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Zwei Jahre nach dem Hochwasser im Ernztal: Die Angst ist allgegenwärtig

Zwei Jahre nach dem Hochwasser im Ernztal: Die Angst ist allgegenwärtig
23. Juli 2016: Der Tag nach der Katastrophe

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In nur wenigen Minuten stieg am Abend des 22. Juli 2016 die Weiße Ernz meterhoch aus ihrem Bett. Der umwetterartige Platzregen, der über dem Osten des Landes niederging, war damals so stark, dass Schlammlawinen und riesige, unkontrollierbare Wassermengen sehr hohen Schaden anrichteten. Die Hilfe kam damals schnell, und doch …

«Unsere beiden Töchter (5 und 7 Jahre alt) hängen ihrer Mutter sofort am Rockzipfel, sobald es draußen zu regnen beginnt», so ein Einwohner der Ernztalgemeinde dieser Tage dem Tageblatt gegenüber. Das Hochwasser vom Juli 2016 hat weitaus mehr Schaden angerichtet, als man glaubt. «Es gibt wohl den materiellen Schaden, für den wir – teilweise – finanzielle Hilfe bekamen, doch was seitdem in den Köpfen der Betroffenen schmort, ist nicht mit Geld zu therapieren.»

Ein Einwohner aus Cruchten, den es im Juli 2016 sehr böse erwischt hatte, bestätigt diese Aussage: «Bei jedem noch so kleinsten Donnergeräusch oder sogar schon bei etwas stärkeren Regenfällen schreckt unsere ganze Familie auf. Wir laufen dann durchs Haus, stellen Möbel und Elektrogeräte hoch, versuchen, so weit wie möglich alles Wichtige auf die erste Etage unseres Hauses zu schleppen. Morgens, vor dem Verlassen des Hauses, rufen wir noch sämtliche verfügbaren Wettervorhersagen auf und stellen wir dann fest, dass Gewitter im Anzug sind, dann möchten wir eigentlich zu Hause bleiben, was wegen der Arbeit natürlich nicht geht.»

«Die Angst ist allgegenwärtig», sagt ein Vater von zwei Kindern, die er am Abend des 22. Juli 2016 schnell auf den Arm nahm, bevor er mit ihnen auf den Dachboden ihres Hauses lief. «Es ging alles sehr, sehr schnell. In wenigen Minuten stand damals das Wasser fast zwei Meter hoch in unserer Wohnung.»

Unbürokratische und «schnelle» Hilfe

Am Morgen des 23. Juli 2016 war die Lage in manchen Orten entlang der Weißen Ernz sehr dramatisch. Erinnern wir daran, dass in Ermsdorf, Cruchten, Medernach, Reisdorf, Nommern, Savelborn und Fels manche Häuser durch das Hochwasser für längere Zeit unbewohnbar geworden waren. Die Regierung versprach damals schnelle und unbürokratische Hilfe für die, die ihr Hab und Gut in den Fluten verloren hatten. Das war aber leichter gesagt als getan.

Wir hakten Anfang September 2016 bei Betroffenen nach. In vielen Fällen war die Hilfe zwei Monate nach der Katastrophe noch nicht angekommen und dadurch gesellten sich den Betroffenen zu dem hohen materiellen Schaden weitere Probleme. Nur ein Beispiel: Eine alleinstehende Frau, die ihre Wohnung, Möbel, Kleider, ihr Auto, ja eigentlich alles in den Fluten verloren hatte, stand am 23. Juli 2016 vor dem Nichts. Bei der Suche nach einer neuen Wohnung stieß sie bei den Immobilienagenturen immer wieder auf die gleiche Frage, und zwar die nach der finanziellen Garantie. Mit einem Halbtagsjob und ohne Hab und Gut war diese Frage schnell beantwortet und die Anfragen der Frau landeten schnell im Papierkorb.

Die Mauer entlang der Weißen Ernz in Ermsdorf zeigt heute noch Spuren vom damaligen kurzfristigen Pegelstand, der fast drei Meter höher war als gewohnt.

