Das Wort Syrien löst im Kopf einen Film aus. Bilder von Krieg, von einem Land in Trümmern und Menschen auf der Flucht, das sind die imaginären Szenen des Films. Die Menschen, die vor allem ab 2015 zu Tausenden nach Europa strömten und immer noch kommen, bleiben meist anonymer Teil einer Flüchtlingsbilanz. Dass sie auch Betriebe in den Aufnahmeländern gründen und sogar Arbeitsplätze schaffen, ist nicht der erste Gedanke. Mohammed Al-Chomali ist einer von ihnen.
Die «Damas-Platte» mit acht verschiedenen Vorspeisen macht Appetit auf mehr. Das Püree aus gegrillten Auberginen mit Granatapfelsauce oder das Taboulé mit reichlich Petersilie sind landestypische Gerichte Syriens. Wenn diese Köstlichkeiten den Gästen ein «Mmmmh» entlocken und die Mundwinkel immer weiter nach oben Richtung Lächeln wandern, ist Mohammed Al-Chomali glücklich. Der 40-jährige Syrer lebt seit 2012 in Luxemburg, hat Asylstatus und betreibt seit Januar 2018 das «Damas» im hauptstädtischen Bahnhofsviertel. Jeden Tag aufs Neue komponiert er die Köstlichkeiten, um luxemburgische Gaumen mit dem Geschmack seiner Heimat zu verwöhnen. Sechs Jahre vorher sieht seine Welt noch ganz anders aus.
Flüchtlinge
560 Menschen haben in den ersten vier Monaten des Jahres 2018 in Luxemburg Asyl beantragt. Das gibt das Außenministerium in seinen monatlich veröffentlichten Statistiken an. 60 Flüchtlinge stammen aus Syrien, wie aus gleicher Quelle hervorgeht. Davon haben neun bereits einen Bescheid. Fünf von ihnen haben den Flüchtlingsstatus, vier Anträge wurden abgelehnt. 15 Syrer kamen allein im Monat April hierher. Sie stellen die zweitgrößte Gruppe der Asylbewerber in Luxemburg dar. Daten zu Existenzgründungen von ehemaligen Flüchtlingen in Luxemburg sind bei Horesca und der «Chambre de commerce» nicht verfügbar.
Vom Arabischen Frühling überrascht
Da hat der Modebegeisterte, der in Syrien die Schnitte für Sportmode entwirft und später im arabischen Raum herumreist und für andere Modemarken das Qualitätsmanagement macht, gerade sein eigenes Geschäft in Damaskus fertig eingerichtet. Der Arabische Frühling erreicht seine Heimat und macht diese Pläne zunichte. «Anfangs haben wir alle gedacht, das dauert nicht lange, wie in Tunesien oder Ägypten», sagt Mohammed, «und wir sind alle erst einmal geblieben.» Alle, das sind seine Familie, Eltern und sieben Geschwister.
Die Familie lebt zusammen in einem großen Gebäude im Stadtteil Dariyya. Der ehemals knapp 80.000 Einwohner zählende Vorort der syrischen Hauptstadt ist zu Beginn des Krieges Rebellenhochburg und erlebt zahlreiche Angriffe. Heute ist das Haus der Familie zerstört, sie wohnen zur Miete.
Der Vater ist pensionierter General der syrischen Armee und betreibt vor dem Krieg ein kleines Geschäft mit Baumaterialien. Er hätte es gerne gesehen, wenn sein Sohn Medizin studiert hätte. Mohammed entscheidet sich nach dem Abitur anders. Heute muss die Familie mit umgerechnet 30 Euro Rente auskommen. Ohne die finanzielle Unterstützung des Sohnes aus Luxemburg würde es gar nicht gehen. Vier der Kinder fliehen. Libanon, Jordanien, Deutschland und Luxemburg sind die Endstationen. «Wir Söhne wären alle zwangsweise bei der Armee gelandet», sagt er, «die Lage war kompliziert.» Mehr will Mohammed nicht dazu sagen. Er muss weg und will nach Kanada.
