Headlines

Irans Feinde haben Lunte gerochen, Trump hält das Streichholz bereit

Irans Feinde haben Lunte gerochen, Trump hält das Streichholz bereit
Netanjahu will bei seiner TV-Präsentation keine Zweifel ob der zu übermittelnden Botschaft aufkommen lassen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die USA, Israel und Saudi-Arabien drängen Teheran weiter an den internationalen Pranger, die Europäer wirken machtlos, doch die Probleme der Mullahs sind auch hausgemacht. Es dürften nur mehr wenige Züge sein, bis sich Iran im internationalen Schachmatt befindet. Seine Gegner setzen dem schiitischen Staat immer mehr zu. Dass US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen mit Teheran bald platzen lassen könnte, wird immer wahrscheinlicher. Auch die Position der Europäer hat sich unter Trumps Druck aufgeweicht. Doch die letzte Volte kam nun aus Israel. Dort präsentierte Israels Regierungschef angebliche Beweise, die Iran der Lüge überführen sollen.

Die Inszenierung war theatralisch und sie wurde zur besten Sendezeit im Fernsehen übertragen. Ganz nach Donald Trumps Geschmack also. Auch der weltpolitische Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können. Keine zwei Wochen sind es noch bis zum 12. Mai. Spätestens dann soll der US-Präsident bekannt geben, ob er die Sanktionen gegen den Iran wieder unter Dampf setzt. Für Teheran käme das einer Kündigung des Atomabkommens gleich, das die Islamische Republik im Jahr 2015 mit den fünf dauerhaften Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie Deutschland geschlossen hatte. Am Montagabend also betrat Benjamin Netanjahu die TV-Bühne.

Netanjahu sagt, «Iran lügt». Doch wer sagt hier schon die Wahrheit?

«Iran lügt», sagte Israels Regierungschef zur besten Sendezeit im Fernsehen, als er angebliche Beweise für seine Vorwürfe präsentierte, das schiitische Land verfolge ein geheimes Atomwaffenprogramm und verstoße damit gegen das internationale Nuklearabkommen. Trumps Wohlgefallen an Netanjahus «Enthüllungen» ließ nicht lange auf sich warten. Alles, was sich gegen das Abkommen mit dem Iran richtet, ist Wasser auf die Mühlen des US-Präsidenten, der das Abkommen bereits in Wahlkampfzeiten als «den schlechtesten Deal, den Amerika je geschlossen hat», bezeichnete.

Dabei klingt die Herkunft der Dokumente, die Netanjahu nun im israelischen Fernsehen auf Englisch der Welt präsentierte, bereits abenteuerlich. Netanjahu enthüllte vor laufenden Kameras ein Regal voller Aktenordner, die seinen Angaben zufolge 55.000 Seiten enthielten, sowie eine Wand mit 183 CDs voller Daten und Dokumenten. Sie stammen laut Netanjahu aus einem «verfallenen Lagerhaus» in Teheran und wurden vor einigen Wochen bei einem Einsatz des israelischen Geheimdiensts Mossad nach Israel gebracht. Dort seien sie in den vergangenen Wochen ausgewertet worden. Anders gesagt: Iran vergisst Tausende Dokumente, die das für den Staat so wichtige Abkommen, sollten sie in die falschen Hände geraten, platzen lassen würden. In einem alten Lagerhaus. Mitten in Teheran. Und der Mossad findet sie. Sachen gibt’s.

Am Freitag hatte Trumps neuer Außenminister Mike Pompeo seine erste Nahost-Reise begonnen, erster Halt war Saudi-Arabien, der zweite Israel; die beiden Erzfeinde Irans in der Region. Trump dürfte demnach um Netanjahus bevorstehenden Scoop gewusst haben. Pompeo selber hält die präsentierten Dokumente für «authentisch» und teils auch neu. Auch die USA werten sie nun aus. Israel will die «Beweise» ebenfalls der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) übergeben, die die Einhaltung des Atomabkommens überprüft und sich, im Gegensatz zu Trump, von Netanjahus dramatischen Gesten nicht beeindrucken hat lassen. Denn viele der präsentierten Dokumente sind der IAEA und anderen Experten seit Jahren bekannt. Auch von der Existenz des angeblich geheimen Atomwaffenprogramms «Amad» weiß die Öffentlichkeit seit Langem.