«Gelebt? Nein, nur funktioniert!»

Die Frau sagte uns am 3. September 2016: «Leben? Nein, leben tue ich im Moment nicht! Ich setze alles daran, damit meine Kinder und ich überleben können, aber ich werde von Tag zu Tag müder und schwächer. Finanzielle Hilfe habe ich bis dato noch nicht bekommen, da die Experten der Versicherungen ‹zu viel um die Ohren› haben sollen, und viele dieser Fachleute sind anscheinend noch im Urlaub. Ich brauche aber Gutachten dieser Experten, um weitere Schritte unternehmen zu können.»

Wie es weitergehen soll, wusste die Frau damals nicht. Sie versprach sich Hilfe durch eine Sozialhelferin, doch auch hier stand sie auf einer langen Warteliste. Allein bei der Caritas hatte man ihr eventuelle Hilfe bei der Rückzahlung ihres Bankkredits in Aussicht gestellt, damit sie mehr von ihrem monatlichen Einkommen zum Leben übrig hat.

Ein Einwohner aus Cruchten gab uns am Donnerstag zu verstehen, dass die Hilfe zwar schnell über die Bühne ging, doch so ganz unbürokratisch sei das Ganze aber nicht vonstattengegangen. «Wir mussten unsere Schäden erst einmal auflisten, was ja auch selbstverständlich ist. Dann mussten wir Kostenvoranschläge für die anstehenden Reparaturarbeiten bzw. Neuanschaffungen bei Firmen und Geschäften einholen. Wir mussten viele lange, zeitraubende Wege bewältigen. Anschließend wurden diese Kostenvoranschläge von einem Experten der Versicherung begutachtet und gegebenenfalls nach unten revidiert. Es gab unzählige langatmige Diskussionen. Alles in allem warteten wir zwei bis drei Monate auf den Schadensersatz.»

Was die versprochene finanzielle Direkthilfe des Staates anbelangte, sei alles zügig vorangegangen. Allein was die von Tausenden Privatleuten gespendeten Gelder anbelangt, sei seiner Meinung nach nicht alles so gelaufen wie anfangs versprochen. «Dass es hier nur Vorschüsse an Betroffene gab, die später zurückbezahlt werden mussten, war bestimmt nicht im Sinne derer, die Geld gespendet hatten.»


Am Morgen des 23. Juli 2016 herrschte das Chaos in der „Sonndesgaass“ in Ermsdorf. Viele Einwohner verloren ihr gesamtes Hab und Gut durch das Hochwasser.

„Eine bis dahin nie gekannte Solidarität“

Bei unserem Rundgang durch Ermsdorf, Cruchten, Medernach, Reisdorf, Nommern, Savelborn und Fels begegneten wir manchen Betroffenen des Hochwassers von 2016. Natürlich war der angerichtete Schaden bei jedem Gespräch gleich das Hauptthema, doch ausnahmslos alle erwähnten auch die überaus große Solidarität, die sie gleich nach der Katastrophe erfuhren. «Diese für mich bis dahin nie gekannte Solidarität treibt mir heute noch die Tränen in die Augen», so ein Landwirt. «Ich ziehe den Hut vor all denen, die damals selbstlos halfen.»


„Hoffentlich haben wir Lehren daraus gezogen“

Der Bürgermeister der Ernztalgemeinde, André Kirschten

Der Bürgermeister der Ernztalgemeinde (Medernach, Stegen, Folkendingen, Savelborn, Eppeldorf, Keiwelbach und Ermsdorf), André Kirschten, war am 22. Juli 2016 sofort vor Ort und half, wo er nur helfen konnte. «Ich war verblüfft von der Solidarität unter den Einwohnern unserer Gemeinde. Ebenso dankbar bin ich für die Hilfe der Leute, die gleich aus anderen Gemeinden herbeieilten, um den Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.»

