Eine ganze Reihe der Chamber-Kandidaten der politischen Gruppierung «Demokratie» sind offenbar ohne ihre Zustimmung auf der Liste für den Urnengang vom 14. Oktober gelandet. Allein im Süden scheinen neun Bürger von der fragwürdigen Vorgehensweise der erst kürzlich gegründeten politischen Gruppierung betroffen zu sein.
Am Samstagmorgen schlug Pascale Hofmann-Wagner das Luxemburger Wort auf und traute ihren Augen nicht. Auf Seite 5 las sie die Namen ihrer Eltern, aufgelistet bei den Kandidaten der Südliste der politischen Gruppierung «Demokratie» für die Parlamentswahlen vom 14. Oktober. «Ich dachte, mich trifft der Schlag», so Pascale Hofmann-Wagner.
Seitdem ist im Hause Wagner-Nosbusch in der rue de la Gare in Zolver nichts mehr so, wie es einmal war. Denn weder René noch Agnès Wagner-Nosbusch haben offenbar ihre Zustimmung dafür gegeben. Zumindest nicht wissentlich.
Demokratie-Hausierer an der Haustür?
Doch der Reihe nach: Vor einigen Wochen – Ende Juli, Anfang August, so genau weiß das ältere Ehepaar das nicht mehr – habe ein Mann an der Haustür geklingelt und die beiden in ein Gespräch verwickelt. René Wagner erinnert sich: «Er hat davon gesprochen, dass die Bürger mehr Mitsprache bekommen sollten, mehr Mitbestimmung und mehr Demokratie. Von den Chamber-Wahlen war nicht die Rede.» Und auch nicht davon, Kandidat im Südbezirk bei der politischen Gruppierung «Demokratie» zu werden. «Ech hunn nach nogefrot a gesot, ech ënnerschreiwen näischt, wann et eppes mat de Walen oder enger Partei ze dinn huet», so René Wagner unmissverständlich.
Der Mann an der Haustür hatte ein Klemmbrett mit einer Liste dabei. Und zum Schluss des Gesprächs hielt er den beiden einen Kugelschreiber hin. Ohne sich große Gedanken zu machen, trugen die beiden ihren Vornamen und Familiennamen ein und setzen zudem ihre Unterschrift darunter sowie die Anschrift.
Und nun versteht das ältere Ehepaar die Welt nicht mehr. Er ist 75 und sie 74 Jahre alt. Die beiden stehen jetzt auf der 23-köpfigen Liste im Südbezirk der politischen Gruppierung «Demokratie». «Wat si mir do an eppes erageschlittert», sagt René Wagner und schüttelt den Kopf. Er macht sich viele Gedanken und kann es nicht fassen.
«Mit den Wahlen hatte das Gespräch nichts zu tun»
Seine Ehefrau sagt, der Mann an der Haustür habe einen netten Eindruck hinterlassen. «Hie war frëndlech, huet sech vill Zäit geholl an huet ganz fei mat ons geschwat.» Aber auch sie ist formell: Mit den Wahlen oder dem Eintrag in eine Kandidatenliste im Südbezirk hatte das Gespräch nichts zu tun.
René und Agnès Wagner-Nosbusch stehen indes nicht alleine da. Diese Masche, denn als das muss man diesen Vorgang wohl bezeichnen, wurde mehrfach angewandt. Allein in der rue de la Gare, die teils zu Zolver und teils zu Beles gehört, setzten sieben weitere Bürger, allesamt offenbar ohne Zustimmung und ohne genau darüber informiert zu sein, ihren Namen auf die Wahlliste des Südbezirkes der politischen Gruppierung «Demokratie».
