Luxemburg ist nicht nur eines der kleinsten Länder der Europäischen Union. Aufgrund seiner Lage zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Union sowie der Anbindung an viele ihrer Institutionen ist der Anteil hoch qualifizierter Arbeitskräfte im Großherzogtum überproportional vertreten. Nach Studien des Weltwirtschaftsforums sowie der Arbeitsagentur ADEM sind etwa 60 Prozent aller Beschäftigten in hoch qualifizierten Tätigkeiten engagiert. Damit nimmt Luxemburg den ersten Rang noch vor Singapur, der Schweiz und Israel ein.
Weiteren Statistiken zufolge sind 40 Prozent der luxemburgischen Beschäftigten beim Staat angestellt. In Ministerien, Verwaltungen, Banken und weiteren öffentlichen Einrichtungen arbeiten Menschen, die zumeist über einen Hoch- oder Fachschulabschluss verfügen. Voraussetzung hierbei ist natürlich, dass sie ihre Schulzeit mit einem Abitur abgeschlossen haben. Luxemburg bietet dafür sowohl den klassischen Weg als auch die Option einer allgemeinen Sekundarstufe, in der die Schüler ebenfalls das Zertifikat der Hochschulreife erlangen können.
Das hiesige Beschäftigungsprofil spiegelt sich auch in der Belegung der Sekundarstufen an Luxemburger Schulen wider. Nach einer aus dem Schuljahr 2019/20 vorliegenden Statistik besuchten 7.926 Studenten die allgemeinbildenden oberen Stufen der Sekundarschule (ESG), gefolgt von 7.152 Jugendlichen, die die oberen Kurse der klassischen gymnasialen Stufe (ESC) besuchten. Das Bild entspricht einem seit Jahren zu beobachtenden Trend, der auch in den Nachbarländern Deutschland und Frankreich zu verzeichnen war: Selbst in Berufszweigen, deren Abschluss nicht unbedingt die Voraussetzung einer Hochschulreife erforderte, nahmen Ausbildungsbetriebe nur noch Bewerber an, die ein Abitur vorweisen konnten. Gängig dazu der allgemeingültige Spruch: „Niemand will mehr einen Beruf ergreifen, bei dem man sich die Hände schmutzig machen muss.“
Entspricht die Schule dem gesellschaftlichen Bedarf?
Luxemburg mit seinen Finanzzentren und zahlreichen Einrichtungen der Europäischen Union wird sicher auch in Zukunft einen hohen Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern haben. Die Crux der Geschichte ist nur: Viele von ihnen werden wie bisher aus dem Ausland ins Großherzogtum kommen, entweder von den EU-Mitgliedern delegiert, oder sich bei internationalen Unternehmen und Organisationen beworben. Es wird fraglich sein, ob alle Luxemburger Abiturienten – wenn sie denn auch einen adäquaten Studienabschluss vorweisen können – eine Stelle im Wirtschafts-, Finanz- oder Politiksektor erhalten können.
Und ähnlich wie in den Nachbarländern herrscht auch im Großherzogtum ein eklatanter Mangel an Fachkräften und Handwerkern vor. Zwar arbeiten hierzulande etwa 98.000 Menschen im Handwerkssektor (das entspricht einem Fünftel aller in Luxemburg Arbeitenden), doch die Tendenz sei stark rückläufig. Das Handwerk, so zeigen Statistiken, ist stark überaltert. Von den 7.800 Mittel- und Kleinbetrieben werden fast 20 Prozent, nämlich 1.500, in den kommenden Jahren aus Altersgründen ihrer Betreiber die Pforten schließen. Schon jetzt fehlen in den Unternehmen 9.400 Arbeitskräfte.
Dabei gibt es durchaus Initiativen aus dem Bereich des Handwerks (das Tageblatt berichtete am 8. Februar), um die Berufssparten attraktiv vorzustellen. Jungunternehmer haben sich zur Initiative „Jonk Handwierk“ zusammengeschlossen, mit der Jugendliche für die Attraktivität von Handwerksberufen geworben werden soll. Das Motto der Kampagne: Handwerk kann Spaß machen und durchaus Karrierechancen bieten.
Die Frage ist dabei: Spielt auch die Schule in diesem Konzert mit? Während derzeit eben 15.078 Schülerinnen und Schüler die gymnasialen Oberstufen ESC und ESG besuchen, sind in den berufsorientierten Zweigen lediglich 6.549 Lernende eingeschrieben.
Gregory Muller von der „Fédération des artisans (FDA)“ bemängelt, dass unser Schulsystem hier „häufig nach unten orientiert“: Leistungsschwächere und vor allem auch in der sprachlichen Ausbildung gehandicapten Schüler würden auf handwerkliche oder industrielle Arbeitstätigkeiten und -Ausbildungen verwiesen, während die Eltern Jugendlicher mit guten Noten von der Schule unterstützt würden, ihren Nachwuchs auf eine universitäre Ausbildung zu orientieren – ganz gleich, ob diese letztlich dafür geeignet wären und nicht vielleicht in einem mit Freude erfüllten Handwerk eher ihr berufliches Glück finden könnten.
Es wird gemeinsamer Anstrengung aller an Bildung und Erziehung Beteiligter bedürfen, um eine gesellschaftliche Korrektur zu erzielen, eine Orientierung kann bereits mit der Auswahl der Sekundarstufe getroffen werden – eine der Wegkreuzungen, die wir mit unseren Kindern wählen müssen.
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