Wie sieht das Leben mit Migräne aus? Wie fühlen sich Betroffene während einer Attacke und wie meistern sie ihren Alltag mit der Krankheit? Die Tageblatt-Autorinnen Jessica Oé und Jenny Zeyen erzählen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Krankheit.
Nicht nur das bisschen Kopfweh
Von Jenny Zeyen
Da ist es wieder, dieses Flimmern vor den Augen. Zuerst fängt es mit einigen wenigen, transparenten Flecken an, die sich wie Blitze hin und her bewegen. Nach und nach breiten sie sich im Sichtfeld weiter aus – bis zu dem Zeitpunkt, an dem nur noch der Tunnelblick übrig bleibt. Mal hält dieser Zustand wenige Minuten an, mal eine halbe Stunde. Für mich ist es in jedem Fall ein Zeichen dafür, schnell zu reagieren. Denn diese sogenannte „Aura“ ist bei mir ein Warnsignal: In der nächsten Stunde steht dir eine Migräne-Attacke bevor. Ohne die nötigen Medikamente gehe ich längst nicht mehr aus dem Haus. Und wenn ich schnell reagiere, kann ich das Worst-Case-Szenario verhindern.
Dann kann ich den Tag mit einem erträglichen Pochen im Kopf und einem flauen Gefühl im Magen zu Ende bringen. Die Alternative wäre, die kommenden Stunden in einem abgedunkelten Raum zu verbringen. Denn jeder Lichtstrahl fühlt sich bei einer unbehandelten Attacke im Kopf an wie ein Messerstich, der sich tief in den Schädel bohrt. Und bei jedem noch so harmlosen Geruch dreht sich mir der Magen so um, dass mir nur die plötzliche Flucht in Richtung Toilette bleibt.
So war das jedoch nicht immer: Meine erste Migräneattacke hatte ich – wie viele junge Frauen – im Alter von 14 oder 15 Jahren. Was am Anfang nur sporadisch auftauchte, wurde in den folgenden Jahren immer schlimmer. Irgendwann dauerten einzelne Anfälle bis zu drei Tage – und schließlich landete ich im Krankenhaus am Tropf. Es war eine Zeit, in der wichtige Examen anstanden und in der ich von morgens bis in die Nacht gelernt habe. „Sie scheinen mir eine Person zu sein, die sich selbst zu sehr unter Druck setzt“, war einer der Kommentare vom behandelnden Spezialisten. Ich fühlte mich ertappt: Dinge auch einmal etwas lockerer anzugehen – das muss ich gestehen – fällt mir noch immer schwer.
Doch in den folgenden Jahren habe ich immer besser gelernt, mit der Krankheit zurecht zu kommen. Jeder muss offenbar für sich herausfinden, was ihm am besten hilft. Bei mir können schon einfache Dinge Wunder bewirken – eben eine gewisse „Hygiène de vie“: viel Wasser trinken, keine großen Portionen sondern regelmäßig mehrere kleine essen, genug aber auch nicht zu viel Schlaf, regelmäßig joggen. Und seit bei mir eine Fruktose-Unverträglichkeit festgestellt wurde, hat sich die Anzahl der Anfälle noch einmal verringert. Ich habe auch gelernt, weitere Migräne-Vorzeichen zu erkennen – wie etwa eine ungewohnte Müdigkeit oder Heißhungerattacken, die einige Tage vorher auftauchen. Dieses Wissen über mich selbst kam nicht von heute auf morgen. Ich habe es mir über einen Zeitraum von über einem Jahrzehnt angeeignet.
Inzwischen habe ich nur noch alle zwei bis drei Monate eine Migräneattacke. Meistens dann, wenn ich aus einer Stressphase herauskomme und endlich mal einen Tag Ruhe habe. Auf meinen Beruf als Sportjournalistin, der vor allem am Abend hektisch sein kann, hatten die Anfälle in den vergangenen Jahren kaum noch einen negativen Einfluss. Einzig ein Finale bei der Basketballmeisterschaft blieb mir in Erinnerung. Dort brachte zum Schluss jeder Trommelschlag der Zuschauer mein Gehirn fast zum Explodieren. Mir ist aber bewusst, dass ich in meiner Situation noch Glück habe. Eine Freundin verliert bei einer Attacke manchmal das gesamte Sehvermögen. Und so kann ich inzwischen auch mit Sprüchen wie: „Ach das bisschen Kopfweh!“, besser umgehen. Denn wenn Migräne eines ist, dann eine komplexe Krankheit, die die Lebensqualität eines Betroffenen stark verringert.
Schuldgefühle, verlorene Zeit und jede Menge Schmerz
Von Jessica Oé
Meine Migräne ist in der Regel ein Frühaufsteher. Kaum schlage ich die Augen auf, schon fühlt es sich an, als würde ein Schmied meinen Kopf als Amboss benutzen. Die Tränen schießen mir in die Augen, als ich versuche, meinen Wecker zu lesen. 4 Uhr morgens. Schon das geringe Leuchten der roten Zahlen bohrt sich wie ein Messer in mein Gehirn. Schnell drehe ich das Gerät um und hangele mit fest zusammengekniffenen Augen nach der Medikamentenkiste und dem Wasser auf dem Nachttisch. Ich jage eine Tablette herunter und ziehe die Decke über den Kopf, versuche noch einmal, einzuschlafen.
Wenn die Medikamente nicht anschlagen – was oft der Fall ist, weil die Migräne längst da ist – ist der Tag für mich gelaufen. Durch die Lichtempfindlichkeit ist es schier unmöglich, irgendein Licht anzuknipsen, geschweige denn vor die Tür zu treten. Dazu kommt die Geräuschempfindlichkeit: Auch ein Wispern ist, als würde man mich mit einem Megafon direkt am Ohr anschreien. Derweil pocht der Kopf, als würde er zerspringen. Bei heftigen Attacken wünsche ich mir manchmal wirklich, dass mein Gehirn vor Schmerzen einfach explodiert. Zumindest hätte die Migräne dann ein Ende.
Hormonschwankungen und Stress
Migräne-Attacken habe ich seit der Pubertät. Auslöser sind meist Hormonschwankungen wegen der Regel oder, wenn auch seltener, Stress. An freien Tagen ist eine Migräne zwar schmerzhaft und störend, aber prinzipiell kein Drama. Da nur meine Katzen auf mich angewiesen sind, kann ich mir erlauben, mich in mein Schlafzimmer zurückzuziehen und erst dann aufzustehen, wenn es mir besser geht. Treffen mit Freunden und Familie können verschoben, Termine abgesagt und verlegt werden.
Doch wenn die Migräne an einem Arbeitstag zuschlägt, sieht es anders aus. Einfach abmelden und nicht ins Büro gehen ist nicht immer möglich. Wegen Terminen, dem Arbeitsplan, Deadlines… Da schaltet mein Pflichtbewusstsein dann auf stur, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich nicht ansatzweise fähig bin, mich zu konzentrieren. Irgendwie muss es gehen. Und wenn es dann nicht geht und ich früher gehe oder ganz zu Hause bleibe, plagen mich Gewissenbisse. Weil Arbeit liegen bleibt oder ich das Gefühl habe, meine Arbeitskollegen im Stich zu lassen. Das wiederum führt dazu, dass ich mich noch mehr unter Stress setze und die Migräne noch schlimmer wird oder – weil ja ein Tag nicht reicht – einfach entscheidet, sich noch einen Tag länger bei mir einzunisten.
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