Lebende Legende und Ikone der Protestbewegung, Vorbild und Vorkämpfer, Guru und Rebell, Nonkonformist und Verwandlungskünstler, Rockpoet und Inbegriff des „Singer-Songwriter“ – seit mehr als einem halben Jahrhundert begeistert Bob Dylan sein Millionenpublikum mit faszinierenden Songs, die aufrütteln, sich einprägen und Maßstäbe setzen.
Der Herzschlag einer ganzen Generation
Zu seinem achtzigsten Geburtstag, den Bob Dylan bereits am Pfingstmontag dieses Jahres feiern konnte, wartet Maik Brüggemeyer mit der Neuerscheinung auf „Look Out Kid: Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten“ (1), in der renommierte und beliebte Erzähler und Künstler mit ganz unterschiedlichen Stimmen ihre persönlichen Storys über Dylan und seine Songs zum Besten geben. Einige dieser Erzählungen sind – wie bei Dylan selbst – dem Leben abgeschaut, andere sind einfach erfunden und manche befassen sich mit einem bestimmten Lied des wohl größten amerikanischen Songwriters.
Stefan Aust und Martin Scholz beschäftigen sich in ihrem neuen Buch „Forever Young: Unsere Geschichte mit Bob Dylan“ (2) mit des Sängers Leben als einer Abfolge von disharmonischen Wandlungen, von vielen Metamorphosen, mit denen der Rockpoet paradoxerweise jünger geworden ist, was er in einem seiner Songs prosapoetisch zum Ausdruck gebracht hat: „Ah, but I was so much older then, I’m younger than that now.“
„Bob Dylan – Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist, Gespräche aus sechzig Jahren“ (3) lautet der Titel einer weiteren Buchwürdigung, in der Heinrich Detering des Sängers unkonventionelle Interviews zusammengetragen hat, von denen einige sich als Showeinlagen, andere sich als Kunstperformances erweisen, manche als autobiografische Äußerungen zu werten sind, in denen er offen über sich selbst und alles erzählt, was ihn so umtreibt, in denen er mit Witz, Poesie, Ironie und Weisheit seine Gegenüber aus der Fassung bringt.
Helle Sterne am Liederhimmel
„The Times They Are A-Changing …“, „Blowin’ in the Wind“, „Don’t Think Twice It’s All Right“, „Hard Rain’s Gonna Fall“, „Masters of War“ und „Mr Tambourine Man“ sind einige seiner bekanntesten und am meisten auch von anderen Vokalisten aufgenommenen Lieder, mit denen der heutige Berufsgreis im etwas knittrigen Kostüm des Altamerikaners Popmusik-Geschichte geschrieben hat.
Diese Folkklassiker sind auf der von Bear Family Records herausgegebenen CD-Sammlung „Various: Troubabours, Vol. 2, Folk and the Roots of American Music“ (4) enthalten, die aufzeigt, „wie die amerikanische Bevölkerung stetig an ihre Folkwurzeln geführt wurde, warum das Schlaflied des mehrfach wegen Mordes verurteilten Afroamerikaners Leadbelly zu einem der beliebtesten Songs der Nachkriegszeit wurde, warum Woody Guthrie für Dylan wichtig war und die Kommunisten die Folkmusik für sich beanspruchten“, was Dave Samuelsen in dem beigefügten und aufwendig gestalteten Booklet erklärt.
„Bob Dylan – Alle Songs, Die Geschichten hinter den Tracks“ (5) heißt das rezente 700-Seiten-Buch im Großformat, das vollständig versammelt, was zum eigenwilligen Rockveteran zu sagen ist, der als Sänger, Gitarrist, Pianist, Organist, Mundharmonika-Akrobat, Lyriker, Maler, bekennender Pazifist und praktizierender Christ zu den einflussreichsten Künstlern unserer Zeit gehört. In der Tat haben die beiden Dylan-Spezialisten Philippe Margotin und Jean-Michel Guesdon sämtliche Lieder dieser Folklegende zusammengetragen, deren Entstehungshistorie sie detailliert analysieren, wobei der Rezensent bedauert, dass die Noten und Texte der einzelnen Songs nicht mit abgedruckt wurden.
„Eher Kuhhirte als Rattenfänger“
Anfang der Sechzigerjahre salbten amerikanische Jugendliche einen arglosen Folksänger, der seine Songgefäße mit Symbolismen und Metaphern füllte, zu ihrem Erlöser, der bis heute vorgibt, nicht so richtig zu verstehen, warum gerade er zum Sprecher des „verstörten Gewissens der Jugend in Amerika“ befördert wurde.
Auf die abenteuerlichen Mythen und Legenden, die sich um ihn ranken und die er selbst lange in die Welt zu setzen pflegte, schimpft der große Näsler heutzutage: „Ich hatte sehr wenig mit der Generation gemein, deren Stimme ich sein sollte, und ich wusste auch nichts über die Generation. Und dann kamen die Knalltüten auf der Suche nach dem Prinzen der Protestbewegung. Ich hatte die Schnauze voll, dass ich zum Obermufti geweiht und zum Oberpopanz der Rebellion ernannt worden war, zum Hohepriester des Protests, zum Zaren der Andersdenkenden, zum Herzog der Befehlsverweigerer, zum Chef der Schnorrer, zum Kaiser der Ketzer, zum Erzbischof der Anarchie. Ich erklärte ihnen immer wieder, dass ich kein Wortführer für irgendwas oder irgendwen sei, sondern nur ein Musiker. Ich war eher ein Kuhhirte als ein Rattenfänger.“
Lese- und Hörtipps
(1) Maik Brüggemeyer (Hrsg.): „Look Out Kid: Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten“ (Ullstein Verlag, Berlin 2021, 272 Seiten, gebunden, € 18,00, ISBN 978-3-550-20158-5)
(2) Stefan Aust & Martin Scholz: „Forever Young: Unsere Geschichte mit Bob Dylan“ (Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021, 288 Seiten, gebunden, € 22,00, ISBN 978-3-455-01070-1)
(3) Heinrich Detering (Hrsg.): „Bob Dylan – Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist, Gespräche aus 60 Jahren“ (Kampa Verlag, Zürich 2021, 352 Seiten, gebunden, € 24,00, ISBN 978-3-311-14027-6)
(4) „Various: Troubadours, Vol. 2, Folk and the Roots of American Music“ (Bear Family Records, Grenzweg 1, D – 27729 Holste, www.bear-family.de, 3-CD Digipak with 120-page booklet, 70 tracks, Total playing time approx. 221 minutes, € 29,95, BCD 17402)
(5) Philippe Margotin & Jean-Michel Guesdon: „Bob Dylan – Alle Songs, Die Geschichten hinter den Tracks“ (Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2018, 3. Auflage, 704 Seiten mit 166 Farbfotos, 266 S/W-Fotos, 6 farbigen Abbildungen und 2 S/W-Abbildungen, Format 21 X 27 cm, gebunden mit vierfarbigem Schutzumschlag, € 59,90, ISBN 978-3-667-11362-7)
80 und in all den Jahren nicht einen einzigen Ton live getroffen.