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Am Lebensende„Lescht Hëllef“ beim Abschiednehmen

Am Lebensende / „Lescht Hëllef“ beim Abschiednehmen
 Foto: dpa/Oliver Berg

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Einen letzten Abschied zu nehmen, fällt uns unsagbar schwer. Den Tod, das Sterben zu akzeptieren, scheint ein unüberwindbares Hindernis – für den Sterbenden wie für die Angehörigen. Doch seit einigen Jahren gibt es Hilfe zum Abschiednehmen. Dafür, wie wir uns in den letzten Momenten eines Lebens gut verhalten können, interessierte sich unsere Korrespondentin Elke Bunge.

Wohl jedem von uns ist der Begriff „Erste Hilfe“ bekannt und vertraut. Bei einem Unfall – sei es im Verkehr, im Haushalt oder auf der Arbeit – haben wir Regeln, wie wir uns den Verletzten gegenüber verhalten. Diese Regeln erlernten wir in „Erste-Hilfe-Kursen“ bei der Fahrschule, in Belehrungen zur Arbeitssicherheit oder als Schüler in der Schule. Sie helfen nicht nur, in unvorhergesehenen Augenblicken die richtigen Handgriffe zu tätigen, sondern auch, mit eventuell psychisch schwierigen Situationen umzugehen.

Wie aber verhält man sich im Angesicht des Todes, wie gegenüber sterbenden Angehörigen oder Nahestehenden? Meist ist dieses Thema in unserer Gesellschaft noch ein Tabu, obwohl der Tod ebenso zu unseren Lebensabschnitten gehört wie alle anderen.

In Deutschland stellte der Schleswiger Notarzt und Palliativmediziner Georg Bollig bereits 2008 ein Hilfekonzept vor, das er „Letzte Hilfe“ nannte. Dabei sollte sich das Konzept nicht an Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Pflegebereich, Krankenpfleger oder Ärzte, sondern an alle Menschen richten. Denn irgendwann könnte jeder von uns in die Situation kommen, seine Eltern, den Partner oder auch jeden anderen Angehörigen oder Freund in diesem schweren Moment zu begleiten. In vielen Begegnungen mit Familien, bei denen der Palliativmediziner Sterbende betreute, hatte er die Erfahrung gemacht, dass die hinterbleibenden Angehörigen unsicher im Umgang mit dem Sterben und dem Tod sind. Es sei ein gesellschaftliches Problem, das auch gesellschaftlich zu lösen sei, so Georg Bollig. Mit dem Konzept der „Letzten Hilfe“ entwickelte er ein Kurssystem, das dem der bekannten „Ersten Hilfe“ ähnelte.

Von Vorsorgen bis Abschied nehmen

Die Kurse werden dabei in vier Module à 45 Minuten aufgeteilt. Diese vier Bereiche umfassen folgende Themen: Sterben ist ein Teil des Lebens, Vorsorgen und Entscheiden, Leiden lindern und Abschied nehmen.
Im ersten Modul geht es darum, den Sterbeprozess zu erkennen, den Menschen am Ende seines Lebensweges zu begleiten und Angehörigen und Freunden die Angst vor dem Tod des Nächsten zu nehmen und ihnen gleichzeitig Möglichkeiten eröffnen, wie sie dem Gehenden den Prozess des Sterbens erleichtern. Im zweiten Teil geht es um das Thema Vorsorge, darunter rechtliche Grundlagen zu Patienten- oder Betreuungsverfügung. Hier werden auch medizinisch-ethische Fragen besprochen und Hilfsangebote erörtert. So lernen die teilnehmenden Angehörigen, welche palliativmedizinische Unterstützung in der Umgebung es für Sterbende gibt. Das dritte Modul behandelt praktische Fragen: Was ist etwa bei Atemnot zu tun: Wird ein Medikament gebraucht oder hilft schon ein Umlagern des Betroffenen, das Öffnen des Fensters, ein beruhigendes Gespräch oder die reine Anwesenheit. Wichtig ist auch für Sterbende die Versorgung mit Flüssigkeit – angefangen vom Befeuchten der Lippen bis zum Reichen von Getränken. Am praktischen Beispiel lernen die Betreuenden die Methoden der Flüssigkeitsgabe kennen. Etwa, dass es durchaus sinnvoll sein kann, statt des mit Glycerin getränkten Zitronenstäbchens dem Betroffenen ein Fruchteis oder ein Schlückchen Wein zu reichen. Im abschließenden Modul der „Letzten Hilfe“ vermittelt der Kurs Leitlinien für die Phase des Abschiednehmens. Wann tritt der Tod ein und wie erkenne ich ihn? Welche Schritte muss ich nun einleiten? Dabei werden sowohl Fragen des Beerdigens geklärt als auch rechtliche Fragen erörtert. So etwa: Darf ich den im Krankenhaus Verstorbenen nach Hause holen, um ihn dort zur Trauer aufzubahren? Weiterhin bietet dieses Modul Unterstützung bei der Frage: Wie gehe ich mit meiner Trauer um? Denn Trauer ist eine lebenswichtige Phase, die den Hinterbliebenen auch eine Zukunft ermöglicht.

Inzwischen hat sich das Kursangebot in weiten Teilen Deutschlands verbreitet. Hospizdienste wie der in der Hochrheinregion ansässige bieten Schulungen von Familien und Angehörigen Sterbender an. „Letzte Hilfe ist ein niederschwelliges Angebot an weite Teile der Bevölkerung, ein Beitrag zur Sorgekultur und zum Umgang mit einem Thema, das immer noch mit vielen Tabus bedacht ist“, erklärt Dorothea Flaig, Koordinatorin des Hospizdienstes Hochrhein. Die Kurse zur „Letzten Hilfe“ werden stets von einer Pflegekraft gemeinsam mit einer speziell auf die Thematik geschulten Fachkraft angeboten. „Wir sind froh, dass wir durch den Hospizdienst eine qualitative Unterstützung für die große Herausforderung haben, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Das Wissen soll helfen, dass es selbstverständlicher wird“, sagt Rosi Drayer vom Bürgernetzwerk Hohentengen. Das soziale Netzwerk hatte sich erst im Januar 2019 gegründet und wurde mit der beginnenden Corona-Pandemie zugleich vor hohe Herausforderungen gestellt. Der Umgang mit allen Lebensphasen, auch dem Sterben und dem Tod, gehören zum zwischenmenschlichen Erleben, das der Verein in Gemeinsamkeit fördern will.