Wir neigen dazu negative Gedanken und Gefühle zu verdrängen. Das ist auf Dauer ungesund für unseren Geist und auch unseren Körper. Laurette Bergamelli ist Achtsamkeitstrainerin und überzeugt davon, dass Mindfulness zu einem stressfreieren, glücklicheren Leben verhelfen kann.
Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in einem wunderschönen Zuhause – und bringen nie den Müll raus. Irgendwann beginnt es zu stinken. Ungeziefer kriecht über den Boden. Weil Sie sich unwohl fühlen, nutzen Sie immer weniger von dem Raum, der Ihnen eigentlich zur Verfügung steht. Genauso ist es mit negativen Gefühlen: Meist werden sie verdrängt, wir wollen sie nicht haben – schließlich ist das nicht angenehm. Wir ignorieren sie und lenken uns mit Schokolade ab oder ertränken sie in Wein. Negative Gefühle, die unterdrückt werden, bleiben im Körper. Wie Müll sammeln sie sich an – und lassen sich irgendwann nicht mehr ignorieren.
Laurette Bergamelli ist Psychologin und MBSR/MBCT-Therapeutin (mindfulness based stress reduction und mindfulness based cognitive therapy). Die Deutsche, die auch in Luxemburg Kurse gibt, hilft Menschen, ihren Gefühlsmüll herauszutragen. Ein bisschen wie die japanische Netflix-Aufräumexpertin Marie Kondo, nur für die Seele. Bergamelli ist unfreiwillig dazu gekommen: „Vor 25 Jahren litt ich unter Ängsten und Depressionen.“ Psychotherapie kommt für sie damals nicht infrage. „Ich hatte meine Kindheit überlebt und wollte über die Traumata nie wieder ein Wort verlieren, geschweige denn daran denken.“ Bergamelli braucht etwas anderes, was ihr dabei hilft, die Niedergeschlagenheit und die Ängste hinter sich zu lassen. Damals gab es MBSR und MBCT noch nicht. Die Anfänge von Achtsamkeit liegen im Buddhismus. Dem wendet sich die verzweifelte junge Frau zu und bekommt eine klare Antwort: „Sie haben kein Problem, sie haben nur nie gelernt, richtig zu denken und richtig zu fühlen.“
Ein Moment, der ein Leben verändert
Laurette Bergamelli setzt sich also hin und macht ihre erste Achtsamkeitsübung. „Zu dem Zeitpunkt war ich verzweifelt genug, um mich einfach darauf einzulassen.“ Ein Moment, der ihr Leben verändert. Ein Leben, das zu dem Zeitpunkt wirklich schwer ist. Ihr ging es so schlecht, dass sie kaum schlief und sich häufig übergeben musste. „Als ich die Übung gemacht habe, erlebte ich zum ersten Mal in sehr langer Zeit einen Moment der Stille. Das war wie das Paradies“, erinnert sie sich zurück. „Das wollte ich für den Rest meines Lebens haben.“ Sie gibt ihren Job als Programmiererin auf und reist fünf Jahre um die Welt. Sie lebt sogar ein halbes Jahr in einem buddhistischen Kloster. „Dort habe ich festgestellt, dass Achtsamkeit nicht jedem hilft. Deshalb wollte ich sehen, ob die westliche Psychologie mich in dieser Frage weiterbringt.“ Sie studiert Psychologie an der Universität Trier. Ein Studium, durch das sie einen Titel erlangt, der ihr heute viele Türen öffnet.
Sie beschließt, mit Achtsamkeit auch anderen zu helfen, und besucht mehrere Weiterbildungen. 2010 beginnt Bergamelli, als Achtsamkeitstrainerin zu arbeiten. Bis heute gibt sie Gruppen- und Einzelkurse zu MBSR, MBCT, gewaltfreier Kommunikation und zusammen mit ihrem Mann zur achtsamen Sexualität. Dass Achtsamkeit vor ein paar Jahren zu einem Riesentrend geworden ist, bestätigt sie. „Weil die Menschheit es gerade einfach braucht“, ist die Psychologin überzeugt. Ein Trend, der aber ihrer Meinung nach inzwischen wieder abflaut: „Ich kriege es sogar immer wieder mit, dass die Menschen richtig genervt davon sind“, merkt die fröhliche Frau mit dem grauen Haar und den freundlichen Augen lachend an.
