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LuxemburgensiaWould the real Tomas Bjørnstad please stand up? Von der Geburt eines Heteronyms

Luxemburgensia / Would the real Tomas Bjørnstad please stand up? Von der Geburt eines Heteronyms
Der falsche Tomas (1): Schauspieler Caspar Schjelbred (C) CNL

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Ein Abend wie ein postmodernes Vexierspiel rund um das Thema Identität: Gleich dreimal sollte ein falscher Tomas auf der Bühne auftreten, bevor das Geheimnis um Bjørnstad gelüftet wurde. Jetzt, wo bekannt ist, wer Tomas Bjørnstad ist, darf man sich exklusiv auf das Werk dieses Nico-Helminger-Heteronyms fokussieren.

Ganz am Ende des von Tim Reuter elegant animierten Rundgesprächs stelle ich eine letzte Frage: Wieso das Geheimnis gerade jetzt lüften? Kurz überlegt Tomas-Nico Bjørnstad-Helminger und holt etwas aus: Auf der 2019-Auflage der Frankfurter Buchmesse hatte der Norweger-Stand die éditions Guy Binsfeld kontaktiert und gefragt, ob man dort die Bücher von Tomas Bjørnstad ausstellen dürfe. Wenig später tauchte der Schriftsteller Ketil Bjørnstad, dessen Bücher neben denen des fiktionalen Tomas ausgelegt waren, auf dem Luxemburger Stand auf und fragte nach Tomas – er wolle diesen kennenlernen, da er einen gleichnamigen Neffen habe, der seit nunmehr zwei Jahren spurlos verschwunden sei. Tomas Bjørnstads Biografie würde sich zudem mit dem Lebenslauf des verschollenen Neffen decken.

Während eines Gespräches unter vier Augen verriet Marc Binsfeld dem Schriftsteller, dass sich hinter Bjørnstad in Wahrheit „ee vill méi Alen“ verstecken würde. Ketil hielt an der Hoffnung fest, dachte, Nico müsse bestimmt den echten Tomas gekreuzt haben und sich an dessen Leben inspiriert haben, um seiner Kunstfigur Biographeme zu füttern. Nach dieser etwas surrealen, metaleptischen und gleichzeitig traurigen Begegnung war Marc Binsfeld und Nico Helminger ein bisschen mulmig zumute – und beide waren der Entscheidung, das Geheimnis zu lüften, etwas näher.

Der falsche Tomas (2): Schriftsteller Guy Helminger (und Moderator Tim Reuter)
Der falsche Tomas (2): Schriftsteller Guy Helminger (und Moderator Tim Reuter) (C) CNL

Die Stimmung zu Beginn des Abends war eine Art angespannte Belustigung. Fast alle möglichen Bjørnstads waren vor Ort: Guy Rewenig, Nico Helminger, Thomas Schoos, Samuel Hamen und sogar meine Wenigkeit, der einige fragende Blicke zuwarfen – bist du’s etwa doch? Moderator Tim Reuter bat Bjørnstad dann relativ rasch, ein paar Auszüge aus seinem neuen Werk (laut Pressemitteilung sein Opus Magnum) zu lesen, woraufhin, wie vorgestern im Tageblatt spekuliert wurde, ein wildfremder Typ die Bühne betrat, mit einer Art nordischem Akzent zwei Auszüge aus dem neuen Werk las, bevor er eine kurze Q&A-Runde mit den Wörtern abschloss, mehr könne er dazu nicht verraten, denn er sei schließlich nicht Tomas Bjørnstad, sondern Schauspieler Caspar Schjelbred.

Scharlatane?

Nach einem ersten Moment der amüsierten Verwirrung durfte dann Guy Helminger via Videoscreen einen Auszug aus dem Bjørnstad-Buch lesen: Schließlich heißt eine der Figuren in „Von der schönen Erde“ Guy H.
Helminger Junior meint jedoch abschließend: „Schöner Text – ist aber leider nicht von mir.“ Als dann die Hypothese von Jérôme Jaminet eingeblendet wird – der durch seine Abwesenheit glänzende Literaturkritiker behauptete nach dem Erscheinen von „Fjorde“, Bjørnstad sei niemand anders als Samuel Hamen –, betritt besagter Hamen die Bühne und beginnt, die Spielregeln des dritten Bjørnstad-Buches vorzulesen.

Der falsche Tomas (3): Schriftsteller Samuel Hamen
Der falsche Tomas (3): Schriftsteller Samuel Hamen (C) CNL

Denn „Von der schönen Erde“ ist kein herkömmlicher Roman, sondern eine Sammlung von Fragmenten und Skizzen, die zwar linear gelesen werden darf – eine solche Lektüre könne sich aber, so Bjørnstad, als „unzulänglich“ erweisen, weswegen dem Leser die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Lese-Parcours durch das textliche Labyrinth gelassen wird. Dieser Prozess erinnert u.a. an B.S. Johnsons Avantgarde-Roman „The Unfortunates“, bei dem die einzelnen Kapitel, die wie lose Broschüren in einem Kasten liegen, quasi in einer beliebigen Reihenfolge gelesen werden können.