Mindestens neun Betroffene
Sowohl Sarah Gilberti als auch Marion Klein und Lydia Beffort beteuern, völlig ahnungslos gewesen zu sein. Ihre Schilderungen decken sich mit denen von René und Agnès Wagner-Nosbusch. Ein freundlicher Mann, einmal in Begleitung einer Frau mit blonden Haaren – dabei handelte es sich um Sonja Holper, die Spitzenkandidatin im Zentrum –, hätte an der Haustür geklingelt. Es habe sich ein Gespräch entwickelt, bei dem es um alles ging, nur nicht um die Mitgliedschaft in einer Partei oder gar um den Eintrag auf die Südliste der politischen Gruppierung «Demokratie». Es sei ebenfalls ein jüngerer Mann dabei gewesen mit einer schwarzen Brille. Lydia Beffort identifiziert ihn aufgrund seines Profilbildes auf Facebook als Jonas Folschette, den «Demokratie»-Spitzenkandidaten im Süden.
Hinzu kommt, dass Sonja Holper Sarah Gilberti einen Umschlag zukommen ließ. In diesem befand sich ein frankierter Briefumschlag samt ihrer Anschrift, auf dem ein Post-it mit der Aufschrift «Certificat d’inscription sur les listes électorales» klebte. «Si huet mir gesot, ech soll hir den Zertifikat zoukomme loossen. Dat hunn ech awer net gemaach, well ech net wosst, ëm wat et do genau géng goen.»
Der Mann mit dem Klemmbrett
Bei den «Hausbesuchen» ist immer auch das bereits erwähnte Klemmbrett im Einsatz, wie Sarah Gilberti weiter erzählt: «De Mann huet mir dunn eng Lëscht dohinner gehal a gemengt, ech bräicht mir keng Gedanken ze maachen. Dunn hunn ech mäin Numm a Virnumm agedroen an och drop ënnerschriwwen.»
Lydia Beffort und Marion Klein können all dies bestätigen, denn bei ihnen lief es nach dem gleichen Szenario ab. Auch sie wurden dazu aufgefordert, ein «Certificat d’inscription sur les listes électorales» an Sonja Holper zu schicken, und haben dies auch getan. Was die besagten Zertifikate betrifft, sei Sonja Holper recht rabiat vorgegangen, so Sarah Gilberti. «Si bräicht dat alles zimlech schnell, well di Lëscht bis en Donneschde muss era sinn», erinnert sie sich.
«Chamberkandidaten» fallen aus allen Wolken
Neben den bereits erwähnten Personen sollen auch Marc Dax und dessen Ehefrau Anabela Nogueira sowie Sonja Bettendorf und Manuela Zambon, die allesamt in der rue de la Gare wohnen, von diesen dubiosen Machenschaften betroffen sein. Auch sie hätten dem Eintrag nicht zugestimmt, heißt es dem Vernehmen nach. Nachdem Pascale Hofmann-Wagner die Namen in der Samstagausgabe im Luxemburger Wort gelesen hatte, wurde sie stutzig und vermutete, dass die Sache nicht ganz koscher sei. Gemeinsam mit ihrer Schwester kontaktierte sie zunächst Marion Klein und fragte sie, ob sie Kandidat für die Chamber-Wahlen sei. Marion Klein fiel aus allen Wolken. Sie ihrerseits kannte eine weitere Person. Und irgendwann hatte die Nachricht dann die Runde gemacht in der rue de la Gare und darüber hinaus.
Mittlerweile haben die Betroffenen bei der Polizei Beschwerde eingereicht. Auf den Dienststellen in Beles und Differdingen war man anfangs ein wenig ratlos. So etwas habe man noch nie erlebt. Es müsse abgewartet werden, ob diese Angelegenheit zivilrechtliche oder strafrechtliche Folgen habe, hätten die Polizisten gesagt, so jedenfalls Lydia Beffort.
Ratlosigkeit und Wut
Ratlosigkeit herrscht indes bei den Betroffenen. Und Wut. Werden wir einen Rechtsanwalt benötigen? Wer übernimmt dann die anfallenden Kosten? Wie kommen wir wieder aus dieser «Affäre» raus? Das sind die Fragen, die sich gegenwärtig gestellt werden. «Mir fillen ons bei d’Lisett gelooss a vrun allem si mir richteg bedru ginn. Et ass Bedruch um Wieler», so René Wagner.