Medizinisches Wirken
„Aber obwohl Mindfulness langsam aus den Medien verschwindet, glaube ich, dass das Prinzip sich langfristig durchsetzen wird.“ Nicht umsonst beschäftigen sich immer mehr Studien mit dem Thema und auch Mediziner bestreiten nicht weiter, dass das Ruhen im Hier und Jetzt durchaus einen Einfluss auf unsere Psyche hat. Aus der Medizin ist Achtsamkeit laut Bergamelli nicht mehr wegzudenken. „Hier in Luxemburg ist es zwar noch eher die Ausnahme, aber es gibt immer mehr Ärzte, die es als Komplementärmaßnahme anraten.“ Denn Stress ist ein sehr großer Faktor bei der Entstehung von Krankheiten, zum Beispiel von Krebs. „Nach der Diagnose ist es umso entscheidender, wie der Betroffene mit dem Stress umgeht.“ Bergamelli geht so weit zu behaupten, dass die Fähigkeit eines Menschen, mit Stress umzugehen, über sein Überleben entscheidet.
Achtsamkeit kann auch im Alltag helfen. Vorausgesetzt der Betroffene ist bereit, Arbeit hineinzustecken und am Ball zu bleiben. „Wer zu meinen Kursen kommt, nimmt so oder so etwas Positives mit. Aber die wenigsten sehen es ein, zu Hause weiter an sich zu arbeiten“, weiß die 56-Jährige. „Ich sage immer: Du musst so oder so leiden – auch mit der Achtsamkeit. Aber du lernst auch etwas dazu und längerfristig wird es viel leichter und vergnüglicher.“ Das Leid verschwindet nicht, doch es wird erträglicher, das weiß Bergamelli aus ihrer eigenen Erfahrung. Menschen besuchen ihre Kurse in sehr unterschiedlichen Lebenslagen, aber eines haben sie fast alle gemeinsam: Sie suchen nach einer Lösung für ihr Problem. „Die wenigsten kommen zu mir, weil sie ihr Leben nur schöner machen wollen.“ Einige wenige wollen Achtsamkeit zur Selbstoptimierung nutzen. Um noch besser zu arbeiten, sich besser zu konzentrieren und produktiver zu sein: „Als Gefahr sehe ich das nicht, weil das langfristig nicht funktionieren wird. Achtsamkeit nimmt einen aus dem Leistungs- und Zwangsverhältnis heraus.“
Nicht jeder ist bereit, die mentale Arbeit und Überwindung zu investieren, um von den positiven Effekten der Achtsamkeit profitieren zu können. Aber sind wir mal ehrlich: Ein bisschen mehr im Hier und Jetzt leben schadet im digitalen Zeitalter keinem von uns.
Was ist Achtsamkeit?
Bei der Achtsamkeit geht es darum, Gefühle und Gedanken zu beobachten – ohne sie zu bewerten. Bei Gefühlen heißt das im Grunde, sie zuzulassen. Innezuhalten und zu schauen, wo und wie sich Wut oder Trauer gerade anfühlt. Dabei muss noch nicht einmal analysiert werden, woher die Emotion kommt. „Irgendwann geht das unangenehme Gefühl dann einfach vorbei. In dem Punkt unterscheiden sich die unangenehmen nicht von den angenehmen Gefühlen“, sagt Laurette Bergamelli. Auch Gedanken sollen beobachtet werden. Durch Achtsamkeit lernt der Mensch, eine Instanz zu entwickeln, die notwendige Gedanken von realitätsfernen, zerstörerischen Gedanken trennt und Letztere einfach unbeachtet vorbeiziehen lässt. Achtsamkeit gibt uns die Entscheidungskraft darüber zurück, mit welchem Gedanken wir uns befassen.
Tipp zur Stressbewältigung
Sie sitzen mal wieder im Büro und fühlen sich überfordert. Sie müssen noch dieses und jenes erledigen, anderes muss vermieden werden. Der Stress, der entsteht, kommt vom Denken. Aber wie sieht die tatsächliche Situation aus? Machen Sie sich bewusst, wo Sie gerade sind. Es geht nicht um Leben und Tod – niemand will Ihnen etwas antun. Dieser kleine Realitätscheck schafft Klarheit und stoppt das Gedankenkarussell.
Ich ein paar Achtsamkeit Kurse von Laurette Bergamelli besucht und möchte sagen,
Ich lebe heute anders, bewusster und glücklicher. Es hat mich am Anfang Disziplin gekostet und man sagt sich am Anfang, man hat dringenderes zu tun, doch ich bin heute viel effizienter und glücklicher als vorher.
Liliane