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In Idlib verpufft die Pufferzone: Konfrontation zwischen Dschihadisten und Assads Truppen ist offenbar unausweichlich

In Idlib verpufft die Pufferzone: Konfrontation zwischen Dschihadisten und Assads Truppen ist offenbar unausweichlich
Noch gehen in Harim die Kinder zur Schule, eine Großoffensive könnte dies unmögllich machen. Foto: AFP

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Die Hoffnung für Idlib währte nur kurz. Die Al-Kaida-nahen, in der syrischen Provinz dominierenden HTS-Dschihadisten wollen ihre Waffen nicht abgeben. Das war Grundvoraussetzung für die von der Türkei und Russland ausgehandelte Pufferzone. Damit sollte eine Großoffensive der syrischen Armee vermieden werden. Nun gibt es mehrere mögliche Szenarien – nur kein friedliches.

Die syrische Dschihadistenallianz Hai’at Tahrir al-Sham (HTS) will die Vereinbarung der Türkei und Russlands für eine Pufferzone in der Provinz Idlib offenbar nicht umsetzen. Wie der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Montag mitteilte, ließ das Rebellenbündnis die Frist für einen Abzug aus der geplanten Zone verstreichen. Bis Mitternacht habe sich kein einziger HTS-Kämpfer aus dem Gebiet zurückgezogen.

Die syrische Regierung teilte mit, nun werde «Zeit» benötigt, um festzustellen, ob die Vereinbarung gescheitert sei. Die HTS hatte am Sonntagabend wenige Stunden vor Ablauf der Frist verkündet, dass sie ihre Waffen – anders als in der Vereinbarung zwischen der Türkei und Russland vorgesehen – nicht abgeben und weiter kämpfen werde.

Offenbar mit Blick auf die türkischen Bemühungen um eine Deeskalation fügte das einflussreiche Rebellenbündnis hinzu, es schätze «die Anstrengungen all jener, die sich im In- und Ausland darum bemühen, das befreite Gebiet zu schützen und seine Zerstörung oder Massaker darin zu verbieten». Doch warnte HTS vor der «Hinterlist der russischen Besatzer und vor jedem Vertrauen in ihre Absichten».

Großoffensive oder Salamitaktik?

Die HTS und andere Dschihadisten kontrollieren mehr als zwei Drittel des Gebietes, das am Montag in eine entmilitarisierte Zone umgewandelt werden sollte. Idlib ist die letzte große Rebellenhochburg in Syrien. Die HTS-Allianz ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Al-Kaida-Netzwerks, hervorgegangen. Der syrische Außenminister Walid Muallem sagte Reportern in Damaskus, nun müsse die «russische Reaktion» abgewartet werden. Russland beobachte und verfolge die Lage.

Der Minister äußerte aber zugleich die Hoffnung, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan «seinen Teil der Vereinbarung erfüllen» werde. Die Türkei und Russland hatten die Schaffung der Pufferzone im September vereinbart, um eine Offensive der syrischen Regierungstruppen auf die Provinz Idlib im Norden des Landes abzuwenden. Während Russland den syrischen Staatschef Baschar al-Assad unterstützt, steht die Türkei an der Seite von Rebellengruppen.

Der Leiter der Beobachtungsstelle, Rahman, sagte nun, dass sich die Dschihadisten nicht zurückziehen wollten, liefere der syrischen Führung und Russland eine Begründung für einen Militärangriff in dem fraglichen Gebiet. Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von Aktivisten vor Ort. Ihre Angaben sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.

Der irische Syrien-Experte und Kriegsreporter Patrick Cockburn hat kürzlich gegenüber dem Tageblatt ein ähnliches Szenario für das wahrscheinlichste gehalten. Cockburn geht davon aus, dass die Regierung in Damaskus abwarten werde, bis der große Waffenstillstand zu bröckeln anfange. Was ja jetzt gerade passiert.

«Dann werden die Regierungstruppen nach Idlib eindringen», sagte Cockburn. Dies würden sie aber nicht mit einer von vielen befürchteten Großoffensive tun, sondern kontinuierlich. «Eine Salamitaktik, wie man sie auch zuvor schon beobachten konnte in Syrien», meinte der Experte. «Vermutlich werden sie in den flacheren, südlichen Teil Idlibs eindringen.» Im Norden sei die Provinz gebirgig und damit schwer zu bekämpfendes Terrain, so der Ire.
Dass es zu einem solchen Szenario kommen werde, war für Cockburn absehbar. Hätten die HTS-Dschihadisten den Forderungen Russlands und der Türkei zugestimmt, wäre das eine Selbstauflösung. Die HTS sollte demnach ihre schweren Waffen aufgeben, sich aus Idlib zurückzuziehen und einem Waffenstillstand zustimmen.

Auch der Syrien-Spezialist der türkischen Denkfabrik Omran, Nawar Oliver, hatte kürzlich geschrieben, eine Nichteinhaltung der Vereinbarungen durch die HTS-Allianz könne zu zwei Szenarien führen: «Entweder die Türkei und die (Rebellenallianz) Nationale Befreiungsfront gehen militärisch gegen HTS vor, oder Russland wird die Gelegenheit nutzen, mit Unterstützung des Regimes und seiner Verbündeten nach Idlib vorzurücken.»

Als erster Teil der Vereinbarung hatten Rebellen und Dschihadisten bis zum 10. Oktober alle schweren Waffen aus der Pufferzone abziehen müssen. Am Samstagabend wurden aus dem Gebiet aber Mörsergranaten auf eine Armeestellung in der nahe gelegenen Provinz Hama abgefeuert, zwei Soldaten wurden dabei getötet. Unklar blieb, wer die Granaten abgeschossen hatte.

Die syrischen Truppen haben in den vergangenen Jahren mithilfe der militärischen Unterstützung Russlands große Teile der Rebellengebiete wieder unter ihre Kontrolle gebracht. In dem seit Frühjahr 2011 wütenden syrischen Bürgerkrieg wurden bereits mehr als 360.000 Menschen getötet.

Mit Material der AFP