Unser Berufsalltag findet immer häufiger im Sitzen statt. Bildschirm und Büroarbeitsplätze sind heutzutage beruflicher Alltag. Mehr als 40 Prozent der europäischen Erwerbstätigen sitzen am Computer. Noch deutlicher wird die Zahl der sitzenden Beschäftigten in den Arbeitsbereichen der Dienstleistungen. So ergibt sich für den Finanzsektor, eine Kernbranche unseres Landes, eine Quote von 86 Prozent der Beschäftigten, die an einem Computerarbeitsplatz ihr monatliches Salär verdienen.
Für viele dieser sitzenden Mitarbeiter, die für ihre Tätigkeit „nicht mehr“ als einen PC, einen Tisch und einen Stuhl benötigen, hat sich der Arbeitsplatz seit der Corona-Krise in die häuslichen Gefilde verlegt. Diese Veränderung mag zunächst bequem erscheinen, doch oft bedeutet dies noch weniger Bewegung im Laufe des Tages. Nahezu sofort nach dem Aufstehen kann man sich jetzt am häuslichen Arbeitsplatz niederlassen und den Rechner starten. Dabei fällt der Weg zur Arbeit, der sportlich per Rad, zu Fuß oder auch nur durch einige Schritte an der frischen Luft zum Auto, Bus oder zur Bahn führten, weg. Kreislauf und Muskulatur kommen kaum in die Gänge. Doch was sagt unsere Gesundheit zu dieser Veränderung und wie können wir unseren neuen Arbeitsplatz so einrichten, dass wir uns weiterhin körperlich wohlfühlen?
Anstengend für den Rücken
Bei langen sitzenden Tätigkeiten am Schreibtisch wird die obere Rückenmuskulatur mit dem Bereich um Schulter und Nacken besonders stark beansprucht. In der Folge kann es zu Verspannungen und Verhärtungen dieser Bereiche kommen. Dagegen ist die Muskulatur in der Region der Lendenwirbelsäule und im Bauchraum eher unterbeansprucht und neigt zur Erschlaffung. Doch diese muskulären Dysbalancen sind nicht die einzigen gesundheitlichen Probleme, die langanhaltende sitzende Tätigkeit mit sich bringt. Dauernder Mangel an Bewegung birgt auch die Gefahr von zunehmender Adipositas verbunden mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Entstehung eines Diabetes Mellitus Typ II (erworbener Diabetes) mit sich.
Moderne Bürostühle versuchen diese gesundheitlichen Defizite auszugleichen. Seit längerer Zeit beschäftigt sich der promovierte Physiker und international anerkannte Ergonom Prof. Rolf Ellegast mit den gesundheitlichen Folgen, die andauernde physische Inaktivität an Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen nach sich ziehen. Das Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, dessen Stellvertretender Direktor Ellegast ist, führte Studien zur Ergonomie von Bürostühlen durch. Dabei wurden den teilnehmenden Probanden diverse Messfühler angelegt, die mittels einer computerunterstützten Erfassung und Langzeitanalyse (Cuela) das Verhalten des Muskel-Skelett-Systems im Büroalltag aufzeichnen sollten. Getestet wurden in den Studien diverse moderne dynamische Systeme und mit herkömmlichen Bürostühlen verglichen.
„Beim Austausch mit anderen europäischen Arbeitsschutzinstituten stellen wir fest, dass immer mehr Wissenschaftler erkennen, welche gesundheitliche Risiken der statische Büroarbeitsplatz birgt“, lautet das Fazit von Rolf Ellegast. „Vor allem bei den skandinavischen Kollegen verbreitet sich die Auffassung, dass eine gute Prävention dieser Risiken die Einrichtung von Kombinationen aus Sitz- und Steharbeitsplätzen ist.“
Ein weiterer Trend geht dahin, dynamische Bürostuhleinheiten zu entwickeln. Dabei handelt es sich um ein Bürositzmöbel, bei dem man sich gleichzeitig physisch bewegen kann, zum Beispiel „Radfahren“. So hat zum Beispiel die deutsche Telekom in Zusammenarbeit mit dem IFA eine große Reihe von sogenannten „Deskbikes“, also einer Kombination aus Bürostuhl und Ergometer, eingeführt. „Natürlich kann man einen solchen Arbeitsplatz nicht nutzen, wenn man hoch konzentriert eine Aufgabe lösen muss“, gibt Ellegast zu bedenken. „Doch es gibt ja auch im Arbeitsalltag eine Menge Routinen, wie Telefonieren, bei denen man durchaus solch ein Deskbike nutzen kann.“ Schon der Wechsel für eine halbe Stunde täglich, ist der Ergonom überzeugt, könnte einen gesundheitsfördernden Einfluss haben.
Sitzen im Home-Office
So extravagant wird der Bürostuhl am heimischen Arbeitsplatz selten sein. Dennoch wollen auch diejenigen, die in diesen Zeiten im Home-office arbeiten, auf einem gesundheitsschonenden Möbel sitzen. Wichtig bei dessen Auswahl ist, so die Fachwissenschaftler, dass der Bürostuhl auf die Nutzermaße abgestimmt ist. „Ein Standardbürostuhl in Europa ist derzeit auf eine Körpergröße zwischen 150 und 190 Zentimeter und einem Körpergewicht bis zu 110 Kilogramm abgestimmt“, erklärt Rolf Ellegast. Abweichungen von diesen Maßen bedürfen einer Sonderanfertigung, dies wird in der Realität jedoch nicht allzu oft vorkommen.
Bei der Auswahl des passenden Stuhls ist nicht unbedingt die Regel, dass der teuerste auch der beste sein muss. Sicher ergibt es mehr Sinn, einen Stuhl zu kaufen, der gut konstruiert ist und aufgrund seiner Materialbeschaffenheit fünf Jahre „im Dienst“ sein kann, als einen, der bereits nach spätestens zwei Jahren ausgewechselt sein muss. Wichtig für die Auswahl ist auch, dass der Stuhl leicht zu bedienen sein muss, das Verstellen von Sitz und Rückenlehne sowie das Feststellen der Stuhlbeinrollen unkompliziert sind. „Wir haben bei Tests festgestellt, dass ein Bürostuhl mit einem komplizierten Federsystem oder gar einem Motor unter dem Sitz subjektiv bei einigen Testpersonen gut ankommen kann. Objektive Messungen am Muskelsystem zeigten jedoch, dass es keine wesentlichen physischen Unterschiede zu einem weniger komfortablen Bürostuhl gab“, sagt Ellegast, der ergänzt, dass der „motorisierte Stuhl“ jedoch um einen etwa dreifachen Kostensatz teurer war.
Beim Kauf eines eigenen Bürostuhls sollte man darauf achten, dass die Rückenlehne verstellbar ist, er vielleicht zusätzlich eine Lordosenstütze besitzt, um den mittleren Rücken zu entlasten, sowie Armlehnen, auf denen man die Schulter-Arm-Muskulatur entlasten kann.
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