit voneinander entfernt leben und jeweils von zu Hause aus aufnahmen, hat eine große Rolle bei der Entstehung des Albums gespielt. Koproduzent Sam Petts-Davies (Thom Yorke, Frank Ocean) wird sicherlich auch seine Spuren hinterlassen haben. Die Songs sind einen Tick zu verträumt und zu entspannt; Stimmung und Rhythmik fehlt es an Vielfalt. Sie hätten ruhig mal einen großen Stein in ihr stilles Gewässer pfeffern können.
Komplett in Melancholie gehüllt ist Kathryn Josephs Album „for you who are the wronged“ (8 Punkte). Die schottische Singer-Songwriterin, auch bekannt von dem genialen Projekt Out Lines (mit James Graham von The Twilight Sad), widmet sich den Themen Missbrauch und Trauma. Die Musik ist leise, einfühlsam und spartanisch; ihre Stimme und ein Keyboard sind ihre Werkzeuge. Eigentlich sind die Songs fast zu schön für diesen ernsten Stoff. Und eigentlich hatte Joseph wegen des Lockdowns mit dem Schreiben aufgehört und nicht mehr damit gerechnet, wieder die Muse dafür zu haben. Glücklicherweise kam es anders.
Die irischen Indie-Rockerinnen von Pillow Queens legen nach dem Überraschungserfolg von „In Waiting“, ihrem im September 2020 erschienenen Debüt, bereits den Nachfolger vor. War ihr erstes Album krachiger Indie-Rock, gepaart mit eingängigen Melodien und mehrstimmigen Gesangseinlagen, so ist „Leave The Light On“ (6 Punkte) deutlich leiser. Der Krach bricht sich schon noch Bahn („Historian“), aber insgesamt ist die Band ruhiger geworden. Wäre man böse, könnte man sagen, dem Album fehle der Punch.
Von der Isle Of Wight stammen Sängerin und Gitarristin Rhian Teasdale und Gitarristin Hester Chambers, die sich Wet Leg nennen. 2019 gegründet, landeten sie im Juni 2021 mit ihrer Debütsingle „Chaise Longue“ auf Platz 74 der UK-Charts. Mittlerweile stehen sie bei Domino unter Vertrag und schafften es in Großbritannien mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum (8 Punkte) auf Platz eins. Das überrascht nicht, gehen ihre Indie-Rock-Songs schnell ins Ohr. Sie machen laut Domino „traurige Musik für Partygänger und Partymusik für traurige Menschen“, ergo genau das, was in diesen Zeiten herzlich willkommen ist. Und sie haben gleich mehrere Hits auf „Wet Leg“ gepackt: „Chaise Longue“, „Angelica“, „Wet Dream“ und das Postpunk-Stück „Too Late Now“.
Mit Bloc Party war eigentlich nicht mehr zu rechnen, oder? „Alpha Games“ (8 Punkte) ist das erste Album, an dem alle vier aktuellen Mitglieder mitgewirkt haben. Obwohl nur noch zwei von vier Bandgründern dabei sind – nämlich Sänger/Gitarrist Kele Okereke und Gitarrist Russell Lissack –, klingen die Songs unverkennbar nach Bloc Party. Aber dass sie so gut sein würden, überrascht. Es scheint, als hätten Okereke und Lissack mit Justin Harris (Bass, Synthesizer) und Schlagzeugerin Louise Bartle, die beide 2015 dazukamen, ihre Spielfreude wiederentdeckt. Unter dem Eindruck einer „moralisch bankrotten Zeit“ in Großbritannien entstanden zwölf abwechslungsreiche, erfrischende Indie-Art-Punk-Songs, die eine Brücke zu ihren frühen Werken schlagen.
(Kai Florian Becker)
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