An der Inklusion queerer Personen, Themen und Debatten führt heutzutage kein Weg mehr vorbei. Das wird spätestens dann klar, wenn im Juni – dem sogenannten Pride-Monat – stinkkonservative Unternehmen plötzlich die Regenbogenflagge hissen. Dass dies oft mehr dem Image dienen soll als dem tatsächlichen Vorantreiben queerer Rechte, zeigt sich insbesondere dann, wenn mehr als reine Symbolpolitik verlangt wird. In der Musik-, Film- und Serienwelt gibt es ein ähnlich umstrittenes Phänomen: Queerbaiting. Hierbei wird ein kulturelles Produkt um einen impliziten Queerness-Kontext angereichert, der im späteren Verlauf der Handlung jedoch nie näher beleuchtet wird. Mittels latent homoerotischer Dialoge oder Handlungsstränge wird eine Figur somit beispielsweise als queer angedeutet, ohne dass es jemals zu einer finalen Auflösung kommt. Damit soll eine LGBTQIA+-angehörige Zielgruppe geködert werden, ohne jedoch ein heterosexuelles Publikum abzuschrecken.
Während queere Zuschauer somit in der Hoffnung nach Repräsentation und Identifikation am Ball bleiben, fahren Produzenten und Künstler eine zweigleisige Vermarktungsstrategie, die im Endeffekt auf leeren Versprechungen aufbaut. Ein Paradebeispiel hierfür ist Disney: Der Medienkonzern hat bereits des Öfteren versprochen, queere Charaktere auf die Filmleinwand bringen zu wollen. Passiert ist jedoch wenig: So hätte beispielsweise LeFou aus der Realverfilmung von „Die Schöne und das Biest“ Disneys erster offen homosexueller Charakter werden sollen. Bereits vor Filmstart hatte Disneys Ankündigung die Erwartungen und Vorfreude ihrer queeren Zielgruppe in die Höhe getrieben. Das Endprodukt verblieb jedoch mickrig und beinhaltete als einziges Indiz für LeFous Homosexualität eine zweisekündige Tanzsequenz mit einem anderen Mann. Auf große Worte waren leere Taten gefolgt.
Umso tragischer ist es, dass LeFou innerhalb der Disney-Franchise kein Einzelfall ist: Immer wieder gelingt es Disney, die Werbetrommel für offen queere Charaktere zu rühren und sich dabei als Vorreiter für LGBTQIA+-inklusives Kino zu positionieren, ohne dies jedoch tatsächlich unter Beweis zu stellen. Eine ähnliche Debatte spielt sich aktuell um die Realverfilmung von „Cruella“ und deren Charakter Artie ab. Dazu kommt, dass Disney eine ohnehin tumultuöse Vergangenheit mit queerer Darstellung hat, da sich hier neben dem Vorwurf des Queerbaitings auch noch jener der Queercodings dazugesellt. Die sogenannte Technik des Queercodings stammt aus einer Zeit, in der es US-Filmschaffenden verboten war, homoerotische Darstellungen auf der Leinwand zu zeigen, da diese als „moralisch unakzeptabel“ oder „pervers“ erachtet wurden. Das Verbot umging man, indem man Filmfiguren implizit als von der heterosexuellen Norm abweichend darstellte, ohne dies jedoch tatsächlich auszusprechen. Damit dies gelingen konnte, wurde sich vor allem einer klischeehaften Darstellung von Homosexualität bedient: Gepaart mit der gängigen Homophobie des 20. Jahrhunderts wurde sich hier vor allem auf negativ behaftete Stereotype bezogen, die damit weiter verfestigt und in den Mainstream exportiert wurden.
