Liebes Tagebuch, was war das bloß für eine kräftezehrende und niederschmetternde Woche! Der erste Anruf, der mich am Montagmorgen erreichte, hat sich ins Gedächtnis eingebrannt. Sowohl Inhalt als auch Wortlaut. Ich hätte es ahnen müssen. Jedes Mal, wenn der Name meines Vaters auf dem Display auftaucht, ohne dass er vorher auf die kleine Kamera gedrückt hat (um die Enkelinnen zu sehen), wird es kompliziert. Es war diesmal nicht anders.
Ich kam nach diesem kurzen Telefonat (wieder mal) stundenlang nicht ums Fluchen herum. Warum hat dieses Karma-Ding es erneut verkackt? Warum ausgerechnet meine gute „Bomi“? Warum ging es ihr gerade jetzt so schlecht, dass sie der Kardiologe über mehrere Tage im Krankenhaus observieren und aufpäppeln musste? Nun, Karma ist ein feiges *zensiert* und hochgradig inkompetent. Und die Oma („Bomi“) eine knallharte 89-Jährige mit Prinzipien – die das Auferstehungs-Wettrennen gewinnt und sogar noch vor (!) Ostersonntag wieder auftaucht – und zwar zu Hause. Dort, wo sie hingehört. Das haben uns die Fachmänner jedenfalls versprochen.
Während mir zu Beginn der Woche noch tausend Fragen durch den Kopf schossen – gepaart mit Wut, Frust, Angst und Hoffnung – plagte sich der Nachwuchs mit einer anderen essenziellen Frage herum: Würde es der Osterhase trotz Virus unbeschadet, aber vor allem schwer beladen, in unseren Garten schaffen? Es ist übrigens äußerst zufriedenstellend (wenn auch nicht gerade nervenschonend), zu wissen, dass der Sechsjährigen ein lapidares „Looss dech iwerraschen“ nicht als Antwort reicht. Auch dass die Zweijährige dem Großvater mit mahnendem Fingerzeig die Worte „Net bei anerer goen, soss kënnt dech de Corona huelen“ mit auf den Weg gibt – Balsam für die geschundene Elternseele.
Apropos Bildung und Wissen. Unser familiärer Ordnungshüter, der besagte Mathematiklehrer, ist weiterhin nicht aus der Fassung zu bringen – obwohl er nach den Ferien weiterhin Funktionsrechnungen an die Frau (glücklicherweise nicht die eigene) und den Mann bringen muss. Knackpunkt und Diskussionsbedarf könnte es allerdings vor der Wiederaufnahme der „Live-Sendungen“ mit den Schülern geben. Denn er schwört, dass er die blonde Mähne wachsen hört. Stören tut ihn dabei bereits jetzt meine große Euphorie, mit dem Rasierer loslegen zu dürfen. Weshalb wir uns noch nicht auf den Stichtag geeinigt haben.
So schwankte unser Alltag in dieser Woche also zwischen Banalitäten und nutzloser Warterei auf Nachrichten vom behandelnden Arzt. Angewidert von mangelnder Gerechtigkeit im Leben habe ich zwischen Ungeduld, Ostereierfarben und Kniddelen meine Laufschuhe vor deren Nutzlosigkeit bewahrt. Zumindest ein klein wenig. Manchmal können bereits sieben Kilometer das Gemüt etwas besänftigen.
Die Woche war trotzdem hart. Mehr als das. Es war ein erschöpfendes Gefühlschaos. Geblieben sind mir mein übertriebener Hang zu Sarkasmus und Ironie, die Vorfreude auf das Haareschneiden und Dankbarkeit für die Tatsache, dass wir meine Eltern mitsamt Bomi Régine an Ostersonntag über die Handykamera sehen werden.
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
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