Es gibt diesen Gemeinplatz, der besagt, man würde hauptsächlich Kunst schaffen, damit nach unserem Tod etwas von uns übrig bleibt. Dieser Gedanke mag auf Anhieb einleuchtend sein, er trifft aber sehr selten auf reale kulturelle Praktiken und Künstlereinstellungen zu. Denn der Künstler ist letztlich derjenige, der am wenigsten vom Überleben seiner Kunst profitiert.
Und sie sind zahlreich, die Kunstschaffenden, die überhaupt nicht möchten, dass ihr Werk sie überlebt, oder denen es gleichgültig ist. Der berühmteste Fall ist natürlich Franz Kafka, der eigentlich weder der Nachwelt noch seinen Zeitgenossen irgendwas überliefern wollte. Kommt es dann doch zur posthumen Veröffentlichung, schiebt sich oft das Bild gieriger Erben, die sich um die Rechte des Verstorbenen streiten, in unsere Gedanken. 2009 wurde mit «The Original of Laura» posthum ein (unfertiges) Werk von Wladimir Nabokow veröffentlicht.
Problematisch war, dass Nabokow selbst das Werk eigentlich nie veröffentlichen wollte. Nach langen Streitigkeiten entschied sich sein Sohn dann doch für eine Publikation, die teils heftig kritisiert wurde. Im Rahmen dieser Veröffentlichung erkundigte sich damals die französische Wochenzeitung les inrockuptibles bei zeitgenössischen Schriftstellern, wie mit ihrem Nachlass umzugehen sei. Philippe Djian sprach sich für die vollständige Zerstörung aller unfertigen Manuskripte aus – und fügte hinzu, dass er diese selbst zu unternehmen gedenke.
Diese vermeintliche Radikalität ist im Endeffekt durchaus konsequent und logisch. Denn wenn der Künstler oft aus einer irgendwie doch egoistischen Notwendigkeit heraus schafft, dann charakterisiert sich seine Schaffenskraft oft durch den Willen nach Kontrolle. Und diese Kontrolle verliert er nach seinem Ableben. Weswegen der Wunsch der Zerstörung vielleicht eine der kräftigsten Metaphern des Künstlers sein kann – eine Metapher, der die Quintessenz unserer Existenz innewohnt: Während der kurzen Zeit, die wir haben, vermögen wir Schönheit in die Welt zu bringen. Aber mit unserem Tod zerfällt auch diese Fähigkeit. Die richtige Lektion ist hier, diese schwierige Begebenheit mit Würde hinzunehmen.
Auseinandersetzung mit dem Unbekannten
Was nämlich sehr wohl stimmt, ist Folgendes: Kunst erlaubt es, uns mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen auf eine Art und Weise, die das Wissenschaftliche aufgrund ihrer Verpflichtung zur Exaktheit nicht praktizieren kann.
Laut Paul Ricoeur gibt es mit unserer Geburt und unserem Tod zwei Schlüsselereignisse in unserer Existenz, die wir narrativ nicht kontrollieren können, da wir sie zwar durchleben, eigentlich aber nicht mitbekommen. Hier gibt sich die Kunst als mögliches Gedankenexperiment, als Erfahrungshypothese.
Wie der französische Philosoph Clément Rosset in «Le réel – Traité de l’idiotie» folgerichtig formuliert: Das Tragische an unserer Existenz ist nicht unser eigenes Ableben, das in der Ferne lauert und auf das man sich eigentlich (meist) gut vorbereiten kann, sondern der Tod aller Personen, die uns lieb sind.
Kunstwerke und Fiktionen vermögen nicht, uns darüber hinwegzutrösten – eine solche Kraft haben sie nicht, und wir sind in diesem Sinne untröstlich –, sie schaffen es aber sehr wohl, z.B. durch wiederholtes, fiktionales Inszenieren solch untröstlicher Situationen, uns eine Haltung anzutrainieren, die sehr wichtig sein kann: nämlich die des Akzeptierens, des Hinnehmens.
Ein kleines Gedicht aus meiner Feder.
Stammt aus meiner Jugendzeit.
Schlaf ohne Traum.
Der Tod ist ein grosser Gauner,
liegt jeden Tag auf der Lauer,
denn er stiehlt dir dein Leben,
kann dir aber kein neues geben.
Der Weise fürchtet ihn nicht,
vertraut auf seine Weltsicht,
er wird ihn gelassen erwarten
in seinem Gedankengarten.
Er wird ihn nicht verdrängen,
oder ständig an ihn denken,
ein rechtes Leben zu leben,
kann ihm den Schrecken nehmen.
Kunst zu leben und zu sterben,
im Laufe des Lebens erwerben,
für den langen Schlaf ohne Traum,
zum Ausruhen im fiktiven Raum.
Marius