Die Maskenpflicht ruft, liebes Tagebuch. Die Mehrheit der Menschen in Luxemburg scheint sich damit abgefunden zu haben. Doch wer hätte gedacht, dass mancherorts aus der Maskerade so ein Theater werden würde? Klar, Mundschutz tragen ist ungewohnt. Es gibt durchaus Gründe, das in unseren Gefilden eher ungewohnte Accessoire zu verteufeln. Es pikst an den Ohren, ist unbequem, die Brille läuft an, das Atmen fällt schwerer.
Nun haben aber die echten Rebellen das ultimative Argument gefunden, um lauter als alle anderen zu bellen: „Sieht doof aus.“ Voilà! Das ist der springende Punkt, der alle vorher genannten in den Schatten stellt. Nachdem es groß in den sozialen Medien angekündigt wurde, flanieren die Freidenker stolz ohne Mundschutz durch öffentliche Orte und zeigen es mal allen. „Ihr Mitläufer macht ja nur, was der Staat euch sagt! Ich lass’ mich aber nicht manipulieren! Freiheit statt Diktatur!“
„Gib dem Menschen eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen.“ So war das bekannte Sprichwort von Oscar Wilde wohl nicht gemeint.
Die filterlosen Masken, die die breite Bevölkerung trägt, bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Dennoch haben Experten festgestellt, dass das Tragen davon in Verbindung mit den Sanitärregeln durchaus etwas bringt. Und ganz ehrlich … ich könnte mir weitaus schlimmere „Freiheitsberaubungs-Maßnahmen“ vorstellen als die Vorschrift, ein Stück Stoff vor dem Mund tragen zu müssen. Außerdem gibt es durchaus Accessoires, die „affiger“ aussehen … zum Beispiel Aluhüte!
Ja, liebes Tagebuch, ich gehöre zu denen, die bereits vor der Pandemie eine Stoffmaske trugen. Nicht, um meine Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit auszudrücken, sondern weil der luxemburgische Winter so kalt ist. Außerdem traf ich mich vor Corona öfters mit Freunden, die einen Mundschutz mit dem Namen der gleichen Musikgruppe und dem jeweiligen Lieblingsmitglied trugen.
Apropos Musik: Die vergangenen Wochen und Monate haben so einiges verdeutlicht. Zumindest empfinde ich es so. Viele von uns haben gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Einfacher leben, vermehrt mit Grundnahrungsmitteln kochen, die sich übrigens als genauso gesund wie „Superfoods“ entpuppt haben. Andere Freizeitbeschäftigungen suchen. Vor allem in Italien haben nicht wenige Menschen wieder ihre Musikinstrumente ausgepackt und auf dem Balkon performt. Kunst von der Straße. Jam-Sessions. Die Stimme des Volkes.
Vor allem haben die vergangenen Wochen uns noch deutlicher vor Augen geführt, dass wir alle Berufszweige respektieren müssen. Die Mitarbeiter der Müllabfuhr tragen zwar keinen Maßanzug, doch ohne sie sitzen wir im wahrsten Sinne des Wortes in der Scheiße. Ja, das Klatschen für das Pflegepersonal ist eigentlich gut gemeint, hat aber einen leichten Nebengeschmack von Infantilisierung, im Stile von „Ach, das hast du ja gut gemacht, mein Kindchen!“. Mitleid reicht nicht: Wir müssen uns aktiv und konkret für die Rechte dieser und noch vieler anderer Berufsgruppen einsetzen.
Dazu gehört auch das Hinterfragen unserer Konsumgewohnheiten. Wir leben in einer globalisierten Welt, sind aber so stark von Exporten abhängig geworden, dass es selbst in Bereiche vordringt, in denen wir es nicht erwartet hätten. Die Krise hat gezeigt: In Luxemburg gibt es beispielsweise Menschen, die nähen können. Vielleicht wäre es an der Zeit, gegen das System der Textilindustrie, das in puncto Umweltschäden und Ausbeutung zu den schlimmsten überhaupt gehört, anzukämpfen.
Brauchen wir ein anderes Paar Schuhe für jedes Outfit? Müssen wir uns diese „Shopping Hauls“ der „Influencer“ wirklich antun? Ja, auf Aliexpress und Wish gibt es alles günstiger. Aber haben wir jetzt tatsächlich auf ein ironischerweise in China aufgetretenes Virus warten müssen, um uns darin zu erinnern, dass ein großer Teil der lokalen Geschäftswelt ums Überleben kämpft?
Außerdem wurde uns wieder bewusst, was um einen herum geschieht. Ich wohne in der Nähe eines Waldes. Vor Corona sah ich selten Menschen an der frischen Luft spazieren gehen. Als es aber zum Lockdown kam, wollten plötzlich alle raus.
Der Mundschutz wird uns auf jeden Fall noch eine Weile begleiten. Und eines kannst du mir glauben, liebes Tagebuch: Spätestens im Winter werden sich die meisten darüber freuen.
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
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