Wer eifrig und täglich Schlagzeilen über das Verhalten von Impfgegnern oder verschiedenen ADR-Abgeordneten liest, ist fast versucht, einige der vielen grundpessimistischen Aussagen des Misanthropen Michel Houellebecq zu unterschreiben. So meint dieser in seinem neuen Roman „anéantir“: „Beaucoup de gens aujourd’hui étaient devenus très cons; c’était un phénomène contemporain frappant, indiscutable.“
Schuld an dem Debakel sind allerdings nicht nur die Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und gewaltbereiten Extremisten, die sich mittlerweile unter die Demogänger mischen, sondern auch die Plattform, welche die Medien ihnen tagtäglich bieten – weil sie wissen, dass das Thema Corona seit mittlerweile zwei Jahren fast ununterbrochen für leichte Schlagzeilen und einfache Klicks sorgt, während die Menschheit immer mehr daran ermüdet, diesen postapokalyptischen Endzeitfilm in Echtzeit zu durchleben (in einem Film kann der Regisseur Momente der Stagnation elliptisch überbrücken, einen solchen Ausweg bietet das reale Leben leider nicht.)
Diese monothematische Totalverblödung der Menschheit hat kleine, aber feine Nuancen, die es erlauben, die Insolvenzerklärung menschlichen Intellekts zumindest erzählerisch spannend zu gestalten. Eine grandios stupide Episode in einer an grandios stupiden Episoden nicht armen Entwicklung ist die doppelte ADR-Anklage gegen den Chefredakteur der Zeitung, für die ich nunmehr seit fünf Jahren schreibe.
Bei aller gebotenen und wichtigen Solidarität erscheint mir eine der Reaktionen auf die Klage allerdings etwas problematisch. Gemeint ist das seit kurzem in sozialen Medien zirkulierende „Ech sinn Dhiraj“-Profilfoto. Dies mag ein wohlgemeinter und angesichts der Dämlichkeit der Klage sowie der zunehmenden Gewaltdrohungen berechtigter Ausdruck von Solidarität sein, im Grunde ist die Parallele mit den Charlie-Hebdo-Attentaten aber ähnlich verkehrt wie die Judenstern-QR-Code-Nivellierung der Impfgegner.
Denn mit „Charlie“ war keineswegs ein Vorname, sondern eine Zeitung gemeint – sonst hätte man ja „Je suis Charb“ oder „Je suis Wolinski“ schreiben müssen. Und die eben genannten Journalisten haben mit ihrem Leben gezahlt. Weiterhin: Zu verharmlosen sind Reding und Keup definitiv nicht, sie allerdings implizit mit den Brüdern Kouachi gleichzustellen, scheint dennoch übertrieben – und zeugt davon, wie groß die Kluft zwischen den Lagern mittlerweile ist. Das ist das Problem mit Metaphern, Vergleichen und Analogien: Wer sie nicht wohlbedacht auswählt, aktiviert parasitäre und im Endeffekt unerwünschte Vergleichselemente, weswegen man sie grundsätzlich denen überlassen sollte, deren Beruf es ist, sie zu imaginieren – namentlich Schriftstellern.
Darüber hinaus ist der Grad an Empathie bei solchen Solidaritätsbekundungen schwierig: Nein, niemand kann wirklich nachvollziehen, wie es den Journalisten von Charlie Hebdo ergangen ist, was diese Menschen durchgemacht haben. In diesem Sinne war bereits „Je suis Charlie“ plakativ und irgendwie selbstbezogen: Wieso zum Teufel mussten Social-Media-User sogar bei einem der schlimmsten Attentate auf die westliche Zivilisation ihr Ego mit einbeziehen? Wäre ein kollektives „Nous“ nicht empathischer, bescheidener gewesen?
Nachdem sich die Pest verzogen hat und die zahlreichen Toten ausgezählt wurden, schlussfolgert Camus in seiner weltbekannten Erzählung, dass es am Menschen „mehr zu bewundern als zu verachten“ gebe. So akkurat und glaubwürdig Camus’ fiktionale Darstellung und Verlauf menschlicher Reaktionen während einer Pandemie sind, so sehr wird seine Conclusio mittlerweile tagtäglich in sozialen Netzwerken widerlegt. Denn wie wäre es, wenn wir uns alle darauf fokussieren würden, wir selbst zu sein? Damit hätten die meisten bereits ausreichend zu tun.
Rassendurchmischung ist der effektivste Schutz gegenüber Krankheit.
Irgendwann wird aber keine Durchmischung mehr möglich sein.
Guten Tag Herr Schinker,
meine naiven katholische Eltern wurden von der lux. katholischen Presse zur grundpessimistischen, rassistisch-aggressiven, empathielosen, pathogenetischen, impffeindlichen Pseudowissenschaft der medizinischen Rassenhygiene auf den Weg gebracht. "Gift und Jud tun selten gut". (Stürmer 1933)
Dieser Weg wird von Jürgen Peter in seinem Buch "Der Einbruch der Rassenhygiene in die Medizin" eindrucksvoll beschrieben.
"Die Rassenfrage ist nicht nur der Schlüssel zur Weltgeschichte, sondern auch zu vielen bisher ungeklärten Gebieten der medizinischen Wissenschaft. In zehn Jahren wird es kaum mehr verstanden werden, daß man bei ärztlicher Tätigkeit die Rassenverhältnisse des Kranken außer acht lassen konnte.
Rassenmischung als mittelbare oder unmittelbare Krankheitsursache wird und muß für den kommenden Arzt ein geläufiger Begriff werden."
(Wilhelm HILDEBRANDT, 1935, S.106)
MfG
Robert Hottua
Artikel gefällt. Der Frust hat auch viel damit zu tun dass Leute heutzutage einen enormen Gerechtigkeitssinn haben, weil man die Unterschiede auch viel mehr erkennt als damals. Ueber Erbschaften wurde nie geredet, heute wird viel darüber geredet, über Gehälter wurde nie geredet, heute wird viel darüber geredet, über Urlaub (z.B. Lehrer) wurde nie geredet, heute wird viel darüber geredet, über sexuelle Orientierung wurde nie geredet, heute wird viel darüber geredet, über Krankheiten wurde nie geredet, heute sehr viel. Hinzu kommt noch eine zeitliche Einordnung von Gerechtigkeit: Jugendliche haben Vorteile, was gewisse ältere Leute nicht hatten, was als ungerecht empfunden wird. Jugendliche haben aber auch Nachteile, was von Jugendlichen als ungerecht angesehen wird. Jede politische Entscheidung führt zeitlich gesehen zu einer Spaltung zwischen Begünstigten und Nicht-Begünstigten. Da müssten für jedes Gesetz Entschädigungen fliessen. Anders gesagt: Meines Erachtens ist alles ein Generationenkampf.
"Wäre ein kollektives „Nous“ nicht empathischer, bescheidener gewesen?" - "wie wäre es, wenn wir uns alle darauf fokussieren würden, wir selbst zu sein?" Hmmmmm...jo wat dann elo!!!??