Eine Scheidung ist ein Schnitt im Lebensweg, der bei allen Betroffenen Spuren hinterlässt. Besonders Kinder haben damit zu kämpfen, wenn eine Familie auseinanderbricht. Wir haben uns mit Béatrice Ruppert vom «Centre de consultation et de médiation familiale» der Stiftung Pro Familia über die Scheidung und ihre Folgen unterhalten.
Was bedeutet eine Scheidung für eine Familie?
Auch wenn Trennungen und Scheidungen heute häufiger vorkommen als früher, sind sie keineswegs banale Ereignisse für die Betroffenen. Was wir in unseren Beratungen erleben, ist, dass Scheidung immer ein emotionales Chaos bedeutet. Sowohl für denjenigen, von dem die Trennung ausgeht, als auch für den anderen Erwachsenen, der die Scheidung mittragen muss, und natürlich auch für die Kinder. Eine Scheidung bedeutet in einer ersten Phase ein Aufwirbeln von schwierigen Gefühlen und die Suche nach einem Weg, mit diesen klarzukommen. Daneben ist es natürlich auch eine Herausforderung wegen der Veränderungen auf der sozialen und finanziellen Ebene, die die Scheidung mit sich bringt. Nach der Scheidung muss man sich einem neuen Lebens- und Familienmodell stellen.
Was genau bedeutet die Scheidung für ein Kind?
Es hängt natürlich teilweise vom Alter und Entwicklungsgrad ab, doch Kinder erfahren zunächst eine große Traurigkeit. Eine Trennung oder Scheidung bedeutet für sie zum einen einen Verlust von der bisherigen Familienstruktur, zum anderen empfinden sie Angst vor dem, was sich nun alles ändert. Es ist wichtig, dass man dem Kind versichert, dass die Eltern es immer noch lieben. Neben der Traurigkeit und der Angst kann aber auch Wut auf ein Elternteil entstehen.
Bei jüngeren Kindern kann es auch sein, dass sie sich verantwortlich oder schuldig fühlen, weil sie denken, sie hätten etwas falsch gemacht: Wenn ich braver gewesen wäre, wäre es überhaupt nicht so weit gekommen. Das Gefühl entsteht, weil sich der Scheidungsstreit häufig um die Kinder dreht. Dann fühlen sich die Kinder im Mittelpunkt des Konflikts und es muss ihnen versichert werden, dass sie keineswegs Schuld an der Scheidung haben. Es ist für Eltern wichtig, das aktiv anzusprechen, denn Kinder drücken diese Schuldgefühle nicht immer aus oder wissen, woher sie kommen.
Wie begegnet man dem emotionalen Chaos einer Scheidung am besten? Sollte man sich an einen Mediator wenden?
Familienmediation hilft bei der Konfliktregelung und strebt eine dauerhafte und stabile Lösung an. Aber nicht jeder hat das Bedürfnis, eine Beratung aufzusuchen. Man muss für sich selbst herausfinden, was einem hilft, die Trennung zu überwinden und Lösungen zu finden. Das können Gespräche sein, mit der Familie oder Freunden – oder auch mit einem Professionellen, wenn das offene Ohr des eigenen Umfelds nicht mehr weiterhilft.
Zeit erfordert die Verarbeitung des emotionalen Chaos auf jeden Fall. Wir leben zwar in einer schnelllebigen Gesellschaft, doch niemand sollte erwarten, dass ein solch einschneidendes Erlebnis in kurzer Zeit verarbeitet ist. Scheidung gehört zu den höchsten Stressfaktoren und man kann nicht davon ausgehen, dass nach ein paar Wochen oder Monaten alles wieder ist wie vorher, man wieder ohne Probleme funktioniert und neue Lebensprojekte verfolgt. Sowohl für die Kinder als auch für die Eltern erfordert diese Anpassung Zeit.
Ist es für Einzelkinder schwerer, eine Scheidung zu verkraften, als für Geschwister?
