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Mit Neonazigruß zum Vizekanzler

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Heinz-Christian Strache sorgte für einen Rechtsruck bei den Rechtsextremen in Österreich und dürfte bald mitregieren – eine Warnung für Europa.

Wenn alles normal läuft, wird Heinz-Christian Strache bald Österreich als Vizekanzler mitregieren – trotz Neonazi-Hintergrund, trotz rechts-extremem Wahlprogramm, trotz Hetze. Am Mittwoch nannte der FPÖ-Chef den Auftakt der Koalitionsgespräche mit Sebastian Kurz’ ÖVP «sehr partnerschaftlich» und «auf Augenhöhe». Um so weit zu kommen, hat sich Strache gewandelt, aber nur nach außen hin.

2005 liegt die FPÖ am Boden, ihren neuen Helden trägt sie trotzdem auf Schultern in die Salzburg-Arena. Aus den Boxen dröhnt Bonnie Tylors «I need a hero». Die Freiheitlichen jubeln, es gibt Standing Ovations, Tränen fließen. Der alte Held hat die Blauen verlassen. Jörg Haider, der die Partei sechs Jahre zuvor zu einem Allzeithoch geführt hatte, hat der FPÖ den Rücken gekehrt. Es ist die Zeit, in der neue Helden gebraucht werden. Es ist die Zeit, in der Heinz-Christian Straches Aufstieg in Österreichs rechtsextremer Partei seinen Ausgang nimmt.

HC, wie er sich selbst nennt, wird an diesem 23. April 2005 zum zehnten Parteichef der FPÖ und zum jüngsten aller Zeiten. Die komatöse FPÖ brauchte ein neues Idol, Strache übernahm die Rolle und füllt sie bis heute aus. Zwölfeinhalb Jahre später ist Strache noch immer Parteichef – und auf dem besten Weg zum Vizekanzler. Die Zeiten, da man ihn als billige Haider-Kopie verpönte, sind längst passé.

Strache führte seine Partei bei der Nationalratswahl am 15. Oktober auf 26 Prozent und damit auf den dritten Platz hinter Konservativen und Sozialdemokraten. Die Koalitionsgespräche mit der ÖVP von Wahlgewinner Sebastian Kurz laufen schon. Bis Weihnachten sollen sie abgeschlossen sein. Geht alles nach Straches Plan, ist er dann Vizekanzler – und steigt damit endgültig in den Olymp der europäischen Rechtspopulisten auf. Sein Rezept war simpel: Asyl- und Ausländerthemen, dazu eine ordentliche Portion EU-Skepsis. Im Europa des Jahres 2017 reicht das, um bei Wahlen für Furore zu sorgen, nicht nur in Österreich.

Ikone von Europas Rechtspopulisten

Früher ein Polterer, einst sogar Haider zu rechts, tritt Strache mit den Jahren immer staatsmännischer auf. So auch am Wiener Victor-Adler-Markt am Freitag vor der Nationalratswahl. Es ist die Schlusskundgebung der FPÖ in diesem Wahlkampf. Wer dachte, er würde einen tobenden rechten Spinner erleben, wird eines Besseren belehrt. Strache spricht unaufgeregt, eine knappe Stunde lang, ohne Manuskript. Die für ihn so typischen Reime gibt es nur noch bei blauen Veranstaltungen. «Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen» – so bedient er auch die Basis, bei Laune hält er sie aber nur noch bei parteiinternen Veranstaltungen.

Politisch ist Strache ein Überzeugungstäter geblieben. Nach außen hin hat er sich jedoch extrem gewandelt, er hat sich quasi neu erfunden. Der FPÖ-Chef zieht nicht mehr durch die Discos und setzt sein Autogramm auch nicht mehr auf Dekolletés. In Liebessachen zeigt sich HC demonstrativ geläutert. Strache, der Familienmensch und Romantiker, der seine Zeit gerne mit seiner zweiten Frau und seinen Kindern verbringt, der gerne mit der Mutter spazieren geht. Auch das ist Teil der disziplinierten Außendarstellung, mit der der Chef von Österreichs Rechtsextremen nach oben strebt.

Demut vor Aggressivität 

Strache hat seine Lehren gezogen, aus den Wiener Wahlen von 2015, und vor allem aus der Bundespräsidentenwahl 2016, die wegen Verschiebungen fast ein Jahr dauerte und die sein Vize Norbert Hofer nur äußerst knapp verlor – auch weil er oberflächlich betrachtet ruhiger auftrat, als Rechte das für gewöhnlich tun. «Ich bin bereit!», hatte Strache im Wien-Wahlkampf immer wieder getönt. Dieses Mal zog er der Aggressivität die Demut vor. So auch am Victor-Adler-Markt. Dort freute er sich, «weiter den Österreichern dienen zu können», und werde dort arbeiten, wo man ihn hinstelle. Bescheidenheit statt Gebrüll. Aber eine Bescheidenheit, die nur kaschiert, wessen Geistes Kind Strache war und ist.

Die Fotos, die ihn Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger bei Wehrsportübungen mit vermeintlichen Neonazis im Wald zeigen, kennt in Österreich jeder. Strache sagt, er habe Paintball gespielt. Damals war er mit der Tochter Norbert Burgers zusammen, ging in dem Haus des Gründers der rechtsextremen österreichischen NDP ein und aus. An der innerdeutschen Grenze wurde er als Teilnehmer einer Aktion der Wiking-Jugend von der Polizei verhaftet. Die «Wikinger» gehören zum Radikalsten und Gewalttätigsten, was die Neonazi-Szene in Europa zu bieten hat; der Attentäter vom Münchner Oktoberfest, der 1980 insgesamt 13 Menschen tötete und mehr als 200 zum Teil schwer verletzte, war ein Mitglied.

