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Digitale Schatten

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„Alles, selbst die Lüge, dient der Wahrheit; Schatten löschen die Sonne nicht aus.“ Franz Kafka (1883-1924)

Schatten. Die die Sonne nicht auslöschen können. Der Schatten ist in den mythologischen Vorstellungen vieler Kulturen ein Begriff für das Spiegelbild der Seele, für das „zweite Ich“ des Menschen, für dessen Doppelgänger oder Ebenbild, das meist in einem jenseitigen „Reich der Schatten“ angesiedelt und mit Dunkelheit, Nacht und Tod assoziiert wird. In Zusammensetzungen wie „Schattenarbeit“ oder „Schattenkabinett“ hat das Wort „Schatten“ einen negativen Beiklang; lange Schatten können ängstigen und sind ein typisches Stilmittel mit Spannung aufgeladener Filme. Länger werdende Schatten künden vom Ende des Tages und den nahenden kalten Wintermonaten. Der Schatten symbolisiert im allgemeinsten Verständnis das bedrohlich wirkende Unbewusste.

Wie sieht es mit den Schatten der digitalen Welt, im übertragenen Sinne gemeint – und um die es in diesem Beitrag gehen soll –, aus? Digitale Schatten als Vorboten der einbrechenden (gesellschaftlichen) Dunkelheit? Digitale Schatten, die dem Homo Digitalis – mit dem sich der Zeilenschreiber auch in diesem Beitrag unserer Zeitung, des Tageblatt, näher beschäftigen will – allerdings völlig gleichgültig zu sein scheinen. Eine sehr gefährliche Einstellung, wie man uns warnen will …

Die digitalen Schatten der digitalen Welt, die einige, ja viele von uns als (vermeintliche) „Sonne auf Erden“ empfinden. Wissend, dass wo immer auch die Sonne scheint, sie Schatten wirft. Und diese Form der Schatten besteht unweigerlich. Doch dieser digitalen Schattenwelt sind sich viele von uns leider nicht bewusst. Die in diesen Zeilen visierte digitale Welt, so eine Definition des Begriffes, bezeichnet alles, was im Zusammenhang mit digitalen Sachverhalten steht. Der Begriff umfasst die Gesamtheit aller Einzelerscheinungen, die mit Digitalsignalen beschrieben oder von diesen beeinflusst werden können.

Und wenn wir uns mit dieser modernen Welt, mit deren rasanter Entwicklung viele von uns Probleme haben oder noch haben werden, näher und kritisch beschäftigen, ohne diesem Zeitalter allerdings entkommen zu können, so kommt man um einen Begriff mit weitreichenden Konsequenzen, die weit in unseren Alltag, gar in unsere Privat- und sogar Intimsphäre hineinwirken, nicht herum, nämlich um … Daten! Daten, die sehr viel Geld wert sind …

Überall werden sie gesammelt. Daten, die miteinander verglichen, neu strukturiert, interpretiert, evaluiert oder sonst irgendwie verwertet werden. Um uns herum entsteht eine unsichtbare neue Welt der Likes, Rankings, Scores, oder auch der Listen, Sternchen oder sonst irgendeine hochtrabende Bezeichnung, die wir heute noch nicht kennen – aber keine Angst, das wird noch … Ein Trend, der egal wie unsere Gesellschaft beeinflussen und verändern wird. Interessant in diesem Kontext sind die Aussagen des Professors für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, Steffen Mau, der kürzlich anlässlich einer kritischen Radiosendung ein trotzdem nicht ganz unbekanntes Thema kommentierte.

Im Frühjahr 2015 hat die chinesische Regierung ein spektakuläres, ja revolutionäres Vorhaben angekündigt, das generell jedoch wenig verbreitet wird und unsere Regierungen in den „Stumm-Modus“ schalten ließ – einmal mehr im Zusammenhang der IT-Sicherheit übrigens, die immer noch nicht ernst genug genommen wird. In wessen Interesse eigentlich, wenn man als kritischer Bürger naiv fragen darf? Was planen die Chinesen? Nun, wie uns Professor Mau erläutert, beabsichtigen sie ein sogenanntes „Social Credit System“ und somit „das vermessene Ich“ aufzubauen.