Das will ich nicht verallgemeinern, aber ich denke, dass es für Geschwister oft einfacher ist. Weil Geschwister dem Konflikt nicht alleine ausgesetzt sind, lasten der Druck und die Erwartungen nicht auf den Schultern von nur einem einzigen. Das kann eine einfachere Situation sein, besonders wenn eine gewisse Solidarität zwischen den Geschwistern besteht. Man kann miteinander reden und merkt, dass man nicht alleine mit seinen Gefühlen dasteht. Wenn ein Kind sieht, wie die älteren oder jüngeren Geschwister mit der Scheidung umgehen, können sie auch zum Vorbild werden.
Gibt es ein «ideales» Scheidungsalter für Kinder?
Es gibt weniger ein ideales Alter als mehr oder weniger gute Verläufe von einer Scheidung für ein betroffenes Kind. Wichtiger als das Alter der Kinder ist der Verlauf der Scheidung – die Art und die Intensität des Konflikts etwa. Natürlich ist es so, dass jüngere Kinder abhängiger von ihren Eltern sind als ältere.
Jugendliche haben sich in der Regel emotional schon weiter von den Eltern abgenabelt. Durch Freunde oder Hobbys haben sie meist mehr Ressourcen, außerhalb des Elternhauses Halt zu finden. Insbesondere wenn es intensive Konflikte während der Scheidung gibt, haben Jugendliche genug Distanz, um zu wissen, dass sie nicht schuld daran sind. Sie sagen auch eher mal zu den Eltern: «Elo packt iech mol.» Da haben es Jugendliche also einfacher.
Ich glaube, es bleibt eine schwierige Erfahrung, auch für Erwachsene, deren Eltern sich scheiden lassen. Ein ideales Scheidungsalter der Kinder, auf das man möglicherweise als Eltern auch noch wartet, ehe man sich trennt, gibt es nicht.
Manche Eltern warten ab, bis die Kinder älter sind, ehe sie sich scheiden lassen. Ist dieses Warten denn logisch, wenn es kein ideales Scheidungsalter gibt?
Das muss jeder für sich entscheiden. Man sollte sich fragen: Mit welchem Gefühl kann ich gut leben? Ist es für mich zu erschreckend, was bedeutet die Scheidung für meine Kinder, wie gehen sie damit um? Ist diese Unsicherheit größer als das Unbehagen in der Beziehung und bringt man es fertig, nicht in einer totalen Harmonie, aber in einem respektvollen Miteinander weiter zusammenzuleben? Dann wieso nicht? Es gibt nicht die goldene Lösung. Es gibt nicht nur ein Familienmodell.
Sowieso ist die Scheidung ein Prozess, der in den seltensten Fällen leichtfertig begonnen wird. Meist haben die Betroffenen schon Monate oder Jahre damit verbracht, abzuwägen, ob sie noch zusammenbleiben, ob sie noch als Familie funktionieren, ehe sie eine Entscheidung treffen.
Ist das Kind zum Zeitpunkt der Scheidung noch sehr jung, kann es sich in der Regel später nicht an diese erinnern. Die Scheidung ist einfach ein Fakt in seinem Leben. Sollte man als Eltern trotzdem mit dem Kind später über die Scheidung und die frühere Beziehung reden?
Es ist auf jeden Fall wichtig, mit dem Kind über seine Lebenssituation und die Scheidung zu reden. Das Kind hat natürlich Fragen zur Trennung, auch wenn die meisten diese Fragen nicht von sich aus stellen. Eltern sind dann oft verunsichert darüber, ob sie über die Scheidung reden sollen, und wollen keine Wunden aufreißen, während die Kinder häufig Angst haben, dem Elternteil mit den Fragen wehzutun, oder nicht wissen, wie sie die Fragen formulieren sollen. Man sollte als Eltern für das Thema Scheidung Offenheit zeigen und auch aktiv zur Sprache bringen. Eventuell kann sogar von der Zeit vor der Scheidung erzählt werden, von schönen Momenten, um dem Kind zu versichern, dass es aus etwas Schönem entstanden ist. Davon abgesehen: Auch wenn das Kind keine konkreten Erinnerungen an die Scheidung hat, hat es häufig die damalige Gefühlslage mitbekommen und ist davon geprägt.
