Liebes Tagebuch, es passte mir ein wenig in den Kram: Als der Premierminister am Montag die anstehenden Lockerungsschritte ankündigte, tobte der Nachwuchs im Garten. Nach all diesen Wochen der harten Arbeit, das Gleichgewicht des Hauses irgendwie zu halten, hatte ich mir diese Lorbeeren verdient: Mitten in der Gute-Nacht-Geschichte überraschte ich meine Töchter gestern Abend mit der Nachricht, dass Besuche bei „Bomi a Bopi“ ab nächster Woche wieder unter besonderen Bedingungen erlaubt sein würden.
Diesen Augenblick wird mir niemand nehmen: Die Sechsjährige blickte mich zunächst stutzig und misstrauisch mit ihren großen Augen an. Es dauerte weitere drei Sekunden, dann fiel der Groschen. Ja, sie weiß, dass die Maus schlauer ist als der Grüffelo, trotzdem sind Unterbrechungen der Abendlektüre üblicherweise mit lautstarken Diskussionen verbunden. Diesmal war es anders. Sie bat um Erlaubnis, Opa anrufen zu dürfen, um ihm von der freudigen Wendung in ihrem kleinen Universum zu erzählen.
Wie sehr sie die aktuelle Situation, Nachrichten, Wendungen und Vorschriften beschäftigen, machte sich wenige Stunden später bemerkbar, relativ schmerzhaft für mich. Gegen 2.30 Uhr heute Morgen riss mich der erste Tritt gegen die Wirbelsäule aus dem Tiefschlaf. Unsere Große schleicht sich eigentlich nur noch in Ausnahmefällen in das elterliche Schlafgemach. Glücklicherweise. Denn sie benimmt sich im Schlaf unruhiger als ein besoffener Oktopus auf der Suche nach seinen Autoschlüsseln. Das Kind fand ein paar Minuten später wieder zur Ruhe. Anders die genervten Eltern. Die Konsequenz: Uns klingelte um 8.00 Uhr die Putzfirma aus dem Bett.
Es ist nicht das erste Mal, dass Lieferanten während des Lockdowns meinen Wecker ersetzen. Paketdienst, Getränkeservice, Briefträger: Sie alle haben in den vergangenen vier, sieben oder 19 Wochen Quarantäne (wer weiß das noch so genau …) mindestens einen meiner Pyjamas unter dem Morgenmantel bemerkt. Da keiner irgendwie besonders beschämt wegschauen musste, bestärkt es mich jedes Mal in der Annahme, dass die guten Damen und Herren bereits Schlimmeres gesehen haben dürften.
Die neue Normalität. Genau damit werden wir uns in den nächsten Tagen auseinandersetzen. Der vermummte Ehemann hat seinen Primanern heute in der Mittagsstunde die Mathematik-Examen aus dem Jahr 2016 in einem ungewohnt „leeren“ Klassenzimmer vorgelegt, das Kindergartenkind mit der „Joffer“ und den Freunden über „Teams“ die Aktualitätsthemen (Frühjahr, eine frische und nagelneue Lücke im Gebiss und die Paw Patrol) besprochen.
Fakt ist: Unser teilweise chaotischer Haushalt in Kombination mit übernächtigten Aufsichtspersonen macht aus uns keine Instagram-Vorzeigefamilie. (Dies wird die Putzfirma zweifelsohne unterschreiben.) Das Eingesperrtsein und der Mangel an Alternativen nerven gewaltig. Mir fehlen Familie und Freunde, Fußball und der Geruch von Bratwürsten in Stadien, Disneyland, ein Strandurlaub oder eine Pizza auf einer Terrasse einer Großstadt zu verdrücken. Doch Hoffnung überwiegt und Besserung ist in Sicht. Auch erwartet uns ja anscheinend freudiger Besuch der Zahnfee. Wie sich dies alles in den nächsten Stunden auf die Psyche meiner ältesten Tochter und meinen eigenen Schlaf auswirkt, steht auf einem anderen Blatt …
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
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