Was denkt so ein Autor zwischen den Zeiten? Gesellschaftkritisches offenbar zuhauf, gelegentlich in den insgesamt 43 kurzen Texten/Skizzen auch Persönliches. So sinniert Franz Hohler (Jahrgang 1943) über den plötzlichen Status einer Vollwaisen mit 74 Jahren oder verirrt sich etwas im Allgemeinen, wenn er im russischen Krasnojarsk feststellt: „Eine Stadt lernt man erst dann kennen, wenn man ihre öffentlichen Verkehrsmittel benutzt.“ Öfters trifft er aber auch mitten ins Schwarze. So während seines Ukraine-Besuchs 2017, anlässlich einer Buchmesse in Kiew, auf dem Maidan stehend, unterm Platz ein Einkaufzentrum auf zwei Ebenen ins Auge fassend: „die Lokale wurden von Gucci, McDonald’s und Tommy Hilfiger ohne Blutvergießen erobert und sie waren während der ganzen Besetzung des Maidan vor drei Jahren geöffnet.“ Immer wieder setzt Hohler seine privilegierte Stellung als lustwandelnder Literat in Beziehung zu den Flüchtlingen, die zum Großteil schon an den Grenzen Europas scheitern, weil armen Schluckern das Reisen nicht vergönnt sein soll. Die Diskrepanz zwischen den beiden Polen ist bei genauer Betrachtung kaum zu ertragen, und Franz Hohler drückt sich keineswegs vor dieser Erkenntnis.
thk
Franz Hohler
„Fahrplanmäßiger Aufenthalt“
Luchterhand Literaturverlag, München 2020.
112 S., 18 €
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