Daten werden eingesammelt

Daten über unser individuelles Verhalten aus allen gesellschaftlichen Bereichen werden eingesammelt, ausgewertet und schließlich zu einem einheitlichen (in üblicher internationaler IT-Sprache ausgedrückt) sogenannten Bewertungsscore zusammengeführt. Orwells richtungsweisender „Big Brother“-Roman „1984“ lässt deutlich grüßen: Seien es nämlich Bildungsinformationen, Rechtsverstöße, Aktivitäten im Internet, Konsumverhalten, Verkehrsdelikte, Arbeitsverträge, Bewertungen von Lehrern oder Vorgesetzten, Konflikte mit dem Vermieter oder das Verhalten der Kinder …

All das kann in dieses System einbezogen werden und entsprechende Auswirkungen in der persönlichen Einschätzung dieses „Social Score“ haben. Wie schon erwähnt, ist dies alles nicht völlig unbekannt, dazu Wikipedia: „Das chinesische Sozialkredit-System (engl. Social Credits) ist ein auf verschiedene Datenbanken zugreifendes Online-Rating- bzw. Scoring-System, bei dem in der Volksrepublik China beispielsweise die Kreditwürdigkeit, das Strafregister und das soziale und politische Verhalten von Unternehmen, Personen und weiteren Organisationen, wie z.B. Nichtregierungsorganisationen, zur Ermittlung ihrer Reputation verwendet werden. Das Ziel besteht darin, die chinesische Gesellschaft durch die bessere Überwachung zu mehr Aufrichtigkeit im sozialen Verhalten zu erziehen, wobei dies positive Wirkungen in unterschiedlichen Bereichen zeigen soll.“

Für uns mündige Bürgerinnen und Bürger jedenfalls eine klare Warnung vor einer Art „Orwell Agenda“, die da einigen so vorschwebt und die man auch bei uns in Europa durchaus riskiert, „live und in Farbe“ zu erleben – sofern man seitens der politischen Klasse keinen entschlossenen Widerstand zeigt, und zwar dadurch, dass dem Datenschutz absolute Priorität eingeräumt wird. Denn ein chinesisches System, das jeden erfassen soll, ob er oder sie das will oder nicht, kann und darf niemals zugelassen werden, nicht einmal in einer sogenannten Testphase, wie derzeit in China. Ein mehr als illegales System, in dem es darum geht, ein Gesamtbild des „Wertes“ einer Person zu erstellen, auf dessen Grundlage ihr dann wiederum am Statuswert orientierte Möglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt (der schon ein delikates Thema hierzulande darstellt!), im Arbeitsleben oder beim Zugang zu Krediten eingeräumt werden.

Hinterhältig genug jedenfalls, dass die chinesische Regierung mittels dieses „Charakter- oder Wohlverhaltens-Scores“ oder auch mit der Methodologie der totalen sozialen Kontrolle des „Big Brother“ die „Aufrichtigkeit“ ihrer Bürger belohnen und die „Unaufrichtigkeit“ sanktionieren will – toll!

Anders gesagt, so jedenfalls der zitierte Soziologe deutlich, ein extremes und düsteres Szenario für das, wofür die digitale Gesellschaft stehen könnte: die Gesellschaft der Scores, Rankings, Likes, Sternchen und Noten usw., wie bereits erwähnt, ein Quantifizierungskult, der eben in direkter Verbindung mit dem Prozess der Digitalisierung steht, der sich in sehr unterschiedlichen Lebensbereichen manifestiert und diese radikal verändern wird. Denn die vielfältigen Daten, die wir hinterlassen und die gespeichert werden, erzeugen einen immer größer werdenden digitalen Schatten. In der Welt von Big Data sind Informationen über Nutzer (im Fachjargon User), Bürger oder einfach für Menschen ganz einfach der Rohstoff, aus dem sich Gewinn ziehen lässt! Das sollten all jene bedenken, die bereitwillig ihre Daten völlig bedenkenlos in die Welt hinaussenden. Denn die modernen Menschen sind leider überaus freizügig, wenn es darum geht, eben persönliche Daten zu veröffentlichen oder weiterzugeben. Dieser Datenvoluntarismus, so der Experte wörtlich, speist sich aus einer Mischung aus Mitteilungsbedürfnis, Unachtsamkeit und den neuen Möglichkeiten des Konsums, der Information und der Kommunikation.

Wir sind eben bereitwillige Datenlieferanten, die mittels unserer digitalen Schatten, die wir werfen, und unserer Statusdaten, die im Sinne des Soziologen Pierre Bourdieu „Unterscheidungszeichen“ sind,uns faktisch zu freiwilligen Opfern derer machen, die uns in welcher Form auch immer kontrollieren, manipulieren, meint beherrschen wollen. Müssen wir das?

Wir sollten ihnen ihre Spielchen verderben – auch dieser Schutz muss Aufgabe eines wahren „Vater Staat“ sein, der im Sinne Orwells kein „Großer Bruder“ sein darf. Ein Staat, der sich seiner Verantwortung und seiner Schutzverpflichtung seinen Bürgern gegenüber auch in der digitalen Welt, deren Schatten zur gesellschaftlichen Gefahr werden können, immer bewusst sein muss!

Und, Vorsicht – nie vergessen: Internet – gib auf dich acht, sonst tun es andere.
So Justus Vogt (*1958), denkender Lebender und lebender Denker.

Frank Bertemes