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Ideal und Praxis

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Die Mehrsprachigkeit in Luxemburg ist ein Segen. Luxemburg ist eines der wenigen Länder weltweit, où une phrase comme celle-ci pourrait être lue, ouni grouss Schwieregkeeten, by a vast part of its country’s population. Dieser Segen entspricht allerdings einem Ideal, das in der soziologischen Realität eher selten erreicht wird – die Ungleichheiten in der Sprachbeherrschung der Einzelnen, die sich hinter einem solchen Ideal verstecken, müssten viel offener thematisiert werden, da sie Spuren in der soziokulturellen Alltagspraxis hinterlassen.

Dass sich der durchschnittliche Luxemburger die deutsche Sprache viel leichter/schneller aneignet, hat einerseits zur Konsequenz, dass der populistische Mikrokosmos vieler Luxemburger von den semantischen Eckpfeilern Bundesliga, Oktoberfest, Karneval und Pro 7 abgesteckt wird, andererseits aber auch, dass diverse xenophobe Kommentare – das berühmt-berüchtigte „en français s’il vous plaît“, welches dem hiesigen Hobbyrassisten anscheinend tagtäglich an der Bäcker- oder Metzgertheke um die Ohren fliegt – fast ausnahmslos dem französischsprachigen Grenzgänger gelten.

Im Allgemeinen bleibt festzuhalten, dass, obwohl Luxemburg kulturell mindestens viersprachig ist, wohl fast niemand eine gänzlich ausgeglichene Beherrschung dieser Sprachen nachweisen kann. Diese komplexe Mehrsprachigkeitssituation hat eine direkte Auswirkung auf den Literaturbetrieb: Seit jeher fragen sich Literaturwissenschaftler, ob man nun eine einzige, mehrsprachige luxemburgische Literatur anerkennt – oder sie in so viele Literaturen, wie es praktizierte Sprachen gibt, aufteilt.

Letztes Jahr war jedes einzelne in Luxemburg mit einem relevanten Preis ausgezeichnete Literaturwerk deutschsprachig. Dies würde bedeuten, dass 2017 kein einziges wichtiges Buch in einer der anderen literarischen Landessprachen veröffentlicht oder geschrieben wurde. Problematisch ist hier, dass in den Literaturjurys Leute sitzen, die, wie jeder von uns, jene Sprache besser als jene andere beherrschen. Ich selbst würde französischsprachige Werke anders – strenger, detaillierter – werten als z.B. ein deutschsprachiges Manuskript. Da mit der Gründung des Verlagshauses Black Fountain Press nun eine hierzulande literarische Outsidersprache – das Englische – wohl verstärkt Aufmerksamkeit bekommen wird, wird die Frage der Herangehensweise und der Aufstellung der Jurys umso bedeutender, da englischsprachige Literatur in Luxemburg eher stiefmütterlich behandelt wird. Im letzten „Literaturlabo“, im Laufe dessen die Literaturpreise 2017 besprochen wurden, wurde z.B. George Saunders’ „Lincoln in the Bardo“ (Man Booker Prize) nicht erwähnt – und das, obwohl es thematisch durchaus legitim war, waren doch viele der prämierten französischsprachigen Werke auch Romane mit historiografischen Veranlagungen.

Eventuelle Lösungsvorschläge wären hier einerseits eine Sprachenquote – seitens der vergebenen Preise oder in der Auswahl der Jurymitglieder, die ihre eigene Sprachbeherrschung grundehrlich einschätzen müssten –, andererseits eine sprachliche Kompartimentierung der Auszeichnungen. Dies müsste man natürlich bewerkstelligen, ohne in eine sprachliche Segregation zu verfallen.

Gonder Ranch
8. Januar 2018 - 15.02

"wohl fast niemand (kann) eine gänzlich ausgewogene Beherrschung der vier Sprachen nachweisen", lese ich da...

Eine geradezu böswillige Unterstellung, gibt es doch Zeitgenossen, die alle vier Sprachen gleichermaßen schlecht beherrschen. Aber vielleicht sind sie gute Bauarbeiter oder Informatiker - und das ist auch etwas wert!