Erste Station: Istanbul
Was danach kommt, ist eine Geschichte, die viele Flüchtlinge erzählen. Istanbul ist die erste Station seiner Flucht. Bei offiziellen Stellen wird er erst gar nicht vorstellig, er sucht Wege, nach Kanada zu kommen.
Schlepper versprechen schließlich eine Route, die von Luxemburg über das Meer Richtung amerikanischer Kontinent führen soll. «Ich habe wirklich gedacht, Luxemburg liegt am Meer», sagt er. Heute muss er darüber lachen. Ein Onkel gibt das Geld, es kann losgehen. Wie lange er in dem kleinen Lieferwagen mit anderen Syrern und zwei Irakern fahrend und nachts stundenlang zu Fuß unterwegs ist, vermag er nicht mehr zu sagen. Nur so viel: «Wir wussten nie, wo wir genau waren», sagt er, «Fragen waren absolut verboten.» Mittlerweile hat er seine Fluchtroute rekonstruiert. Er war einer der vielen auf der damals noch offenen Balkanroute. Irgendwann kommt er abends am hauptstädtischen Bahnhof an. Das, was er auf dem Leib trägt, ist ihm geblieben. Seine Papiere haben die Schleuser einkassiert. «Sie haben gesagt, wir bekommen sie in Kanada wieder», sagt er. Auch darüber kann er heute lachen. Damals jedoch fehlt es an allem.
Es fehlt an allem: Geld und Papiere sind weg
Er hat kein Geld und beherrscht die Sprache nicht, spricht neben Arabisch nur Englisch. Auch die Kultur Luxemburgs ist ihm fremd. «Ich wusste nichts über die Regeln hier», sagt er. Das Gesicht eines Passanten kommt ihm bekannt vor, er bittet um Hilfe. Die Eingebung war richtig, der Angesprochene ist ein ehemaliger Flüchtling aus dem Nahen Osten. Mohammed bekommt Adressen, wohin er sich wenden kann. Gleichzeitig ist er um eine Illusion ärmer. Die nächsten Häfen mit Schiffen nach Übersee liegen ein paar Hundert Kilometer weiter in Belgien, Holland oder Deutschland.
Er landet zunächst in der Erstauffangstation «Don Bosco». Elf Monate später hält er den positiven Bescheid in den Händen. Er darf bleiben, ist als Flüchtling anerkannt. Danach folgen Stationen als Restaurantkoch und als Caterer bei Veranstaltungen. Er kommt im Land herum und trifft schließlich Luxemburger, die ihm helfen, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Mit ihrer Hilfe findet Mohammed das «Damas». Er renoviert, eröffnet und kocht. Zwei Mitarbeiter, einen Portugiesen und eine Luxemburgerin, hat er in Vollzeit engagiert. Sie helfen im Service und in der Küche. Langfristig wird er noch eine Teilzeitkraft einstellen.
Luxemburg statt Kanada
Und Kanada? Das ist passé. «Ich glaube an das Schicksal», sagt er, «es hat mich hierher geführt und ich fühle mich hier wohl.»
Das «Damas» hat sich über Mund-zu-Mund-Propaganda herumgesprochen, Mohammed ist zufrieden. Sein Französisch will er noch verbessern, Luxemburgisch lernt er gerade. Und wenn er einen Wunsch frei hätte: Er würde seine Wohnung in Bonnevoie gerne gegen eine in einer ruhigen Gegend auf dem Land tauschen. «Nach der Arbeit hier brauche ich Ruhe», sagt er. Ist er gekommen, um zu bleiben? Beim dem Thema werden seine dunklen Augen noch eine Nuance dunkler. «Wenn ich irgendwann wieder zurück kann, werde ich das wahrscheinlich tun», sagt er, «niemand verlässt gerne seine Heimat und vor allem die Familie. Syrien ist ein schönes Land.»
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können