CNL-Leiterin Nathalie Jacoby unterbricht Hamen jedoch und meint, man würde liebend gerne einen Hamen-Abend im CNL organisieren, er solle aber jetzt bitte die Bühne verlassen und dem wahren Tomas Bjørnstad die Bühne überlassen. Nach einer Eminem-Einlage, untermalt mit einem Power-Point-Schirm, auf dem „Would the real Tomas Bjørnstad please stand up“ prangert, steht Nico Helminger auf und schlüpft, vier Jahre nach Beginn dieses Verwirrungsspiels, in die Rolle seines semi-fiktionalen Tomas Bjørnstad.

Interessanter als das (im Endeffekt doch recht unterhaltsame) Theater rund um die Porosität literarischer Identität ist Folgendes: Nico Helminger hat ein neues Buch (und dazu noch einen Lyrikband unter eigenem Namen) veröffentlicht. Dieses reiht sich in einen Bjørnstad-Zyklus ein, der aus sage und schreibe zwölf Bänden (und einem Sonderband) bestehen wird (im neuen Buch sind die Titel der zukünftigen Werke bereits aufgelistet, „Von der schönen Erde“ nimmt zudem in Fußnoten Bezug auf die kommenden Werke) und scheint auf den ersten Blick die hiesige, oft ziemlich angestaubte Literaturlandschaft ein wenig aufzurütteln.

The real Tomas: Nico Helminger 
The real Tomas: Nico Helminger  (C) Marie Mathieu

BjørnBling22

Denn in „Von der schönen Erde“ wird auf eine Art mit Form und Lesart gespielt, die man in dem Großteil der zeitgenössischen Literatur vergebens sucht: Das Werk ist Julio Cortázar gewidmet und erinnert in seiner mathematischen Verspieltheit auch an die Text eines Borges oder an die postmoderne Avantgarde, die in den 80ern beliebt war – und die der neonaturalistische Mainstream immer mehr marginalisiert hat, sodass, wie Nico Helminger es auch zu bedenken gibt, in den großen Buchhandlungen überall die gleichen Bücher in Vitrinen um die Gunst des Lesers buhlen. Hier gilt das gleiche wie auch beim Online-Streamen: Trotz eines riesigen Angebots schauen wir uns im Endeffekt meist die gleichen Serien an. Wir lesen dieselben Bücher, oder zumindest stets die gleiche Art von Büchern.

Nico Helmingers Herangehensweise erinnert dabei, wie er es selbst erläutert, an Fernando Pessoa: „Wenn die Praxis der Heteronymie mein literarisches Werk um neue Dimensionen bereichert, dann fühle ich mich verpflichtet, ihr nachzugehen.“ Da wo Pseudonymie oft aus der Not betrieben wird, weil sich jemand hinter einem Namen verstecken muss (wegen Zensur) oder möchte (Romain Garys Émile Ajar), ist die Praxis der Heteronymie vielmehr ein Feiern der Porosität und der Vielfalt der Identitäten. So erinnert Helmingers Entschluss, einen Zyklus von 13 Bjørnstad-Werken zu veröffentlichen (und in Zukunft auch auf andere Heteronyme zurückzugreifen) an das Schaffenswerk von Antoine Volodine, der unter den Namen Manuela Draeger, Lutz Bassmann und Elli Kronauer Bücher schreibt (jedes Heteronym veröffentlicht zudem bei einem anderen Verlagshaus) und dessen literarisches Projekt mit genau 49 Büchern vollendet sein soll.

Um was es im neuen Werk, abgesehen von der Konstruktion einer fiktionalen Autoren-Persona und dem Spiel mit Form und Rezeption, geht, wird in einer kommenden, ausführlichen Rezension zu lesen sein. Momentan sei nur so viel verraten: Das Buch ist, wie auch bereits „Die Tanzenden“, das seine Kapitalismuskritik im Rausch von Partys und Drogen verpackte, ein zersplittertes Porträt einer hoffnungslos dem Kapital verfallenen Gesellschaft, in dessen Zentrum eine Consulting-Firma steht, die ihre Mitarbeiter in den Selbstmord treibt.

Gleichzeitig findet im fiktionalen Ort Bjørnstadt (!) ein Kulturfestival statt: das BjørnBling22, dessen Organisation wegen Mitarbeitern, die den Dienst quittieren oder entlassen werden und wegen des skrupellosen Einbeziehens von Privatunternehmen unter einem schlechten Stern steht. Jeglicher Wirklichkeitsbezug wird aber von Bjørnstad mit folgendem Disclaimer weggefegt: „Alle Personen dieses Werkes sind erfunden, auch diejenigen, die nicht erfunden sind.“ Das gilt wohl auch für den Autor des Buches.

Info

Eine ausführliche Rezension erscheint in den kommenden Wochen im Tageblatt.