Tatsächlich widerspricht die Existenz des geheimen Atomwaffenprogramms «Amad» den Behauptungen der iranischen Führung, niemals nach der Bombe gestrebt zu haben. Daher Netanjahus Lügen-Vorwurf. Allerdings wurde das Abkommen gerade deshalb geschlossen, wie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini betonte, weil die internationale Gemeinschaft Teheran nicht vertraut hat und lieber selbst kontrollieren wollte, dass der Iran nicht an der Bombe baut.

Und genau darum geht es den Europäern. Sie wollen weiter selber kontrollieren können, was im Iran vor sich geht. Und sie wollen die diplomatischen Kanäle nach Teheran weiter offenhalten. Beides geht nur bei einem Abkommen, an das sich alle halten. Trump (sowie Israel und Saudi-Arabien) aber hält das unter seinem Vorgänger Barack Obama geschlossene Abkommen für zu lasch.

Der US-Präsident greift das Abkommen immer wieder an zwei Stellen an: Erstens betreibe Teheran sein ballistisches Raketenprogramm weiter in der Hoffnung, irgendwann Interkontinentalraketen bauen zu können. Die wären dann von ihrer Reichweite her auch für die USA eine potenzielle Gefahr. Über Kontinentalraketen, die Atomsprengkörper transportieren könnten, verfügt das Land. Dass mit solchen Ziele in Europa angegriffen werden könnten, bestärkt besonders Paris, Berlin und London in ihren Bestrebungen, das Abkommen und damit den Draht nach Teheran am Leben zu halten. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich für eine «strikte Einhaltung» des Atomabkommens mit dem Iran ausgesprochen.

Zweitens wird die Rolle des Irans in der Region kritisiert. Das Land, das vor der eigenen Haustür eigentlich eine konstruktive Rolle spielen sollte, ist direkte Kriegspartie in Syrien, wo es zusammen mit Russland den syrischen Machthaber Baschar al-Assad stützt, und indirekt im Jemen-Krieg eingebunden, wo es die gegen eine von Saudi-Arabien geführte Koalition kämpfenden Huthi-Rebellen mit Waffen unterstützt. Die Europäer teilen beide Kritikpunkte. Bis vor Kurzem galten sie aber nicht als Grund, das Abkommen neu zu verhandeln.

Abkommen sollten den Iran auf Linie bringen, ganz gelang das nicht

Vielmehr sollte das Abkommen es möglich machen, diplomatisch derart auf Teheran einzuwirken, bis dieses auf Linie gebracht werden könne. Nach den Besuchen von Emmanuel Macron und Angela Merkel vergangene Woche in Washington ist aber eine semantische Kehrtwende hier zu beobachten: Das Wort «Neuverhandlung» wird zwar tunlichst vermieden, dafür ist die Rede davon, «in einem größeren Rahmen mit allen Beteiligten zusätzliche Absprachen zur Dauer nuklearer Beschränkungen sowie zu weiteren Themen» auszuarbeiten, wie Merkel am vergangenen Wochenende sagte.

Doch wenn etwas wie eine Ente watschelt, wie eine Ente schwimmt und wie eine Ente quakt – dann ist es eine Ente. An diesem aus dem englischen Sprachgebrauch stammenden Sprichwort richtet Teheran nun seine Antwort aus. Irans Revolutionsführer Ali Khamenei sowie Präsident Hassan Ruhani lehnen eine Neuverhandlung resolut ab. Das Atomabkommen vom Juli 2015 sei «in keinster Weise verhandelbar», sagte Ruhani am Wochenende. Der Iran werde «keine Beschränkungen akzeptieren, die über seine Zusagen hinausgehen». Am Dienstag legte Khamenei nach. Nicht der Iran und seine Präsenz in der Region seien das Problem, sondern die Einmischung der USA. «Wir sind von hier, der Persische Golf und Westasien sind unsere Heimat», sagte der Ayatollah. Und an
Washington gerichtet: «Ihr seid die Fremden hier und nur darauf aus, zu zerstören und aufzuhetzen.»

In der Tat sah sich die Führung in Teheran rund um den Jahreswechsel 2017/2018 Massenprotesten einer verarmenden Bevölkerung entgegen. Anfangs zogen ein paar wenige hundert Demonstranten wegen gestiegener Preise für Eier durch die Straßen. Nur wenig später waren es Hunderttausende – und es ging längst nicht mehr ausschließlich um zu teure Lebensmittel. Das System der Islamischen Republik wurde öffentlich infrage gestellt. Etwas bis dato Unerhörtes im Iran.