Zwei Jahre später seien fast alle Spuren der Katastrophe beseitigt. «Es gibt aber etwas, was mir noch immer Schmerzen bereitet: Viele Kinder aus unserer Mitte reagieren auch heute noch immer panikartig auf Regenfälle. Sie können die zwei Stunden, während deren am 22. Juli 2016 die Gewitter und der Platzregen über ihren Köpfen wüteten, der Strom unterbrochen war und das Wasser in Minutenschnelle in ihren Wohnungen anstieg, nicht so schnell vergessen.»

Nach den Maßnahmen gefragt, die die Gemeinde in den letzten zwei Jahren unternommen hat, damit es nicht mehr so schnell zu Überschwemmungen in ihrem Tal kommen kann, hob der Bürgermeister die groß angelegten «Putzaktionen» entlang der Ernz hervor. «Die Ufer wurden von Sträuchern und kleinen wildgewachsenen Bäumen befreit. Dies hatte die Naturverwaltung den Landwirten jahrelang verboten. Bei den Überschwemmungen von 2016 haben wir sehr wohl gesehen, was in den Fluten der Ernz trieb und an den Brücken für enormen Schaden sorgte und zudem das Wasser staute.

Auch wenn die Umweltverwaltung mit Stolz behaupte, man solle doch so manche gefällte oder umgefallene Baumstämme in der Natur liegen lassen, damit sich hier Insekten und Pilze einnisten können, so haben wir doch spätestens bei den letzten Überschwemmungen im Müllerthal gesehen, welche Gefahr von diesen vom Wasser mitgerissenen Baumstämmen ausgehen kann. Ich hoffe nur, dass spätestens jetzt jeder seine Lehren daraus zieht.»

André Kirschten wollte auf diesem Weg einmal mehr den vielen Spendern Danke sagen. «Vom Roten Kreuz und der Caritas haben wir leider keine Liste der Spender erhalten, sodass ich mich bei diesen Leuten nicht persönlich mit einem Schreiben bedanken kann. Es gab aber auch viele Leute, die nicht über die Caritas oder das Rote Kreuz spenden wollten, sondern direkt an unser kommunales Sozialamt. Hier kennen wir die Namen der Spender.»


23. Juli 2016: Der Tag nach der Katastrophe

Noch lange nicht überstanden

Auf die Frage, ob er sämtlichen Schaden mit der finanziellen Hilfe des Staates und dem Geld der Versicherung begleichen konnte, meinte ein Betroffener am Donnerstag mit einem tiefen Seufzer: «Nein! Vieles musste ich aus eigener Tasche bezahlen. In den letzten Monaten kamen auch Folgeschäden hinzu, so z.B. an Mauern und Möbeln, wo sich mit der Zeit nun Risse gebildet haben. Diese Schäden waren im Moment der Expertise nicht zu sehen. Glauben Sie mir, überstanden haben wir das Ganze noch lange nicht.»


Am Abend des 22. Juli regnete es in Strömen

Bei jedem Regenschauer

Vor allem Kleinkinder betroffener Familien haben den 22. Juli 2016 noch immer nicht so recht verkraftet. Eine Mutter erklärte uns, dass ihre Kinder bei jedem Regenschauer sichtlich unruhiger würden und sich gleich an sie oder den Vater schmiegen würden. «Wir sprechen oft darüber, was passiert ist.»

«Auch in den Schulen haben wir das Unwetter von damals thematisiert», so eine Lehrerin. «Wir versuchten mit allen pädagogischen Mitteln, die uns zur Verfügung standen, die Kinder von ihrer Angst zu befreien.»

Nomi
8. Juni 2018 - 16.27

D'Annonce vun der Politik ass emmer hard an deitlech, mee bei der Emsetzung stinn d'Verwaltungen all um Schlauch fir dass nemmen naischt durchkennt !

Jang
8. Juni 2018 - 10.22

Eine "unbürokratische und schnelle Hilfe" müsste auch
wortgemäss so sein. Stimmt aber nicht immer.
Luxemburgs Mühlen mahlen immer noch langsam.