Tag zwei der sehnlichst erwarteten Lockerung der Isolation. Mit der Frage an dich, liebes Tagebuch, ob und was sich denn nun tatsächlich geändert hat. Sicher, ich kann meinen T-Shirt-Bestand erneuern, die seit acht Wochen fehlende Körpercreme besorgen und endlich, endlich meine Fingernägel richten lassen und zum Frisör gehen. Mit der Frage, ob das alles jetzt und gleich wieder sein muss.
Die erste Lockerung ist in der Tat noch keine Rückkehr ins vorherige Leben. Auf manche Gewohnheit müssen wir wohl noch eine Zeit lang verzichten. Das übliche Schema vom morgens blindlings ins Auto steigen und aus der Garage fahren, ohne rechts und links zu schauen, ist noch nicht wieder angesagt. Deshalb stelle ich mir hier und jetzt die Frage, liebes Tagebuch, in welchem Umfang ich mir das so schnell wieder herbeiwünsche.
Hatte die achtwöchige Routine nicht auch einen gewissen Charme? Der (fast) tägliche Spaziergang vom Haus aus über den Radweg bis ins Nachbardorf und zurück war zwar im Laufe der Zeit trotz einiger Varianten etwas eintönig, hat aber Menschen und Gegebenheiten ins Licht gestellt, die wir bis dahin nie wahrgenommen hatten. Da waren zuerst einmal das Erwachen der Natur und die Entdeckung kleiner Umweltinitiativen wie die Welt der Frösche und Kröten. Ich wusste bis dahin nicht, wie viele unterschiedliche Kamm-, Berg- und Teichmolche, Erdkröten, Gras- und Grünfrösche sich in unseren Gewässern tummeln.
Dann beobachteten wir täglich, beim Spaziergang oder von unserer Sonnenterrasse aus, pünktlich zur gleichen Stunde den älteren Herrn, der in seiner leuchtend grünen Schutzweste, mit in den Strümpfen eingesteckten Hosenbeinen, hocherhobenen Hauptes vorbeiradelte. Oder die sehbehinderte Dame mit dem Hörbuch, den neugierigen jungen Boxer, den Herren, der mit nacktem Oberkörper seine Sonnenbräune pflegte, und den gesprächigen Mann mit dem Rollator, der gerade um die Ecke wohnt. Dann waren da noch die vielen Väter mit ihren Kindern, deren fahrradtechnische Fortschritte mit der Zeit beachtlich waren.
Viele grüßten, einige redeten ein paar Worte. Die meisten respektierten bereitwillig die geforderte soziale Distanz, einige – immer die gleichen – schauten jedoch angespannt in die andere Richtung oder wollten partout nicht von der geraden Linie abweichen und zwangen damit ihr Gegenüber gewissermaßen in den Graben.
Meine Bilanz der beendeten Isolation, liebes Tagebuch: So schlecht war es letztendlich nicht zu Hause! Wir haben jedenfalls versucht, das Beste aus der Abgeschiedenheit zu machen und sie mit dem nötigen Humor zu nehmen. Auf den ersten Drink mit Freunden und den Besuch beim Friseur freuen wir uns trotzdem.
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
Danke für das nette Bild, ich werde es ausdrucken und vor den nächsten Landeswahlen unter dem Briefkasten zusammen mit einem Sticker 'bitte keine Werbung' ankleben :)))
P.S: natürlich Fair Use!