Der vom Mensch verursachte Klimawandel ist inzwischen deutlich zu spüren: Klimaprognosen sind traurige Wirklichkeit geworden, extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Fluten oder Dürren kommen mittlerweile regelmäßig in den Nachrichten vor. Doch bisher gelingt es nicht, die Ziele des Pariser Klimaabkommens durchzusetzen und die Emission von Treibhausgasen aufzuhalten oder gar zu reduzieren. Dies wäre dringend notwendig, um den Anstieg der mittleren Temperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Derzeit gehen aktuelle Studien davon aus, dass dies nur noch durch negative Emissionen, also der Speicherung von Kohlendioxid, erreichbar sein wird. Wissenschaftlichen Studien zufolge wäre das weltweite Pflanzen von Bäumen auf derzeitigen Freiflächen eine effektive und vor allem natürliche Möglichkeit, um uns vor dem Klimawandel zu schützen.
Experten wie die Klima- und Umweltforscherin Karen Holl von der University of California Santa Cruz geben jedoch zu bedenken, dass bloße Aufforstung nicht das Allheilmittel sein kann. „Derzeit suggeriert eine Unmenge von Studien und Artikeln, dass das Pflanzen von Bäumen alle unsere ökologischen Probleme einschließlich des Klimawandels, des Wassermangels und des sechsten Massenaussterbens lösen könnte“, schreibt sie in der jüngst im Science Magazine veröffentlichten Studie. Wirtschaftsbosse und Politiker seien auf den Aufforstzug aufgesprungen. Das Pflanzen von Milliarden oder gar Billionen Bäumen, so die US-amerikanische Wissenschaftlerin und ihr brasilianischer Kollege Pedro Brancalion, Waldwissenschaftler der Universität São Paulo, werde aus sozialen, ökologischen oder gar aus ästhetischen Gründen initiiert. Ein solches Vorgehen sei nicht unbedenklich, so die Autoren der Studie. Es reiche nicht aus, nur Bäume zu pflanzen ohne die Umwelt- und auch wirtschaftlichen Folgen solch Handelns zu bedenken. Worum geht es im Einzelnen?
Naturbasierte Lösungen gegen den Klimawandel
Bisher wird als einzige Lösung die Abscheidung und Speicherung von CO2 mittels der sogenannten CCS-Technologie diskutiert. CCS steht für die englischen Worte Carbon Capture and Storage. Gemeint sind Verfahren, bei denen das entstehende CO2 abgeschieden und unterirdisch gelagert wird. Doch mit diesen Mitteln können die emittierten Stoffe nicht ausreichend reduziert werden. Neben Einschränkungen der Emissionen selbst setzen viele Wissenschaftler und Umweltverbände auf sogenannte naturbasierte Lösungen. Ein von Holl und Brancalion beobachtetes Projekt ist das eines Forscherteams um Jean-François Bastin von der ETH Zürich. Die Forscher zeigten in einer ebenfalls in Science veröffentlichten Studie auf, wo auf der Welt neue Bäume wachsen könnten und wie viel Kohlendioxid diese dann speichern würden.
Das Team errechnete, dass auf der Erde, unter den gegenwärtigen klimatischen Bedingungen, 4,4 Milliarden Hektar mit Bäumen bewachsen sein könnten. Derzeit sind rund 2,8 Milliarden Hektar von Bäumen bedeckt. Verbleiben 1,6 Milliarden Hektar. Zieht man jetzt Städte, Siedlungen und Ackerland ab, verbleiben 0,9 Milliarden Hektar ungenutztes Gebiet, dies entspricht der Größe der USA. Würde man dieses Land mit Wäldern aufforsten, könnten diese zusätzliche 205 Milliarden Tonnen CO2 speichern. Dies entspricht etwa zwei Dritteln der Menge, die seit der industriellen Revolution durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wurde.
Thomas Crowther, Professor für globale Ökosysteme und Ökologie und Leiter des gleichnamigen Labors an der ETH, kommentiert dies wie folgt: „Wir alle wussten, dass die Wiederherstellung von Wäldern eine Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen kann, aber wir wussten nicht wirklich, wie groß die Auswirkungen sind. Unsere Studie zeigt deutlich, dass die Wiederherstellung von Wäldern die derzeit beste Lösung für die Bekämpfung des Klimawandels ist. Wir müssen jedoch schnell handeln, da es Jahrzehnte dauern wird, bis neue Wälder ihr volles Potenzial als Quelle für die Speicherung von natürlichem Kohlenstoff entfalten.“
Größtes Potenzial in Russland
Die Studie zeigt auch, welche Teile der Welt für die Wiederherstellung von Wäldern am besten geeignet sind. Das größte Potenzial liegt laut den Forschern in Russland (151 Millionen Hektar), gefolgt von den USA (103 Millionen Hektar), Kanada (78,4 Millionen Hektar), Australien (58 Millionen Hektar), Brasilien (49,7 Millionen Hektar) und China (40,2 Millionen Hektar).
Zu Crothers Projekten gehört das in der gegenwärtigen Studie von Holl und Brancalion ebenfalls kritisch betrachtete „Three Trillion Trees“. Weltweit wurden von den geplanten drei Billionen Bäumen bislang etwa 13,6 Milliarden gepflanzt, vor allem in Forstgebieten auf der südlichen Erdhalbkugel. Ähnliche Projekte wie das von der ETH Zürich ausgehende sind solche in Äthiopien, China, Neuseeland oder Sri Lanka. Wohlmeinende Namen wie „WeForest“, „Eden Reforestation“ oder „One Tree Planted“ suggerieren die gute Absicht, mit Kohlendioxid absorbierenden Bäumen gegen den Klimawandel vorzugehen.