Was im Irak erreicht ist, wird in Syrien noch herbeigebombt

Und auch etwas, das die Strategen in Riad, Jerusalem und besonders in Washington hellhörig werden ließ. Nach dem Motto: Wackelt da etwa ein Regime, das wir sowieso am liebsten von der Bildfläche verschwinden sehen würden? Spätestens ab da dürfte die Teheraner Führungsriege in so manchem Thinktank als angezählt gelten. Der Führungsriege, die ihrem Volk die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches versprochen hatte, die Lockerung und schrittweise Auflockerung der Sanktionen, die besonders auf den einfachen Leuten lasten, könnte man dieses Versprechen nun wieder aus den Händen reißen.

Israel, einer der hartnäckigsten Kritiker Irans und seiner militärischen Bestrebungen, verfügt selber über Atomwaffen. Als einziges Land in der Region. Wie Nordkorea, Pakistan und Indien ist es nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrages, gilt aber trotzdem als Atommacht. Trotzdem schaut es mit großer Besorgnis auf die Entwicklungen vor seiner Haustür. Während an der Grenze zum Gazastreifen seit Wochen demonstriert wird und bereits mehrere Dutzende Palästinenser von israelischen Soldaten beim Versuch, die Grenze zu überschreiten, erschossen wurden, pirscht sich Iran seit Jahren immer näher an Israel heran. Ziel Teherans ist es, einen schiitischen Korridor zu errichten, der über den Irak und Syrien bis an die Grenze Israels reicht.

Was im Irak bereits erreicht ist, wird in Syrien noch herbeigebombt. Doch die Einschläge kommen näher aus Israels Sicht. Auch das ist ein Grund für die Nacht-und-Nebel-Aktionen, in denen es wohl israelische Kampfjets waren, die iranische Ziele in Syrien ins Visier nahmen. Eine offizielle Bestätigung gibt es weder für die Angriffe vom 9. April nahe Homs noch für die Luftattacke auf iranische Einrichtungen in Syrien am 30. April. Alle Beobachter aber gehen davon aus, dass Israel der Urheber dieser militärischen Aktionen ist. In der Regel bekennt sich Israel nicht dazu. Das war auch in den vergangenen Jahren meist der Fall, wo Dutzende Angriffe auf Ziele in Syrien Israel zugeschrieben werden. Meist richteten diese sich gegen Waffenkonvois für die libanesische Hisbollah-Miliz, aber eben auch gegen iranische Stützpunkte.

Für Netanjahu, der daheim wegen Korruptionsverdachts ins Visier der Justiz geraten ist, sind die gefährlichen Spitzen gegen Teheran immer auch eine Art persönlicher Wahlkampf. Mit militärischem Getöse und theatralischen Auftritten wie dem von Montagabend versucht Israels Regierungschef, seine Macht im Land zu sichern. Offensichtlich mit Erfolg. Die Knesset, das israelische Parlament, entschied am Montagabend, Netanjahu und seinem Verteidigungsminister das alleinige Recht zu überlassen, unter «extremen Bedingungen» über Krieg oder Frieden zu entscheiden. Laut Verfassung konnte eine Entscheidung für eine Militäraktion bislang nur getroffen werden, wenn eine Mehrheit der Minister anwesend war. Israels am extrem rechten Rand einzuordnender Verteidigungsminister Avigdor Lieberman drohte kürzlich, Israel werde jeden Ort angreifen, an dem sich die Iraner in Syrien festzusetzen suchten. «Wir werden das nicht erlauben, was immer der Preis ist», sagte er.
Netanjahu steht unter Druck, Angriff ist für ihn die beste Verteidigung.

Auch in den USA sieht es nicht danach aus, als würde sich jemand um den Preis kümmern, den ein Scheitern des Atomabkommens mit Iran bedeuten würde. Sogar wenn es letztendlich in einem offenen Krieg gegen die Islamische Republik enden würde. Gewisse Kreise in Washington legen in Bezug auf den Iran geradezu eine gewisse Obsession an den Tag. Das erinnert nicht zuletzt an die Zeit vor der Irak-Invasion zu Beginn dieses Jahrtausends. Auch damals standen europäische Diplomaten ebenso ratlos wie machtlos vor einer sich in den USA immer mehr zur Mehrheitsmeinung steigernden Kriegseuphorie. Am Ende stand damals ein zugrunde gerichteter Irak und eine völlig aus den Fugen geratene Region, die heute noch unter den Folgen leidet, zu denen auch der Syrien-Krieg zählt.