Redet man am besten alleine mit dem Kind über die Scheidung oder ist es wichtig, dass beide Ex-Partner gemeinsam wichtige Gespräche mit dem Kind führen?
Wichtig ist es grundsätzlich, dass das Kind über die Veränderung des Familienlebens Bescheid weiß, dass es informiert und vor allem darauf vorbereitet wird. Für die Verarbeitung der Scheidung ist es wichtig, wie die Nachricht dem Kind vermittelt wird. Auch wir Erwachsenen erinnern uns ganz genau an die Kontexte, wenn wir eine schlechte Nachricht hören: Wer hat es mir wo gesagt? Was ist genau gesagt worden? Wie war die Stimmung? Das kann maßgeblich dazu beitragen, wie ich die Nachricht verarbeite.
Ideal ist es natürlich, wenn beide Elternteile gemeinsam offen mit dem Kind reden und eine abgestimmte Botschaft vermitteln. Manchmal ist das aber auch nicht realistisch, insbesondere wenn die Eltern sich heftig streiten. Dann ist es besser, mit dem Kind einzeln zu sprechen. Wichtig ist es, dass es trotz Konflikt bei einem respektvollen Gespräch bleibt und man nicht schlecht von dem Elternteil redet, der nicht dabei ist.
Wie geht man gegenüber den Kindern am besten mit einem Ex-Partner um?
Kinder, die emotional an beide Elternteile gebunden sind, erleben einen inneren Konflikt, wenn sie ein Elternteil schlecht über den anderen reden hören. Wie kann es eine positive Beziehung zu beiden erleben, wenn es denkt, Partei ergreifen zu müssen? Wie kann es der Mutter gefallen, wenn es auch den Vater liebt und sie ihn hasst, oder umgekehrt? Natürlich ist es normal, dass man starke negative Gefühle gegen den Ex-Partner hegen kann, aber Kinder sind niemals der richtige Platz, um dieser Wut Luft zu machen.
Wie verhält man sich, wenn das Kind dennoch mitbekommt, wie man seine Wut gegen den Ex-Partner in Worte fasst?
Es ist ein Unterschied, ob das Kind es nur zufällig hört oder der Ex-Partner häufig gezielt vor dem Kind kritisiert wird. Wenn mir etwas rausrutscht und das Kind bekommt es zufällig mit, kann ich mich dafür entschuldigen und erklären, dass der Ärger übergekocht ist. Man sollte dem Kind zu verstehen geben, auch wenn ich ein Problem mit dem Ex-Partner habe, ist es dennoch ok, wenn das Kind ihn oder sie noch liebt.
Wenn das häufiger vorkommt, wie reagiere ich als Ex-Partner darauf?
Oft sind wir in dem Moment schon in einer Situation, wo der Konflikt immer weiter eskaliert. Es geht hin und her, jeder fühlt sich schlecht behandelt und erlebt den anderen als schuldig an der Eskalation. Aus diesem Modus wieder herauszukommen, ist schwierig. Eskaliert der Streit weiter, bringt es die Kinder eventuell sogar dazu, dass sie das Gefühl haben, richten zu müssen. Es ist sehr schädlich, wenn die Kinder glauben, entscheiden zu müssen, welches Elternteil im Recht ist. Von seiner Seite sollte man aber auf keinen Fall weiter Öl ins Feuer gießen. Wieder einmal ist es daher wichtig, die Kinder nicht in den Konflikt einzubeziehen.
Scheidungen sind heute häufiger als früher. Ist es gegenwärtig leichter, eine solche zu verkraften?
Scheidungen sind heute kein Stigma mehr. Es gibt eine andere soziale Akzeptanz für alternative Familienmodelle. Dennoch bleibt die Trennung ein einschneidendes Erlebnis. Es ist emotional nicht leichter zu ertragen. Es wird zwar mehr drüber gesprochen, man erhält leichter Hilfe und man findet eher Betroffene, mit denen man sich austauschen kann – etwa über Foren oder soziale Medien.
