Lange Zeit vom Verlag angekündigt, hätte das Buch eigentlich bereits vor über zehn Jahren erscheinen sollen, als eine junge Musikergeneration dem Krautrock zu einer Renaissance verhalf. Acts wie das norwegische Duo Lindstrøm & Prins Thomas kombinierten auf frappierende Weise den Krawall-Sound beispielsweise von Faust mit den schwülen Rhythmen eines Barry White, während die US-amerikanische Band Tussle mit dem ehemaligen Can-Sänger Damo Suzuki auf Tour ging. „Cosmic Disco“ wurde das genannt, mittlerweile spricht kaum noch jemand davon (das ist halt der Lauf der Zeit und der Vergänglichkeit der Moden) und man muss Christoph Dallach unbedingt zugutehalten, dass er noch eine ganze Reihe von Protagonisten des Krautrock vors Mikrofon bekam, um damit sein Buch „Future Sounds: Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten“ zu einem veritablen zeit- wie kulturgeschichtlichen Schatz werden zu lassen. Sicherlich ist ein Grund, weshalb die Veröffentlichung immer wieder verschoben werden musste, in der Herangehensweise des Autors an sein offensichtlich monumental-umfangreiches Interview-Material zu suchen: Dallach hat nicht einfach die aufgenommenen Gespräche mit Hans-Joachim Roedelius (Cluster, Harmonia u.a.), Renate Knaup (Amon Düül 2, Popol Vuh), Jaki Liebezeit (Can) und jeder Menge weiterer Protagonisten des Krautrock-Phänomens aneinandergereiht, sondern thematisch geordnet, was verständlicherweise ein ungeheurer logistischer Aufwand bedeutet. Ein Kapitel ist Rolf-Ulrich Kaiser gewidmet, einem seinerzeit ziemlich umtriebigen und einflussreichen Musikjournalisten und Schallplattenproduzenten. Auf ihn geht das wiederum bei Timothy Leary in die Lehre gegangene Konzept der kosmischen Musik zurück: endloses, rauschhaftes Gitarrengegniedel und Klingklang-Gewabere, das den geneigten Plattenhörer in die unendlichen Weiten des Weltraums zu katapultieren schien – vorausgesetzt, er hatte ungefähr genauso viele Drogen wie die Musiker während der Einspielungen der Stücke konsumiert. Letztere erfuhren eher zufällig davon, dass Kaiser die Jam-Sessions auf Platte gepresst und unter dem Gruppennamen-Fake „Kosmische Reiter“ in die Läden gebracht hatte.
Der folgenden Prozess-Flut entzog sich Rolf-Ulrich Kaiser durch Flucht und ward bis heute nicht mehr gesehen. Nach diesem Debakel wollte kaum noch jemand über Krautrock sprechen, wobei das, was sich ab Ende der 1960er Jahre in Berlin, Köln, Düsseldorf oder München in Wohngemeinschaften und Musikkollektiven zusammengebraut hatte, auch weiterhin ohne stilistische Vereinheitlichung verfertigt wurde und durchaus auf Anerkennung stieß (so internationale Erfolge von Kraftwerk oder Tangerine Dream). David Bowie z.B. wurde nicht müde, Harmonia (ein Zusammenschluss der Musiker von Cluster mit Michael Rother, dem Gitarristen von Neu!) als die „wichtigste Rockband der Welt“ zu preisen, weil sie den Sound der Zukunft mit den fast noch steinzeitlichen Mitteln der damaligen Zeit erschaffen hätten (Synthesizer waren noch in der Entwicklung begriffen). Brian Eno hatte Bowies Interesse für die beiden Alben von Harmonia geweckt, die 1974 und im Folgejahr erschienen. Wir dürfen aber annehmen, dass die Briten vor allem die Ethik hinter der Musik beeindruckte, diente das scheinbar weltabgewandte Tüftlertum der Deutschen doch als Vorbild für die Verwandlung der dekadenten Rockstar-Identitäten sowohl von Bowie als auch von Eno in die von Chartplatzierungen weitgehend unabhängigen Klangkünstler!
Christoph Dallach
Future Sounds: Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
511 S., 18,00 €
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