Der Fall Rau
Luxemburgs Wahlgesetz ist streng. Wurde die Kandidatenliste hinterlegt, kann sie nicht mehr abgeändert werden. 1994 kandidierte der Ex-CSV-Deputierte Fernand Rau auf der ADR-Liste im Zentrum für die Parlamentswahlen am 12. Juni. Zehn Tage vor der Wahl erlitt er einen tödlichen Unfall. Dennoch erzielte sein Name auf der ADR-Liste die meisten Stimmen, rund 1.000 mehr als der Zweitgewählte. lmo
Demokratie
Die Zentrums- und Südenlisten von «Demokratie» sind das Ergebnis einer Abspaltung der sich bis vor wenigen Wochen noch «Biergerlëscht-Demokratie 2018» nennenden Bewegung. Sie wollte ursprünglich in gleich vier Bezirken als «Demokratie 2018» zur Wahl antreten. Wegen interner Streitereien kam es zur Abspaltung. Der sich nunmehr «Demokratie» nennenden Gruppe gelang es, zwei Listen zusammenzuzimmern. Den «Fräi Wieler», wie sich der Rest jetzt nennt, reichte die Zeit dazu nicht mehr. lmo
«Alles an der Rei»
Von etwaigen Unregelmäßigkeiten bei der Hinterlegung der Kandidatenliste von «Demokratie» für den Wahlbezirk Süden will man im regionalen Wahlbüro in Esch nichts wissen. Die Liste, die man angenommen und an das zentrale Wahlbüro in der Hauptstadt weitergeleitet habe, sei regelkonform gewesen, so ein Sprecher des Wahlbüros Süden. Keine Beanstandungen habe auch die Liste mit den Namen von 100 Zeugen hervorgerufen. Die angenommene Kandidatenliste zählt 23 Kandidaten.
Wenn die Frist zum Einreichen von Kandidatenlisten verstrichen ist, sind nachträgliche Abänderungen nicht mehr möglich.
Kandidatenlisten können entweder von einem Abgeordneten, drei Gemeinderäten aus dem Bezirk oder von hundert Wahlberechtigten aus demselben Bezirk vorgelegt werden. Laut Artikel 135 des Wahlgesetzes müssen die Kandidaten eine von ihnen unterschriebene Erklärung vorlegen, dass sie die Kandidatur im Wahlbezirk tatsächlich annehmen. lmo
Das sagt «Demokratie»-Spitzenfrau Sonja Holper
Sie sei sich keiner Schuld bewusst, so Sonja Holper, Spitzenkandidatin von «Demokratie» im Zentrum, und könne diese ganze Polemik nicht nachvollziehen. Die Kandidaten seien darüber informiert worden, um welchen Eintrag es sich handele und dass sie für «Demokratie» an den Wahlen teilnehmen würden. «Ich bin jetzt erstaunt darüber, dass einige einen Rückzieher machen wollen.» Wenn dem aber so sei, sollten die Kandidaten sie zwecks Klärung kontaktieren.
Dat nennen ech Stroossendemokratie, well déi meescht ongewollte Kandidaten jo anscheinend an derselwechter Strooss wunnen, oder ?!
"Wahlsieger" ist nur der, der eine absolute Mehrheit im Parlament hat und somit allein die Regierung stellen kann. Alles andere wird das Resultat von Koalitionsverhandlungen sein.
Die meisten von diesen Aktionen sind unnütz. Es fallen doch immer noch genug Leute auf falsche Polizisten herein sowie falsche Zählerableser, Handwerker Spendensammler usw. Wer nicht liest was er unterschreibt, sollte sich selbst an die Nase fassen.
An nach ëmmer déi dote Leier. Den Disk ass schons uerg geschréibst, well et ass nach eng Schellack-Plakk.
