Frankreich oder Kroatien? Die Fußball-Weltmeisterschaft neigt sich dem Ende und gleichzeitig ihrem Höhepunkt zu. Zeit also, Bilanz zu ziehen. Vom organisatorischen Standpunkt aus ist die WM in Russland allen Unkenrufen zum Trotz ein Erfolg. Im Gastgeberland herrschte auch aufgrund des überraschend starken Auftretens der «Sbornaja» eine nicht für möglich gehaltene Euphorie. Die Bilder eines modernen Russlands gingen um die Welt und dürften das angekratzte Image des Landes aufpoliert haben.
Für die Farbtupfer sorgten unter anderem die WM-Neulinge Panama und Island respektive die südamerikanischen Mannschaften mit ihren riesigen Anhängerschaften. Da konnten die Fans aus Europa, weitaus weniger zahlreich, nicht mithalten. Und das, obwohl die Mannschaften vom alten Kontinent diese Titelkämpfe sportlich dominierten. Titelkämpfe, die spielerisch kaum zu überzeugen wussten, ihren Reiz in erster Linie aus der Spannung und Dramatik bezogen.
Auch der Ärger über den Videoassistenten hielt sich in Grenzen, scheint das bei der WM angewandte Kontrollsystem doch um ein Vielfaches ausgereifter als der Videobeweis in der deutschen Bundesliga. Was trotzdem immer bleibt und für Diskussionen sorgt, ist die unterschiedliche Regelauslegung der Schiedsrichter.
Auf den Rängen blieb es derweil genauso ruhig wie in den Städten. Kein Vergleich zur Europameisterschaft in Frankreich vor zwei Jahren, als Krawalle schon fast an der Tagesordnung waren. Die vermeintliche Sicherheit wurde mit den strengsten Sicherheits- und Einreisebeschränkungen der WM-Geschichte gewährleistet. Jedenfalls gab es kaum einen Zwischenfall zu sehen, was natürlich auch an der sorgfältigen Arbeit der TV-Regie in den Stadien gelegen haben könnte.
Kein Wunder also, dass FIFA-Boss Infantino von der besten WM aller Zeiten spricht. Der Nachfolger von Sepp Blatter ist mit Wladimir Putin, der neben der Imagepolitur auch innenpolitisch als Macher der WM punkten konnte, der große Gewinner. Infantino konnte in Russland wichtige Weichen stellen. Für seine Wiederwahl 2019, für die geplante Weltliga der Länder oder aber die Klub-WM alle vier Jahre mit 24 Vereinen. All diese Projekte fallen in die Kategorie Geldvermehrung, sollen Investoren doch bereit sein, 25 Milliarden Dollar für zwölf Jahre für diese Wettbewerbe zu zahlen.
«Wenn alles nur kommerziell wird und nicht mehr emotional, dann schaltet der Fußballfan ab.» Das sagte unlängst kein Geringerer als Adidas-Chef Kasper Rorsted im Interview mit dem Sportmagazin kicker. Im Visier hatte er die Bestrebungen des Fußball-Weltverbandes FIFA, die beschlossene Aufstockung des WM-Teilnehmerfelds von 32 auf 48 Mannschaften um vier Jahre vorzuziehen und bereits in Katar auf Masse statt auf Klasse zu setzen. Dass ausgerechnet der Boss einer Sportartikelfirma sagt, der Fußball würde zu kommerziell, ist schon bemerkenswert. Schließlich sind Adidas, Nike und Co. maßgeblich an der Geldschwemme im modernen Fußball beteiligt. Die Adidas-Zuwendungen allein an Champions-League-Gewinner Real Madrid belaufen sich auf ca. 125 Millionen Euro pro Jahr. Recht hat Rorsted aber allemal.
Klar. Wenn der Fußballfan abschaltet bleiben die Werbeeinlagen unbeachtet.Auch das weiss Rorsted.
Man stelle sich vor bei der Tour de France blieben die Leute zu Hause und ließen den Fernseher abgeschaltet weil ein Froome "trotzdem" dabei ist.