Mit dem neuen Gesetz soll die Zeit, um eine Scheidung juristisch zu vollziehen, erheblich verkürzt werden. Begrüßen Sie das?
Ja, auf jeden Fall. Je länger ein Konflikt dauert und je heftiger er eskaliert, desto mehr Schaden richtet er an.
Die Scheidung wegen Verschuldens wurde mit dem neuen Gesetz abgeschafft.
Das freut uns sehr. Die Scheidung wegen Verschuldens war immer mit einem Anspruch auf Entschädigung für einen der Ehepartner verbunden, mit dem Ziel, Gerechtigkeit für einen selbst zu erreichen. Ich glaube allerdings, dass das in den wenigsten Fällen wirklich so war. Im Gegenteil – dadurch, dass einer dem anderen einen Fehler nachweisen wollte, sind wir in einen Teufelskreis des eskalierenden Konflikts geraten. Dazu kamen noch die Zeugenaussagen von möglichen Vertrauenspersonen, was zu Vertrauensbrüchen führen konnte. Dadurch entstand ein sehr giftiges Klima für alle Betroffenen.
Laut dem neuen Scheidungsgesetz sollen beide Elternteile grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht zugesprochen bekommen. Das erfordert eine weitere enge Zusammenarbeit der früheren Partner. Wie organisiert man die gemeinsame Erziehung der Kinder nach der Scheidung?
Genau wie in einer Familie ist dafür sehr viel Kommunikation gefragt. Man muss miteinander reden, sich abstimmen, Missverständnisse vermeiden, sich klar ausdrücken und nachfragen, ob das, was man verstanden hat, auch das ist, was gemeint war. Wenn man getrennt ist, fällt das natürlich deutlich schwerer, als wenn man zusammenlebt.
Man muss die unterschiedlichen Gewohnheiten respektieren, auch wenn man nicht mehr zusammen ist. Das Kind lebt später mit zwei Modellen. Es kann sein, dass das jeweilige Lebensumfeld bei den Eltern sehr unterschiedlich ist, dass es verschiedene Regeln und Abläufe gibt … Das Wichtigste ist nicht, dass es in jedem Zuhause das Gleiche ist, sondern dass die Umstände in jedem Haushalt kohärent sind. Wenn bei einer Bezugsperson die Regeln ständig ändern, bringt es das Kind durcheinander. Wenn das Kind aber zwei klare Regelsysteme hat, kann es sich daran gewöhnen.
Wenn man sich abstimmen muss, sollte jeder für sich herausfinden, was am besten funktioniert. Komme ich noch gut genug mit meinem Ex-Partner zurecht, dass wir uns regelmäßig sehen, um über wichtige Entscheidungen zu diskutieren? Telefoniere ich lieber oder funktionieren wir am besten über SMS? Ein Minimum an Kommunikation kann durchaus ausreichen. Wichtig ist nur, dass es nicht das Kind ist, das zum Briefträger zwischen den beiden Elternteilen wird.
Was ist Pro Familia?
1988 gegründet, hat die Stiftung Pro Familia zum Ziel, Familien in Not zur Seite zu stehen. Der Hauptsitz der Stiftung ist in Düdelingen, mit einem weiterem Standort in Ettelbrück. Pro Familia bietet Kindern in einer Notsituation ein Heim, in dem sie zeitweise untergebracht werden können. Außerdem betreut Pro Familia ein Frauenhaus, in dem Frauen in Not gemeinsam mit ihren Kindern aufgenommen werden können, sowie eine Beratungsstelle für Frauen. Im Jahr 2000 hat die Stiftung außerdem ein Beratungs- und Mediationszentrum eröffnet. Hier werden u. a. Familien in schwierigen Lebenssituationen sowie Kinder und Jugendliche mit Traumata psychologisch betreut. Schließlich bietet die Beratungsstelle «Alternatives» eine psychologische Hilfestellung für Kinder und Jugendliche, die häusliche Gewalt erleben. Die Stiftung beschäftigt etwa 35 Personen und arbeitet eng mit dem Familienministerium, dem «Office national de l’enfance» und dem Ministerium für Chancengleichheit zusammen.
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