Et schéngt vergiess ze sinn firwat et iwwerhaapt zu den Neiwalen koum, et war wéinst den CSV SREL Juncker Skandaler!
Ach nee, schon nees. Den Här Bettel wollt och net Premier gin, lo ass hien et awer. Denen Leit do ass d'selwecht gaangen. :-)
Lo huet déi Affär hei scho méi Leit op d'Been bruecht wéi déi eng oder aner Visio'un vun engem oder dém aneren vun onsen 'Ankündigungsminister' an/oder Staatssekretär-(in). D'Leit hätten also gär nach méi Zirkus.
Die Arithmetik hat keine Tücken. Die CSV mit ihrem Verlust von drei Sitzen (von 26 auf 23) als "Wahlsieger" zu bezeichnen ist deshalb faktisch schlicht falsch und eine echte Fake-News. Die vorgezogenen Parlamentswahlen waren übrigens vor fünf Jahren, am 20. Oktober 2013.
Und da kam keiner auf den Gedanken, einfach mal nachzufragen, wozu Frau Holper so ein "Certificat d'inscription aux listes électorales" brauchen könnte…? Um eine simple Petition zu unterschreiben benötigt man solche Dokumente sicher nicht, das muss doch Anno 2018 wohl jedem klar sein.
50 Jahre "XY-ungelöst", "Vorsicht-Falle", sowie unzählige rezente Aufklärungskampagnen, in denen die Leute geradezu beschworen werden, bloss nicht auf solche Haustür-Maschen reinzufallen und nie-niemals etwas zu unterschreiben…. alles umsonst.
Die Forderung nach "direkter Demokratie" ist in wirklichkeit eine Forderung nach institutionalisiertem Populismus. Der Filter der parlamentarischen Repräsentation wurde angesichts der Pöbelherrschaft der Französischen Revolutionn, der fundamentalistischen Schreckensherrschaft eines Savonarola in der Renasissance und einiger ähnlicher "Volksherrschaften" in der Antike ins politische System eingebaut. Mehr Hirn und weniger Rückenmark war die Devise die auch heute angesichts von Putin, Trump, Erdogan, Kaczinsky und Orban aktuell ist. Mehr Rechtsstaat und weniger "gesundes Volksempfinden". Das "Volk" und all die welche sich lauthals dazu erklären, sollte sich erinnern wie das beim letzten mal ausging.
Dir hudd och net alles verstaanen an der Demokratie. Fir eng Regierung ze bilden muss een d'Majoritéit hun an déi haat d'CSV nët, ob dir et wëlt oder nët.
Wann 2012 kee mat der CSV eng Regierung maachen wollt dann ass daat hiirt Recht, an als Resultat ass eben d'CSV an der Oppositioun. LSAP/DP a Gréng hun séch eben zesummen gedoen an eng Regierung op d'Bee gesaat, a fir daat ze maachen haaten Sie d'Majoritéit an der Chamber.
"Es ist Zeit für ein Umdenken und für mehr Demokratie. Die Schweiz zeigt im Ansatz, dass das möglich ist."
Ja. Die haben den Frauen das Wahlrecht bis in die 70er Jahre verweigert, In Appenzell und anderen Kantonen sogar bis in die 90er.
Wenn Sie das Demokratie nennen, dann Prost.
Das parlamentarische System hat Tücken. Neben der, dass Wahlsieger in die Opposition geschickt werden, wie es vor sechs Jahren der Fall war, ist diese Affäre ein weiteres Indiz dafür, dass Parlamentarismus und Demokratie zwei verschiedene Dinge sind. Im Internetzeitalter müsste eine direkte und integrale Demokratie eigentlich ohne Parlament auskommen können. Es ist Zeit für ein Umdenken und für mehr Demokratie. Die Schweiz zeigt im Ansatz, dass das möglich ist. Eine Regierung sollte nur Ausführen, was das Volk beschliesst. Die Legislative sollte direkt beim Volk liegen. Parlamente sind Relikte aus analogen Zeiten.
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil ...