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EditorialHilfe, die Afghanen kommen! – Über ein unwürdiges Polit-Schauspiel

Editorial / Hilfe, die Afghanen kommen! – Über ein unwürdiges Polit-Schauspiel
Wir sind dann mal weg: Wir schmeißen unsere Werte über Bord und wundern uns, dass andere sie nicht übernehmen wollen Foto: AFP/Wakil Kohsar

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Deutschland, Land der Fristen-Denker und Listen-Dichter, hat ganze sieben Leute auf seinen ersten Evakuierungsflug bekommen. Emmanuel Macron hat den Draht zu seinen Franzosen dermaßen verloren, dass er gar nicht mitbekommt, was seine Worte bei ihnen auslösen – und muss dann kurz nach seiner TV-Ansprache zurückrudern: War doch alles nicht so gemeint, die ganze Chose, dass während die Taliban Afghanistan überrollen, das Dringendste die Angstmache vor neuen Flüchtlingen sei.

Österreichs Innenminister fantasiert davon, „Alternativen anzudenken“, wenn Abschiebungen aufgrund der durch die europäische Menschenrechtskonvention gesetzten Grenzen nicht mehr möglich seien. Folglich sollten „Abschiebezentren“ in den Nachbarstaaten Afghanistans geschaffen werden. Er ist bei weitem nicht der einzige Europäer, der so denkt. Die Iraner, Pakistaner, Turkmenen, Usbeken und Tadschiken werden sich bestimmt darüber freuen – vor allem deswegen, weil sie bereits seit Jahrzehnten Afghanen versorgen, die irgendein Krieg, in dem wir unsere Finger im Spiel hatten, aus Angst um ihr Leben dort hingetrieben hat.

Sind die alle noch bei Trost? Wer sich nicht vollends zum empathielosen Clown machen will, sollte angesichts dieser Krise etwas mehr Ernsthaftigkeit an den Tag legen. Afghanistan hat die Radikalislamisten, wir haben inzwischen die Radikalkonservativen – und sie sind längst in unserer Mitte angekommen.

Wir schmeißen unsere Werte über Bord und wundern uns, dass andere sie nicht übernehmen wollen. Der einzige westliche Wert, den wir erfolgreich exportiert haben, ist die korrupte Geldmacherei; vermutlich, weil das der einzige ist, den wir auch selber glaubhaft verkörpern.

Da macht unseren amerikanischen Freunden und uns selber keiner was vor: Die 20 Jahre Afghanistan-Einsatz waren auch ein gigantisches Umleiten öffentlicher Gelder in private Hände (vor allem in die Rüstungsindustrie und ihre IT- und Überwachungsanhängsel sowie Söldnerfirmen). Die von uns eingesetzten afghanischen Marionetten-Politiker konnten sich – angesichts der investierten Billionen – mit Peanuts bereichern, das westliche Kapital machte den Reibach.

Jean Asselborn kritisierte die Österreicher scharf und kündigte an, zwölf Menschen aus Afghanistan in Luxemburg aufzunehmen. Immerhin. Kanadas Premier Justin Trudeau hatte da bereits die Aufnahme von 20.000 afghanischen Ortskräften und besonders bedrohten Menschen versprochen. Umgerechnet auf unser Großherzogtum wären das etwas mehr als 300 Leute.

Aber jetzt wollen wir als Europäische Union erst einmal mit den Taliban reden. Die sind ganz lieb geworden. Haben sie gesagt. Gegen Frauen haben sie angeblich nichts mehr und Rache wollten sie auch keine. Kleine Erinnerung am Ende: Das haben sie auch schon 1996 behauptet, bei ihrer ersten Machtergreifung. Wir wissen, wie es weiterging.

In Afghanistan formiert sich Widerstand gegen die Taliban, bei uns formiert sich Dialogbereitschaft. Mir nichts, dir nichts lassen wir viele Helfer zurück und akzeptieren deren Henker umgehend als Gesprächspartner. Von vorne bis hinten ein unwürdiges Polit-Schauspiel.

grenzgegner
24. August 2021 - 13.01

@Wieder Mann: Ihre Aufzählung von gesellschaftlichen Fehlentwicklungen macht ja in Teilen Sinn.
Jetzt aber dem Afghanistan-Einsatz dafür eine Mitschuld zu geben ist genauso falsch, wie Ihre anderswo zu lesende Schlussfolgerung, der Sozialismus sei am Niedergang der westlichen Kultur schuld. Es ist sehr bequem, eine Idee, die 40 Jahre tot ist, als Sündenbock heranzuziehen.

