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Von Caracas nach Luxemburg

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Das Europaparlament hatte sich für den komplizierten Weg entschieden. Den Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit verliehen die Abgeordneten in diesem Jahr an die Opposition Venezuelas. Das hat nicht jeden in Straßburg gefreut. Einige Abgeordnete blieben der Preisüberreichung am Mittwoch fern. Am Donnerstag waren zwei Preisträger aus Venezuela in Luxemburg.

Das hatte es 30 Jahre nicht gegeben. So lange vergibt das Europaparlament (EP) den Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit und bislang herrschte über den Preisträger immer Einstimmigkeit. Am Mittwoch nun war das anders. Die Abgeordneten der Linksfraktion im EP sowie einige Grüne blieben der Zeremonie fern. Der Grund: Gewinner des diesjährigen Sacharow-Preises ist die gesamte Opposition Venezuelas – und darunter befinden sich nun einmal auch Rechtsextremisten, Putschisten, Schwulenhasser.

Am Donnerstag waren zwei der Gewinner in Luxemburg. Sie waren gut gewählt. Beide gehören dem Wahlbündnis Mesa de la Unidad Democrática (MUD) an, dies als Sozialdemokraten in einem meistens als rechtsbürgerlich charakterisierten Zusammenschluss. Es waren also eher nicht Patricia Gutierrez oder Antonio Ledezma, wegen derer es am Mittwoch in Straßburg zu dem kleinen Eklat kam.

Eine gewisse Logik

Die Aktivistin und Politikerin Patricia Gutierrez

Patricia Gutierrez, geboren 1983, ist Bürgermeisterin der Stadt San Cristobal. Ein Posten, den zuvor ihr Mann innehatte – bis er 2014 als politischer Gefangener in einem der Staatsgefängnisse Venezuelas landete, wo er immer noch sitzt. Wie sich ein solches Schicksal anfühlt, weiß auch der 63-jährige Anwalt und Politiker Antonio Ledezma. Ledezma selbst war ab 2008 Bürgermeister von Venezuelas Hauptstadt Caracas. Nach diversen Schikanen im Amt wurde er 2015 erstmals verhaftet, in diesem Jahr floh er über Kolumbien nach Spanien, wo ihm politisches Exil gewährt wird.

Gutierrez und Ledezma sind geeint in ihrer Ablehnung des Regimes von Nicolas Maduro, der Venezuela seinen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ aufzwingt und den beide als Diktator bezeichnen. Das sieht auch das EP nicht anders. Daher entspricht die Entscheidung, die Opposition Venezuelas auszuzeichnen, einer gewissen Logik. Bereits in den vergangenen Jahren forderte das EP die Regierung Venezuelas wiederholt auf, die politischen Gefangenen freizulassen. Es drohte auch mit Sanktionen, verhängt wurden aber keine. Nun also die Auszeichnung, deren Symbolkraft sowohl Gutierrez als auch Ledezma als hoch einschätzen, und die die Einstellung des EP zur Situation in dem südamerikanischen Land nur bekräftigt.

Venezuela war im Frühling diesen Jahres wieder einmal in die internationalen Schlagzeilen geraten. Maduros Regime hatte das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet und stattdessen ein neues Gremium eingesetzt, die „Verfassungsgebende Versammlung“, die allerdings auf verfassungswidrige Art und Weise zustande kam. Die Folge waren Massenproteste in den großen Städten des Landes. Maduros Staatsapparat bewaffnete Zivilisten und schickte eigene Milizen in die Straßen, um den Aufstand niederzuschlagen. Es gab Dutzende Tote. Das Land stand am Rand eines Bürgerkrieges. Die Bilder gingen um die Welt – geändert hat sich aber nichts.

Maduros Clique beherrscht das rohstoffreiche, aber völlig heruntergewirtschaftete Land weiter. Nahrungsmittel und Medikamente sind knapp. In dem eigentlich reichen Land leiden große Teile der Bevölkerung unter Hunger oder Mangelernährung. Und trotzdem: Auch die Regionalwahlen im Herbst konnte die Sozialistische Einheitspartei (PSUV) gewinnen. Nur fünf von 28 Gouverneursposten gingen an die Opposition, die nachher von Wahlbetrug sprach und damit sicherlich recht hat. Insgesamt erhielt sie zwei Millionen Stimmen weniger als bei der letzten Parlamentswahl. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini zeigte sich nach der Bekanntgabe der Ergebnisse „überrascht“.

Alle sind zerstritten

Der Anwalt und Politiker Antonio Ledezma

In Venezuelas Opposition war man weniger überrascht als ernüchtert. In dem Land, in dem der Chavismus (oder das, was davon übrig geblieben ist) kommendes Jahr 20 Jahre „feiern“ wird, ist nichts neutral, die für die Wahlen zuständige Kommission schon gar nicht. Trotzdem kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr die Opposition in sich selbst zerstritten ist.

Ein Missstand, den man schnellstmöglich beheben sollte. Im kommenden Jahr finden Präsidentenwahlen in Venezuela statt. Eine Chance auf einen Wahlsieg kann sich das bürgerliche Lager überhaupt nur dann ausrechnen, wenn es sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen kann. Auch dieser Umstand dürfte das EP dazu bewogen haben, mit dem Sacharow-Preis die Einheit in der Anti-Maduro-Front oder zumindest den Willen, sich neu zu formieren, zu stärken.

Im EP hatten die Fraktion der christdemokratischen EVP und die Fraktion der Liberalen ALDE Venezuelas Opposition für den diesjährigen Sacharow-Preis vorgeschlagen. Kandidat der Sozialdemokraten war der seit 2001 in Eritrea inhaftierte schwedisch-eritreische Journalist Dawit Isaak. Die Grünen hatten sich für Aura Lolita Chávez Ixcaquic ausgesprochen, eine Menschenrechtsaktivistin aus Guatemala. Zwei Kandidaten, die sicherlich weniger kontrovers gesehen worden wären.

Bis der Gewinner feststeht, werden mehrere Stufen durchlaufen. Erst schlagen die Abgeordneten und ihre Fraktionen Kandidaten vor, dann wählen der Entwicklungs- und der Außenausschuss die drei Finalisten aus. Die Konferenz der Präsidenten, der die Vorsitzenden der Fraktionen und der Parlamentspräsident angehören, wählt schließlich den Gewinner aus.