Keine Farbe bekennen
Bei Disney zeigt sich dies vor allem in den frühen Bösewichten wie Scar („Der König der Löwen“) oder Dschafar („Aladdin“), die gerne melodramatischer, extravaganter und geschniegelter sind als ihre protomännlichen Heldengegenüber. Zwar mögen die Antagonisten die aufregenderen Figuren sein, welche zu Recht mittels Witz und Intellekt zu essenziellen Fanlieblingen aufgestiegen sind, allerdings ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Verbindung „Schurkentum“ und „Homosexualität“ eine problematische ist. Dass diese in alter Disney-Manier, in der nur das Gute siegen darf, zu Schluss stets qualvoll enden, verleiht einen zusätzlich bitteren Nachgeschmack. Einer jungen Zielgruppe wird damit suggeriert, ja nicht wie Scar oder Dschafar zu sein, denn es wird nicht gut ausgehen.
Was bei Disney somit als Queercoding begonnen hat, ist nun zu Queerbaiting übergegangen. Auch deswegen fällt es schwer, hinter Disneys stetig angedeuteter, aber letztlich hinausgezögerter LGBTQIA+-Inklusion eine ehrliche Intention zu vermuten. Vielmehr scheint Disney nur dann Farbe bekennen zu wollen, wenn dies gerade en vogue ist und somit Einnahmen verspricht. Dass gleichzeitig jedoch nie tatsächlich Farbe bekannt wird, zeigt, dass hier eine queere Zielgruppe hingehalten werden soll, ohne eine konservative zu vergraulen. Das Resultat ist ein Eiertanz, bei dem Geld an höchster Stelle steht und tatsächliche Repräsentation nur angeschnitten wird.
Queerbaiting-Debatte und die Frage nach dem Coming-out
Nun ist Disney jedoch ein Negativbeispiel, das in seiner Vergangenheit gängige Queerfeindlichkeit bewiesen hat und deswegen besonders unter die Lupe genommen werden muss, wenn es darum geht, geheuchelte Quasi-Repräsentation von intrinsischer Überzeugung zu unterscheiden. Die Thematik des Queerbaitings ist jedoch facettenreicher, als ein bloßes Verteufeln es zulässt: Eine weitere Frage ist nämlich, ob ein Charakter – sei es nun fiktiv oder real – zu einem Coming-out gezwungen werden muss, um dem Publikum seine Queerness zu beweisen.
Hier erregt eine Debatte um die Sängerin Billie Eilish die Gemüter, der nun das Queerbaiting vorgeworfen wird. Streitpunkt sind ein rezentes Instagrambild mit dem Bekenntnis „i love girls“ und das Musikvideo zu „Lost Cause“, in dem Eilish mit einer Gruppe von jungen Frauen verspielt tanzt. Dass Eilish in der Öffentlichkeit bis dato jedoch nur in heterosexuellen Beziehungen gesichtet wurde, wurde ihr nun zum Verhängnis. Der Aufschrei war groß, die Fangemeinde erzürnt darüber, ob die 19-Jährige sich als queer vermarkte, ohne der Community überhaupt angehörig zu sein – Gay-for-pay, wie es einst das russische Frauenduo t.A.T.u. vorgemacht hatte. Fakt ist jedoch, dass Billie Eilish es niemandem schuldig ist, ihre Sexualität zu offenbaren.
Hinter dem Bedrängnis zu einem öffentlichen Coming-out steckt vielmehr die latent homophobe Annahme, dass Heterosexualität für jeden die Norm ist und Abweichungen davon signalisiert werden müssen. Wieso wird von queeren Personen erwartet, über ihre Sexualität Rechenschaft abgeben zu müssen, während sich die Frage nach dem individuellen Begehren bei nicht-queeren Menschen erübrigt? Natürlich kann und soll Sexualität ein Thema sein, über das Menschen sich tabu-befreit unterhalten können, allerdings darf niemand zu diesem intimen Schritt gezwungen werden. Dass ein Coming-out somit der Maßstab ist, an dem gemessen wird, ob eine Figur repräsentativ für die LGBTQIA+-Gemeinde ist, ist der falsche Weg. Hierdurch wird die Stigmatisierung von Queerness als Abweichung von Heterosexualität weiter zementiert. Besser wäre es, einen anderen Diskurs einzuleiten, in dem Queerness Anerkennung erfährt, ohne dass ein großer Hehl darum gemacht werden muss.
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