Woran liegts wirklich? Die Antwort ist einfach, und vor unserer aller Nasen sichtbar: Ein exzessiver Egoismus, gepaart mit einem unbändigen Materialismus und der zunehmenden Unfähigkeit, Empathie zu empfinden.

Und jetzt bedrohen uns satte Wohlstandsbürger auch noch ein paar Afghanen, die vor Tod und Folter geflohen sind, in unserer "Comfortzone"! Sind doch nur Muslime!

Eine wirklich solidarische, humanistisch geprägte (Welt-) Gemeinschaft hätte das Taliban-Regime endgültig vom Planeten getilgt. Die westliche Welt mag sich als besonders demokratisch und entwickelt rühmen, aber die Kaltblütigkeit, mit der man die Afghanen im Stich ließ, ist beispiellos.
Dies damit zu begründen, man könne aus Afghanistan keine Kolonie machen, ist abgrundtief zynisch und menschenverachtend.

Jean Lichtfous
23. August 2021 - 9.16

Top Edito ! Genau esou ass ët (leider).

Hans-Jürgen Wochner
22. August 2021 - 10.45

Vielen Dank. Der Artikel bringt die Situation auf den Punkt. Msn kann es nicht treffender formulieren.

Let the god times roll
21. August 2021 - 10.58

Eher zwingen die uns in die Mosche, als das die sich integrieren lassen. Ich bin froh keine Kinder in diese Welt gesetzt zu haben.

Stiwi
21. August 2021 - 8.22

Große Töne werden jetzt links gespuckt."
"Letztlich gibt es aber von den Linken und Grünen eine Komplizität mit dem Islam."
"Nie gab es eine (Anmerkung: öffentlich vernehmbare) f e m i n i s t i s c h e Rettungbrücke für Frauen" aus Afghanistan. Stattdessen beschäftigen sich die Feministinnen mit Gendersternchen und Me-too.
"Ganz starke Teile der Linken sind heute die neue
Rechte." Wenn ich die Seite hier nennen darf defenseone.com schauen sie wieviel Frauen und Kinder im Flugzeug sitzen… Wär hat Angst vor 2015…

jean-pierre goelff
21. August 2021 - 5.20

Ein herrlicher Artikel,der berühmte Nagel wurde mit voller Kraft auf den Kopf getroffen!Ob unsere EU-und Ländle-Politiker das gelesen und auch verstanden haben?Question à 100 Euro's!

Clemens RM
20. August 2021 - 19.52

BRAVO Armand Back! Big Hand of Applause!
Merci fir Däin Artikel!

Wieder Mann
20. August 2021 - 11.13

Wundert es angesichts Otto Normalverbraucher selber mir Wohnungsnot , Arbeitsplatzmangel , Verschlechterung der Arbeitskonditionen ,Verteuerung der Waren, Lebenshaltungskosten oder CO2 Steuer zu kämpfen haben .Die EU Politik mit dem Glauben von Demokratieexport den Schlamassel Afghanistan verschuldet. die Tatsache immer mehr Menschen nach Europa strömen , dies nicht mit Applaus erfolgt .Dabei ist die Politik wieder dabei, den nächsten Schlamassel zu produzieren , einen Millionenstaat mit Wohnungsmangel zu erschaffen . Oder will man weiter in Überschwemmungsgebiete bauen? Will man die Wirtschaft weiter expandieren , auch dies dem Klimaschutz nicht unbedingt förderlich ist? Die Abfallberge an Müll durch immer mehr Menschen erhöhen?

Jones Ginette
20. August 2021 - 8.45

Merci fir deen pertinenten Artikel. Brengt et a kurzen Wieder op de Punkt!

jung luc
20. August 2021 - 8.38

Die LSAP täte besser daran sich um luxemburger Probleme zu kümmern anstatt andere Länder zu verunglimpfen. (Wohnungsbau, teure Mieten, Jugendarbeitslosigkeit, Grundgesetzreform, ....)