Die Erinnerung an die «Schmelz» Esch-Schifflingen und an alles, wassie geprägt hat, ist vom Aussterben bedroht. Das gilt für das Fühlen und Denken ganzer Generationen von Menschen, deren Lebenswerk das «Stahlkochen» ist. Schifflingen versucht, dieses Erbe im Rahmen der Umgestaltung der «Friche industrielle» zu retten.
René Mackel erinnert sich noch gut. 1962, als er zum ersten Mal durch das Tor gegangen ist, um nach Arbeit zu fragen, hatte er rund 3.500 Kollegen. Da war er noch keine 18 Jahre alt. Weit über 30 Jahre wird er in dem Stahlwerk arbeiten und Staub, Hitze und Lärm hinnehmen. Hochofen, Kran, Stellwerk und «Finissage» im Walzwerk sind seine Stationen, freiwilliger Feuerwehrmann ist er genauso lang.
Irgendwann macht der Rücken nicht mehr mit. Frühpension. Was er dann mitansehen muss, bezeichnet er als «schlimm». 2011 beginnt die jahrelange Salamitaktik um das Werk, ArcelorMittal kündigt die «vorläufige» Stilllegung an. Sechs Jahre in der Endlosschleife der Ungewissheit folgen, bis 2016 das definitive Aus kommt. Da arbeiten noch 300 Menschen dort. In der Zwischenzeit werden nach und nach die Hallen ausgeräumt. Der von Menschen bei ihrer Arbeit belebte Betrieb wird zur verlassenen Brache. Da haben er und seine Kollegen schon angefangen, «ihre» Erinnerungen zu archivieren. Zum Schluss waren es drei Garagen voll.
Penetrant bettelte gerade er um jedes Stück. «Ich habe Jänni a Männi genervt», lacht er, rückt seine Schiebermütze zurecht und zeigt stolz auf das Gebäude hinter ihm. Da, wo vorher die Frachtpapiere fertig gemacht wurden und täglich viele Menschen durch das «Lallenger Portal» zur Arbeit strömten, sind die Sammelstücke jetzt auf rund 1.000 Quadratmetern zur Schau gestellt. Das improvisierte Museum erinnert an ihn, sein Berufsleben, seine Kollegen und an eine Arbeitswelt, die es so nie wieder geben wird.
Wie es wirklich in ihm ausgesehen hat, als die Hallen leer geräumt wurden, lässt Mackel nicht durchblicken. «Ich habe graue Haare bekommen», flachst er stattdessen, neigt den Kopf zum Beweis, setzt die Schiebermütze wieder auf und erzählt von seinen Fundstücken.
Für CSV-Bürgermeister Paul Weimerskirch gibt es kein Wenn und Aber, wenn es um den Fortbestand des Museums geht. Gerade jetzt, wo an Plänen zur Umwidmung des Geländes gearbeitet wird. «Der Stahl ist die Erfolgsgeschichte Schifflingens», sagt Weimerskirch, «ohne das würde es den heutigen Ort so nicht geben.» Für ihn ist es jetzt schon «Patrimoine», obwohl es derzeit nur eine Liste des «Service des sites et monuments nationaux» gibt, was klassifiziert werden soll.
Das Haus, wo sich jetzt das Museum befindet, ist nicht darauf. Nur der große Wasserturm mit der verblichenen grünen Kuppel ist schon als schützenswert identifiziert. Das Gebäude mit Symbolcharakter liegt auf Schifflinger Gemeindegelände und wacht über den Eingang zum Werk von Schifflinger Seite aus. Daneben liegt das «Pompelhaus», mit dessen Wasser am Ende die Walzen gekühlt wurden. Dort soll nach dem Willen der «Amicale Schëfflenger Schmelzaarbechter» und dem des Bürgermeisters das Museum zukünftig angesiedelt werden. «Das ist unser Wunsch», sagt Mackel im Namen der «Amicale». Seit zehn Jahren kämpft sie für einen endgültigen Sitz für die Erinnerungen.