Prof. Dr. Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin, kommentiert dies wie folgt: „Die flächenreichen Länder Russland, Kanada, USA, Brasilien, Australien und China haben das meiste Potenzial für zusätzliche Bewaldung und können dort investieren. Gleichzeitig ist es aber noch wichtiger, dass erst einmal die Entwaldung gestoppt wird, speziell in Brasilien und Indonesien.“ Hier, so Creutzig weiter, könnte jeder Einzelne dazu beitragen. Europäische Geflügel, Schweine und Rinder werden vorwiegend mit Soja aus Brasilien gefüttert, für deren Anbau der Amazonas entwaldet wird. Die hiesige Einschränkung des Fleischkonsums wäre somit bereits ein Schutz der Wälder und damit der Schutz unseres Klimas.
Projekte nicht unumstritten
Nicht nur, dass von dem Projekt „Three Trillion Trees“ bislang nur etwa 0,4 Prozent der geplanten Bäume gepflanzt wurden, auch viele andere Faktoren lassen Zweifel daran aufkommen, ob die geforderten Klimaziele allein mit massenhafter Aufforstung überhaupt zu erreichen sind. Karen Holl und Pedro Brancalion waren gemeinsam an etlichen Projekten zur Wiederaufforstung in Lateinamerika beteiligt. In der aktuellen Studie ziehen sie ein Fazit. Häufig, so Holl, werden die Forstprojekte auch als eine Möglichkeit dargestellt, gerade kleinen Bauern eine zusätzliche Einkommensquelle zu verschaffen. Doch in vielen Fällen tritt genau das Gegenteil ein: Landwirtschaftliche Flächen, die für die ortstypische Subsistenzwirtschaft – das heißt, die bäuerliche Eigenversorgung der Familien – genutzt werden, verschwinden unter großen, oft staatlichen Aufforstungsprojekten. So hat China im Südwesten des Reiches ein ehrgeiziges Pflanzprojekt, das über zehn bis 15 Jahre laufen soll, aus der Taufe gehoben. 32 Prozent des Gebietes sollen bewaldet und damit 45 Prozent der Erderosion rückgängig gemacht werden. Umgerechnet 66 Milliarden US-Dollar sind für das Projekt veranschlagt. Doch wie so häufig in solchen Großprojekten werden keine ortsüblichen Bäume angepflanzt, sondern schnell wachsender Wald, der geografisch eigentlich nicht dorthin gehört. Unberechnet sind die Folgen für die örtliche Wasserwirtschaft: Die Bäume benötigen mehr Wasser, als Bäche und Flüsse vor Ort liefern können, abgesehen davon trocknen die weiter unten in den Flusstälern liegenden Gebiete aus. Den Bauern wurde etwa ein Viertel des bewirtschafteten Ackerlandes genommen, viele wurden umgesiedelt. An den neuen Wohnstätten wurde wiederum Wald gerodet, um Äcker anzulegen.
Holl nennt in ihrer Kritik ein weiteres Projekt: Nach dem Tsunami 2004 wurden in Sri Lanka 13 Millionen US-Dollar in Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern investiert. An 23 Stellen auf der Insel im Indischen Ozean wurden Bäume gepflanzt. Doch eine jüngste Überprüfung zeigte, dass bei mehr als 75 Prozent dieser Forstfläche weniger als ein Zehntel der Bäume auch angegangen waren.
Mit Bedacht Aufforsten
Die aktuelle Studie der beiden Forstwissenschaftler beschränkt sich nicht nur auf Kritik. Sie bieten auch Vorschläge an, wie der weltweit bestehende Wald erweitert und geschützt werden kann. Ihren Erfahrungen nach ist es Erfolg versprechender und deutlich kostengünstiger, bestehende Wälder zu pflegen und zu erweitern, als neue Wälder anzupflanzen. „Das Erste, was wir machen können, ist, es den Bäumen selbst zu gestatten, sich zu generieren und Flächen zurückzuerobern, wo einst mal Wald war“, meint Karen Holl. Sie verwies auf ein Beispiel in den östlichen Bundesstaaten der USA: Dort, wo vor 200 Jahren große Flächen abgeholzt wurden, holen sich die Bäume auf natürliche Weise das Terrain zurück.
Beide Wissenschaftler arbeiteten an Projekten zur Wiederaufforstung des brasilianischen Atlantikwaldes mit. „Wichtig war uns dabei die Zusammenarbeit mit den örtlichen Bauern“, so Holl. Land- und Forstwirtschaft dürfen keine sich gegenseitig ausschließenden Ziele vertreten. Sonst wandert die Landwirtschaft ab und sucht sich neue Territorien.
„Neu aufgeforsteter Wald wird nicht unsere Klimaprobleme lösen“, zeigen sich Holl und Brancalion überzeugt. Um das Tempo der Klimaerwärmung zu stoppen, braucht es eine umfassende Strategie. Vor allem muss der Verbrauch fossiler Brennstoffe gestoppt werden, um die hohen Emissionen gar nicht erst entstehen zu lassen. „Bäume sind nur ein kleines Puzzleteil einer neuen Klimastrategie, wir können sie besser angehen, indem wir aufhören, Treibhausgase zu erzeugen“, schließt Karen Holl ihr Resümee.
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