Nazi-Gruß? Nur drei Bier bestellt, sagt Strache

Strache wurde in der Zeit auch bei anderen Neonazi-Aufmärschen mehrmals von der Polizei verhaftet. Auf einem Foto zeigt er den Kühne-Gruß, eine Hand mit ausgestreckten Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Es ist das Zeichen, das Neonazis statt des verbotenen Hitlergrußes benutzen. Strache tut all das als Jugendsünden ab, distanziert hat er sich nie. Den Kühnen-Gruß gaben er und seine Wegbegleiter erst als Tradition der Burschenschaften aus, später als Gruß der Südtiroler Freiheitskämpfer, dann als Zeichen der Heiligen Dreifaltigkeit der Serben. Zuletzt meinte Strache, er habe damals bloß drei Bier bestellt.

Die deutschnationalen, schlagenden Burschenschaften spielen in Straches Leben und in der heutigen FPÖ eine nicht zu unterschätzende Rolle. Geführt wird die Partei von Strache als Obmann und fünf Stellvertretern. Fünf dieser Männer sind sogenannte Korporierte. In den Parteigremien sieht es ähnlich aus. Dabei liegt der Anteil von Burschenschaftern in der österreichischen Bevölkerung gerade mal bei 0,4 Promille. Die wenigsten haben sich aus den Traditionen des Nationalsozialismus gelöst, fast alle bekennen sich bis heute zu Großdeutschland, was der österreichischen Verfassung widerspricht.

Burschenschaften und Antisemitismus

Unter Strache wurde der biologisch-rassistische Volksbegriff der NSDAP als Bekenntnis zur Volksgemeinschaft in das Parteiprogramm der FPÖ geschrieben. Bei Burschenschaften gilt als ein Aufnahmekriterium das sogenannte Abstammungsprinzip, was das Gleiche meint. Hofers Burschenschaft nennt die österreichische Nation in ihrer Gründungsschrift eine «geschichtswidrige Fiktion» und bekennt sich stattdessen zum «deutschen Vaterland, unabhängig von bestehenden Grenzen».

Das Online-Sprachrohr der FPÖ in Österreich heißt unzensuriert.at. Seine Reichweite liegt an manchen Tagen über jener der TV-Nachrichten im Staatsfernsehen ORF. Gegründet wurde die Internetzeitung vom ehemaligen FPÖ-Nationalratspräsidenten Martin Graf, geführt wird sie mittlerweile von einem Burschenschafter der Olympia, der zahlreiche weitere Politiker und Funktionäre der FPÖ angehören. Die Olympia organisiert regelmäßig Konzerte von Neonazi-Barden für ihre Mitglieder. Auch der mittlerweile verstorbene Michael Müller trat dort auf. In Neonazi-Kreisen ist Müller bekannt für seine Umdichtung des Schlagers von Udo Jürgens «Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an». In Müllers Version heißt der Text: «Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, bis sechs Millionen Juden, da bleibt der Ofen an».

Symbol des Antisemitismus bei Besuch von Holocaust-Gedenkstätte 

Diese Verflechtung von antisemitischen Burschenschaften und den Parteistrukturen der FPÖ zeigt auch auf, wie sehr es der Partei mittlerweile gelingt, zwei sich widersprechende Bilder von ihr selbst aufrechtzuerhalten. Strache und Hofer zeigen sich stets als Freunde Israels. Immerhin haben sie den Islam zum neuen, publikumswirksameren Hauptfeind erkoren.

Der Antisemitismus bleibt trotzdem tief verwurzelt in Gedanken und Handeln der Partei und der nahestehenden Burschenschaften. Ein Beispiel für diesen Spagat lieferte Strache höchstpersönlich im Jahr 2010. Eine Israel-Reise sollte nach außen hin zeigen, dass die FPÖ ihren Antisemitismus abgelegt hat. Bei seinem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte wählte Strache als Kopfbedeckung die Burschenschafterkappe, ein Symbol des Antisemitismus, das nur Eingeweihte verstehen.

Das eine predigen, das andere leben, das gelingt der FPÖ in einem anderen Bereich noch viel effektiver: in ihrer Sozialpolitik. Strache verkauft seine Partei als die des kleinen Mannes. Die FPÖ nennt sich «soziale Heimatpartei» – und ist das Gegenteil. Die FPÖ und Strache haben gegen alles gestimmt, was das Label «Sozialpolitik» trägt: gegen die europäische Sozialcharta, gegen Mittel, die Frauen einen gerechteren Lohn sichern sollten, sie lehnte einen Solidaritätsbeitrag von Spitzenverdienern ebenso ab wie die Streichung von Steuerprivilegien für Gehälter über 500.000 Euro. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Am Freitag vor der Nationalratswahl steht FPÖ-Held Strache auf der Bühne am Victor-Adler-Markt in Wien-Favoriten, einem Bezirk, der zu den ärmeren zählt. Dementsprechend zusammengesetzt ist seine Zuhörerschaft. Strache schimpft auf die hohen Mieten, auf die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, auf die Bonzen. Die Menge jubelt ihrem Sozialpolitiker zu.

Empfohlene Lektüre: Hans-Henning Scharsach: Strache – Im braunen Sumpf

Peter Mutschke
26. Oktober 2017 - 21.11

In Österreich fing es an .
In Österreich feht eine konservative Partei -notgedrungen- eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ ein.
Gespannt wie's weitergeht