Es ist ein guter Zeitpunkt, eine definitive Lösung ins Spiel zu bringen. Seit 2016 sitzen die Gemeinden Esch und Schifflingen zwischen Regierungsvertretern, der Entwicklungsgesellschaft Agora und Besitzer ArcelorMittal mit am Tisch, wenn Ideen zur neuen Nutzung des Geländes ausgetauscht werden. Davon gibt es viele. Renaturierung der Alzette, Anschluss an die grüne Lunge zwischen «Lallenger Bierg» und Naturschutzgebiet «Brill» und Verbindung mit den ehemaligen Abbaugebieten «Lallenger Bierg» und «Broucher Bierg», eine neue Straße zwischen Schifflingen und Esch, Wohnraum, Schulen, Ansiedelung von Wirtschaftsbetrieben, eine Mischnutzung also. Die Entwicklungsstudie dazu läuft, wird die Kontaminierung berücksichtigen und soll Mitte 2019 abgeschlossen sein, heißt es auf Nachfrage bei Agora.
Die zur Hälfte ArcelorMittal und dem Staat gehörende Entwicklungsgesellschaft koordiniert die «Revalorisierung». Fast schon penibel soll der Eindruck vermieden werden, den Bürgern etwas von oben aufzuzwingen. Die Fehler von Belval sind noch frisch. Transparenz, fließende Entscheidungsprozesse, Einbeziehung der Betroffenen und Bürgerbeteiligung stehen dieses Mal ganz oben. Deshalb wird Agora-Verwaltungsdirektor Yves Biwer auch in der nächsten Sitzung des Gemeinderates Rede und Antwort stehen.
Endgültiger Standort
Bedarf nach Informationen dürfte genug da sein, denn 2019 wird der Wettbewerb zur städtebaulichen Gestaltung des Geländes ausgeschrieben. 62 Hektar sind viel. Die Fläche entspricht knapp neun hintereinanderliegenden Fußballplätzen in der Größe desjenigen des hauptstädtischen Stade Josy Barthel. 90 Prozent davon liegen auf Escher und 10 Prozent auf Schifflinger Gebiet. Die Gewinnerteams sollen laut Agora auf dem Gelände vor Ort in einem offenen Prozess Projekte entwickeln. Das ist wohl auch der Grund, warum Bürgermeister Weimerskirch momentan wenig Konkretes sagen kann.
Eines aber steht jetzt schon fest: Das Museum muss bleiben. «Da haben Menschen gelebt und gearbeitet, die die Basis für unseren heutigen Wohlstand geschaffen haben», sagt der Schifflinger Rathauschef. Dieses Erbe verfallen zu lassen, entspricht nicht seinen Überzeugungen. Es ist wie mit den Kunstwerken im Rathaus. Sie stammen noch vom Vorgänger. «Eigentlich gefallen sie mir nicht alle, soll ich sie deshalb verbrennen? Da steckt doch irgendetwas dahinter, das sind ja keine Auftragsarbeiten.»
Die Bilder bleiben hängen und das Museum soll einen endgültigen Platz bekommen. Punkt. Das hat die CSV Schifflingen auch in einem Rundschreiben an alle Gemeindemitglieder kundgetan. «Schmelzaarbechter» wie Mackel wundert die Unterstützung aus der CSV-Ecke zwar, obschon Gemeinde wie «Amicale» ähnliche Ziele verfolgen. Der Rathauschef will Schifflingen auf den touristischen Karten des Südens verankern. Das Museum soll eine Station der Industriekultur zwischen Grubenmuseum in Rodange, Fond-de-Gras in Differdingen und «Ellergronn» sowie Belval in Esch werden.
Pensionär Mackel hofft, dass er das nach zehn Jahren Kampf um einen endgültigen Standort noch miterlebt. Er wird dieses Jahr 73 Jahre alt. Garantieren kann das niemand, die Prognosen sind vorsichtig. Mit «der Prolog ist abgeschlossen, die erste Etappe läuft», wagt Tour-de-France-Fan Weimerskirch einen Ausblick. Von jetzt auf gleich wird es also nicht gehen, die «Tour» hat 21 Etappen.
Ech halen se an Erënnerung andeems ech nach ëmmer kee Geméis aus dem Gaart iesse kann, wëll de Budem nach ëmmer verseucht ass.